Würdest du dich als poli­ti­schen Menschen bezeichnen?

Datum
30. Oktober 2020
Autor*in
Nils Hipp
Redaktion
politikorange
Themen
#politischkritischjung 2020 #Gen Z
201016-Nils_Kreisdiagramm

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Das Märchen der unpo­li­ti­schen Jugend wird seit Jahren von Konser­va­tiven und Rechten in Diskus­sionen als Argu­ment verwendet. Doch wie poli­tisch ist die Jugend wirk­lich? Das fragte poli­ti­ko­range-Redak­teur Nils Hipp in seiner Insta­gram-Story.

Ich habe mich selbst vor die Aufgabe gestellt, einen Text über das Thema unpo­li­tisch sein“ zu schreiben. Leider fehlte mir jegli­cher persön­li­cher Bezug zu diesem Thema. Also tat ich das, was mir am einfachsten erschien: Ich erstellte eine Umfrage in meiner Insta­gram-Story und fragte meine Follower*innen Würdest du dich als poli­ti­schen Menschen bezeichnen?“. Dazu gab ich zwei Antwort­mög­lich­keiten vor, Yes“ und No“. Mir war bewusst, dass dies eine sehr persön­liche Frage ist. Diese zu beant­worten, setzt also ein hohes Maß an Refle­xion und Selbst­ein­schät­zung voraus. Das macht es schwierig, sich auf zwei Antwort­mög­lich­keiten zu begrenzen. Deshalb forderte ich die Teil­neh­menden zusätz­lich dazu auf, mir privat zu schreiben und das eigene Abstim­mungs­ver­halten zu erklären.

Zwischen Scheiß egal“ und Politik geht uns alle an“

Die Umfrage war 24 Stunden online. 391 Personen riefen die Umfrage auf und 139 von ihnen haben abge­stimmt. Zusätz­lich schrieben mir 52 Menschen privat und erklärten ihre Sicht­weise auf das Thema. Dass das in keiner Weise reprä­sen­tativ ist, ist mir bewusst. Dennoch war ich über­rascht, wie unter­schied­lich und span­nend die Antworten ausfielen.

Insge­samt stimmten 77 Menschen für Yes“, würden sich also als poli­ti­sche Menschen bezeichnen. 62 Leute würden dies nicht von sich sagen und stimmten für No“.

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Mehr als die Hälfte der Befragten würde sich als politische Menschen bezeichnen. Inwiefern sie sich gesellschaftlich engagieren, unterscheidet sich jedoch stark. I Grafik: Nils Hipp

Aus den Ergeb­nissen und den erhal­tenen Nach­richten lassen sich ganz unwis­sen­schaft­lich und grob drei Gruppen bilden. Erstere würden sich defi­nitiv als poli­tisch bezeichnen. Sie infor­mieren sich regel­mäßig. Viele sind in Parteien, Bewe­gungen oder NGOs wie Green­peace oder Fridays For Future enga­giert. In ihrem Leben spielt Politik eine große Rolle.

Die zweite Gruppe argu­men­tiert deut­lich weniger selbst­be­wusst: Sie besteht aus Menschen, die von sich selbst behaupten, poli­tisch zu sein. Aller­dings sind sie sich dabei nicht allzu sicher. Diese Menschen sind infor­miert, wissen was in der Welt passiert, aber enga­gieren sich nur teil­weise oder gar nicht. Viele wünschen sich, mehr zu tun – sind sich jedoch unsi­cher, wo sie anfangen sollen.

Die dritte Gruppe unter­scheidet sich in ihrer Argu­men­ta­tion unter­ein­ander am stärksten. Sie setzt sich zusammen aus Menschen, die sich alle­samt als unpo­li­tisch bezeichnen würden. Diese lesen nur selten Nach­richten und infor­mieren sich kaum bis gar nicht über poli­ti­sche Themen. In Bewe­gungen oder auf Demons­tra­tionen sind sie nicht orga­ni­siert. Wie sie mit der eigenen Selbst­ein­schät­zung umgehen, könnte unter­schied­li­cher nicht sein.

Etwas mehr als die Hälfte der dritten Gruppe empfindet – stärker noch als die zweite Gruppe – eine Schuld aufgrund der eigenen Untä­tig­keit. Auch ihnen sind viele Probleme bewusst. Man wisse jedoch nicht, wo man anfangen soll: Wofür solle man sich einsetzen und wo könne man sein Enga­ge­ment einbringen? Weiterhin empfinden viele Politik als lang­weilig, kompli­ziert, trocken oder einfach nicht für junge Menschen gemacht.

Dagegen tritt die andere Hälfte der dritten Gruppe deut­lich selbst­be­wusster auf. Sie gibt ganz klar zu, sich nicht für Politik zu inter­es­sieren. Manche Leute begründen es gar nicht, andere schreiben Dinge wie Geht mir am Arsch vorbei“, Ist mir Scheiß egal“ oder Juckt mich einfach nicht“.

Warum Desin­ter­esse proble­ma­tisch ist

Eine Demo­kratie lebt von Debatte und Infor­ma­ti­ons­aus­tausch. Eine solche Mir egal Haltung“ ist in Anbe­tracht der über­wäl­ti­genden Probleme unserer Zeit zwar manchmal nach­voll­ziehbar. Aller­dings schadet sie der Debatten- und Diskus­si­ons­kultur und damit unserer Demo­kratie. Was würdest du jungen, unpo­li­ti­schen Menschen raten, die sich zwar poli­tisch enga­gieren und infor­mieren wollen, aber nicht wissen wie?“ Diese Frage habe ich verschie­denen Expert*innen aus Politik, Medien und Gesell­schaft gestellt. Um hier eine Art Leit­faden zu präsen­tieren, folgt eine Auswahl aus den Antworten, die ich bekommen habe.

Sinem Tasan-Funke, Landes­vor­sit­zende der Jusos Berlin:

Ich glaube, dass es heute so viele Möglich­keiten gibt, sich poli­tisch zu infor­mieren, wie noch nie. Allein auf Platt­formen und sozialen Netz­werken wie YouTube und Insta gibt es sehr gut geführte Accounts (z. B. der öffent­lich-recht­li­chen Medien), die Videos, Beiträge und kurze Storys zu aktu­ellen poli­ti­schen Gescheh­nissen zur Verfü­gung stellen. Da muss man eigent­lich nur abon­nieren und bekommt einen recht einfa­chen Zugang zu News. Wenn es aber wirk­lich darum geht, sich für eine poli­ti­sche Rich­tung zu entscheiden, würde ich anders vorgehen. Mir persön­lich war bei der Entschei­dung sehr wichtig, was eigent­lich die Grund­hal­tung der Parteien ist. Dafür ist ein Blick in die Grund­satz­pro­gramme zu empfehlen. Die Parteien legen in diesen ihre allge­meine Ausrich­tung fest – unab­hängig von konkreten poli­ti­schen Maßnahmen. Wem das zu trocken ist, die oder der kann natür­lich auch zu einer Veran­stal­tung der (Jugend-)Parteien gehen und schauen, wie da disku­tiert wird. Gerade in den Jugend­or­ga­ni­sa­tionen habe ich die Erfah­rung gemacht, dass das Vorur­teil der trockenen Politik einfach nicht zutrifft. Poli­ti­sches Enga­ge­ment ist mal sehr erfül­lend, mal nerven­auf­rei­bend. Aber lang­weilig wird es eigent­lich nie. Schließ­lich geht es immer um unsere Zukunft – wie die aussehen soll, ist alles andere als eine lang­wei­lige Frage.“

Tim Lüdde­mann, freier Jour­na­list:

Ich finde, Menschen sollten nach etwas suchen, das sowohl Spaß macht, als auch nach­haltig was bringt. Und da gibt es glaub ich mega viel. Weil man nicht sofort das findet, was hundert­pro­zentig zu einem passt, heißt es auspro­bieren! Wenn man in einen Laden geht, um sich Klei­dung zu holen, behält man ja auch nicht das erste, das man in den Händen trägt an. Man zieht mal das an, probiert das, kombi­niert das und dann nach einer gewissen Zeit hat man es gefunden. So ist es glaub ich auch mit Enga­ge­ment. Man fängt einfach irgendwo an, macht Erfah­rungen, merkt, dass man etwas anderes machen will, wech­selt, wech­selt, wech­selt und irgend­wann landet man bei der Sache, die einem was gibt.

Ich finde, wir sollten mehr probieren und die Situa­tion, in der wir fest­stellen, dass etwas nicht passt, nicht als schei­tern wahr­nehmen, sondern als Möglich­keit, dass wir etwas gelernt haben und etwas Neues auspro­bieren können.“

Hans Komo­rowski, Fried­rich Ebert Stif­tung:

Span­nende Frage, die wichtig ist, weil oft Moti­va­tion und Ideen junger Leute verloren gehen, wenn sie nicht wissen, wie sie sich enga­gieren und dieses Enga­ge­ment orga­ni­sieren können. Ich würde in folgende Bereiche unter­scheiden:

  1. Im engeren Sinne poli­tisch enga­gieren können sich junge Menschen in den Jugend­or­ga­ni­sa­tionen der Parteien. Alle Parteien im Bundestag haben Jugend­or­ga­ni­sa­tionen, z.B. die SPD die Jusos oder die CDU die Junge Union usw. Die haben auch jeweils Ableger in Bundes­län­dern und Städten und Gemeinden und sind im Netz sowie in den sozialen Medien präsent. Dorthin können sich Inter­es­sierte wenden, mal eine Veran­stal­tung besu­chen und in die Arbeit rein­schnup­pern. Die Parteien selbst haben oft für junge Leute eine Art Schnupper- oder Probe­mit­glied­schaft.
  2. Im weiteren Sinne poli­tisch ist in meinen Augen jedes Enga­ge­ment, das der Gesell­schaft zugute kommt. Zum Beispiel sind viele junge Menschen in der Hilfe für Geflüch­tete aktiv geworden. Das ist ein dezen­trales Enga­ge­ment vor Ort, über das Inter­es­sierte Infor­ma­tionen in ihren Gemeinden, Rathäu­sern oder so erhalten. Aber auch soziale Träger, wie AWO, Malteser, Volks­so­li­da­rität und natür­lich die Kirchen bieten soziales Enga­ge­ment an.
  3. Dann gibt es themen­be­zo­genes Enga­ge­ment, wie zum Beispiel die Mitwir­kung in der Jugend­presse. Hier machen also junge Menschen mit, die sich für Jour­na­lismus und Medien inter­es­sieren. Für solches Ehrenamt gibt es im Netz viele Infor­ma­tionen, wie z.B. hier: https://​www​.buer​ger​ge​sell​schaft​.de/​m​i​t​g​e​s​t​a​l​t​e​n​/​h​a​n​d​l​u​n​g​s​f​e​l​d​e​r​-​t​h​e​m​e​n​/​j​u​g​e​n​d​-​u​n​d​-​e​n​g​a​g​e​ment/
  4. Dann gibt es Enga­ge­ment, das nicht vorge­geben ist, sondern das sich junge Menschen selbst aufbauen, wie Fridays for Future oder Extinc­tion Rebel­lion. Bsp.: Inter­es­sant ist sicher auch dieses Projekt: https://​www​.gene​ra​tio​nen​stif​tung​.com/​ueber

Dieser Beitrag ist im Rahmen eines gemein­samen Projekts von sagwas​.net und poli​ti​ko​range​.de entstanden.

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