Schein­be­tei­li­gung? Wie poli­ti­sches Enga­ge­ment in der Schule einge­schränkt wird 

Datum
03. November 2023
Autor*in
Emile Schnieders
Redaktion
politikorange
Themen
#Gen Z #JMWS23
Beitragsbild Emile

Beitragsbild Emile

Wenn eine Demo­kratie funk­tio­nieren soll, müssen möglichst viele Menschen mitma­chen. Doch viele Jugend­liche, die das versu­chen, haben das Gefühl, nicht gehört oder sogar ausge­bremst zu werden.

Wenn eine Demo­kratie funk­tio­nieren soll, müssen möglichst viele Menschen mitma­chen, sich poli­tisch enga­gieren und dann auch gehört werden. Bei vielen Jugend­li­chen ist das aber nicht immer der Fall. Für einige liegt das daran, dass Forde­rungen von Schüler*innen nicht berück­sich­tigt würden und ehren­amt­li­ches Enga­ge­ment ausge­bremst werde.

Beitragsbild Emile

Foto von baufälliger Schule. Foto: Stock/Unsplash

Laut einer Jugend­studie der Voda­fone-Stif­tung aus dem letzten Jahr fühlen sich viele junge Menschen poli­tisch kaum gesehen und reprä­sen­tiert, eine stei­gende Tendenz. Frida Otten, die dieses Jahr in Essen ihr Abitur geschrieben hat, hat das auch bei ihren Mitschüler*innen beob­achtet: Ich glaube, dass viele Politik immer als etwas gesehen haben, was man nicht selbst macht.“ 

Schlechte Reprä­sen­ta­tion in Gremien 

Elias Bala, Schüler*innenvertreter aus Bochum, vergleicht die Mehr­heits­ver­hält­nisse auf der Schul­kon­fe­renz, dem beschluss­fas­senden Gremium der Schule, mit der Stän­de­ver­samm­lung im vorre­vo­lu­tio­nären Frank­reich: Wir haben die Schüler*innen, die eigent­lich die größten Konse­quenzen aus den Entschei­dungen der Schul­kon­fe­renzen ziehen. Und wir haben die Lehrer*innen und die Eltern, die aber genau dieselben Stim­men­ver­hält­nisse haben und dann bei kriti­schen Fragen, sogar eher gegen die Schüler*innen stimmen.“ Die Aufgabe der Schule bzw. der Schüler*innenvertretung sollte eher darin bestehen, Schüler*innen zu poli­ti­sieren, sodass sie auf höheren Ebenen poli­tisch aktiv werden oder für ihre Anliegen demons­trieren gehen, so Elias. Er beschreibt das Gefühl, im System Schule in der Realität kaum noch etwas verän­dern zu können. 

Forde­rung nach einem Streik­recht 

In Deutsch­land ist Bildungs­po­litik Sache der Bundes­länder. Die Schüler*innen seien aber auf Landes­ebene weit­ge­hend machtlos, so Elias, der auch in der Landesschüler*innenvertretung aktiv ist. Da gebe es in Nord­rhein-West­falen haupt­säch­lich Gespräche mit der Schul­mi­nis­terin: Dann ist es meis­tens eher so: Wir machen Fotos und wirk­lich drum herum kommt dann selten was.“ 

Eine seiner Forde­rungen ist ein Streik­recht für Schüler*innen, um auf Landes­ebene wirk­lich Druck auf die Politik ausüben zu können. Bei den Parteien gibt es dazu große Meinungs­un­ter­schiede. Emilia Fester (B90/​Die Grünen), eine der jüngsten Bundes­tags­ab­ge­ord­neten, befür­wortet die Forde­rung. Jugend­liche hätten dadurch ein höheres Druck­po­ten­tial für ihre Anliegen. Martin Gassner-Herz (FDP) sieht den Sinn von Schul­streiks nicht, wie er sagt. Seiner Auffas­sung nach geht es bei Streiks darum, die eigene Arbeits­kraft als Druck­mittel gegen­über Arbeitgeber*innen einzu­setzen. Die Betei­li­gung der Schüler*innen solle über dafür geschaf­fene Gremien statt­finden. 

Unter­richt müsse Begeis­te­rung für Politik vermit­teln 

Im Unter­richt würde der Status quo, wie beispiels­weise der Kapi­ta­lismus, von vielen Lehr­kräften wie ein Natur­ge­setz rüber­ge­bracht, sagt Elias. Ich finde es muss vermit­telt werden, dass Politik und poli­ti­sches Enga­ge­ment eigent­lich doch wahn­sinnig inter­es­sant sind. Denn es bestimmt unser aller Leben.“, so der Schüler*innenvertreter. Das müsse auch der Unter­richt zeigen. Frida findet: Ob das im Unter­richt passiere und auch bestehende Verhält­nisse in Frage gestellt würden, sei leider sehr stark von der Lehr­kraft abhängig. Ich zum Beispiel hatte eine super junge Lehrerin, die sehr viel Wert auf unsere persön­liche Meinung gelegt hat, die auch wirk­lich bei jedem Thema gesagt hat, bitte posi­tio­niert euch dazu‘. Dass man halt irgendwie in den Diskurs kommt. Ich glaube aber auch, dass das viele aber nicht machen.“ Dadurch entstehe auch das Gefühl, als einzelne Person sowieso keine Verän­de­rungen bewirken zu können, sagt Frida. 

Aimo Görne, Landesschüler*innenvertreter aus Berlin, findet, dass im Unter­richt immer wieder auf exis­tie­renden Möglich­keiten für poli­ti­sches Enga­ge­ment hinge­wiesen werden muss: Dass offen gefragt wird, dass die Mitwir­kungs­rechte nicht nur einge­räumt werden, sondern auch aktiv darauf hinge­wiesen wird. Dafür gibt es auch ein Infor­ma­ti­ons­recht der Schüler*innen, das darüber aufge­klärt.“ Das fange schon bei banalen Dingen wie der Entschei­dung von Zielen für Klas­sen­aus­flüge an. Demo­kratie dürfe in der Schule eben nicht nur theo­re­tisch erklärt, sondern müsse auch gelebt werden, indem Schüler*innen ergeb­nis­offen bei rele­vanten Dingen Mitent­schei­dung zuge­standen werde. 

Aktuell nur 17 Minuten Politik pro Woche 

In der Realität werden in der Schule durch­schnitt­lich nur 17 Minuten pro Woche poli­ti­sche Themen bespro­chen. Zu diesem Ergebnis kommt ein Forschungs­pro­jekt der Univer­sität Biele­feld aus dem Jahr 2017, das alle Lehr­pläne an weiter­füh­renden Schulen in NRW analy­siert hat. Die glei­chen Lehr­pläne gelten noch heute. Dort gehe es in den Fächern Politik bzw. Politik/​Wirtschaft der Sekun­dar­stufe I haupt­säch­lich um Wirt­schaft. Der Themen­be­reich Gesell­schaft käme deut­lich zu kurz. Politik und Demo­kratie sind für die Schule eine eher nach­ran­gige Ange­le­gen­heit, ihre Stel­lung im Stun­den­plan und im Unter­richt ist schwach“. Zu diesem Ergebnis kommt die Studie. Wie aus der aktu­ellen Situa­tion eine Stär­kung demo­kra­ti­schen Denkens und Handelns bei Jugend­li­chen hervor­gehen solle, bleibe ein Geheimnis. 

Rein recht­lich sollte das eigent­lich anders sein. Im Schul­ge­setz des Landes NRW2 Absatz 4) heißt es, Schüler*innen sollten in der Schule zu poli­ti­schen Urteils- und Hand­lungs­kom­pe­tenzen gebildet werden. Sie sollen außerdem zu aktiven Bürger*innen im demo­kra­ti­schen Entschei­dungs­pro­zess werden. Die Landes­zen­trale für poli­ti­sche Bildung NRW schreibt dazu eben­falls: Eine demo­kra­ti­sche Schul­kultur soll das Erfahren von Demo­kratie als Lebens­form ermög­li­chen.“ Das beschränkt sich nicht nur auf Enga­ge­ment inner­halb von Parteien, sondern schließt auch Akti­vismus mit ein. 

Dass sich daran nichts änderte, erklärt Aimo, liege an einer verbrei­teten Grund­hal­tung. Jugend­li­chen würde keine gleich­be­rech­tigte Meinung zuge­standen und sie würden deshalb auch nicht an Entschei­dungs­pro­zessen betei­ligt. Das zeige sich auch bei der Debatte um das Wahl­recht ab 16

Trans­pa­renz­hin­weis: Emile Schnie­ders ist Mitglied der Grünen Jugend.


Empfohlene Beiträge

Werde Teil unserer Community

Entdecke spannende Geschichten, vernetze dich mit anderen jungen Journalist:innen und gestalte die Medienlandschaft von morgen mit. Melde dich jetzt an und bleibe immer auf dem neuesten Stand.

Wehrpflicht Redaktion Gruppenbild