Schönes neues Land?

Datum
22. September 2021
Autor*in
Vivienne Fey
Redaktion
politikorange
Themen
#BTW21 #Leben
854AFF0C-7242-438F-9A0D-BA21AA83D500

854AFF0C-7242-438F-9A0D-BA21AA83D500

Foto: Jugendpresse Deutschland / Vivienne Fey

Sozialer Zusam­men­halt, Nähe und Verbun­den­heit zur Natur – obwohl das Leben im länd­li­chen Raum so schön ist, ziehen immer mehr junge Menschen weg. Doch Beach­tung findet dieses Problem auf Bundes­ebene kaum. poli­ti­ko­range-Redak­teurin Vivi­enne Fey berichtet aus ihrem nord­hes­si­schen Heimat­dorf und hat konkrete Forde­rungen an die Bundes­re­pu­blik. 

Aufge­wacht vom melo­di­schen Vogel­ge­zwit­scher beginnt der Sonn­tag­morgen in meinem 600-Einwohner-Heimat­dorf im Werra-Meißner-Kreis in Nord­hessen. Auf der Terrasse am Wald­rand früh­stü­cken, später noch eine Tasse Kaffee mit der Nach­barin trinken. Dann muss ich auch schon wieder die Koffer packen, um pünkt­lich zum Semes­ter­start in der Studi­en­stadt zu sein. Was ein schönes, erhol­sames Wochen­ende. 

So viele Probleme der Groß­städte, über die in Berlin disku­tiert wird, spielen hier kaum eine Rolle. Stei­gende Mieten oder Wohnungs­knapp­heit? Nicht hier, wo die Häuser von verstor­benen Menschen reihen­weise leer stehen. Fleisch aus Massen­tier­hal­tung klingt wie ein Fremd­wort, kennt man doch den Bauernhof im Nach­bar­dorf. Regional Lebens­mittel zu kaufen und Essens­reste an Nach­barn zu verschenken, war schon Alltag, bevor Foodsha­ring oder Bio-Obst- und Gemü­se­kisten in hippen Groß­städten zum Trend wurden. Ganz zu schweigen von der effek­tiven Erho­lung durch die Nähe zur Natur, weniger Stress durch gerin­gere Lärm­be­las­tung und ein gut funk­tio­nie­rendes soziales Netz­werk zur Unter­stüt­zung von Alten oder Kranken. Der Werra-Meißner Kreis kann echt schön sein. 

Trotzdem hält uns junge Menschen wenig hier, die Einwoh­ner­zahl sinkt immer weiter und mitt­ler­weile sind wir sogar der Kreis mit dem höchsten Alters­durch­schnitt in ganz Hessen. Für mich ist das auch kein Wunder: Die nächste Univer­sität ist schließ­lich eine knappe Stunde entfernt, durch die Pandemie hat sogar der letzte Club geschlossen, Busse fahren höchs­tens im 2‑Stunden Takt in die nächste Klein­stadt und selbst dort beschränkt sich das Frei­zeit- und Kultur­angebot auf das Nötigste. 

Was wollen die Parteien dagegen tun?

Doch bei einem Blick in die Wahl­pro­gramme zur Bundes­tags­wahl stelle ich fest: Eine echte Rolle spielt diese verhee­rende Situa­tion für die meisten Parteien leider nicht. Allein die Tatsache, dass die Programme nicht zwischen abge­le­genem, struk­tur­schwa­chem Klein­dorf und finan­ziell schlecht gestellter Kommune diffe­ren­zieren, zeigt, wie wenig die Politik die Proble­matik verstanden hat. Bei CDU und Grünen findet sich etwas über den lebens­werten länd­li­chen Raum immerhin schon direkt im Inhalts­ver­zeichnis. Die CDU betont dabei explizit die zu erhal­tende Lebens­qua­lität und verfolgt mit ihrem im Wahl­pro­gramm beschrie­benen Förder­pro­gramm zur Dorf­kern­sa­nie­rung, dortiger Ansied­lung von Startups und Errich­tung von Cowor­king Spaces in Klein­städten und Dörfern einen guten Ansatz. 

D4521804-2934-4593-8937-5C3358AA14B2

Wo sich leerstehende Häuser aneinanderreihen, klingt die Forderung nach einem Mietendeckel fast skurril. Foto: Jugendpresse Deutschland / Vivienne Fey

Auch die Grünen legen viel Wert auf belebte Dorf­kerne. Zusätz­lich sehen sie Abhilfe in selbst zu verwal­tenden Regio­nal­bud­gets, die im Rahmen einer sogar im Grund­ge­setz veran­kerten Regio­nalen Daseins­vor­sorge“ Kommunen unter­stützen sollen. Außerdem betonen die Grünen die Notwen­dig­keit von flächen­de­ckendem Internet und klaren Mindest­stan­dards hinsicht­lich Mobi­lität und Gesund­heits­ver­sor­gung, die deutsch­land­weit erfüllt werden sollten. 

Sehr wenig Beach­tung findet das Thema aller­dings bei der SPD. Und viel­mehr als die indi­rekte finan­zi­elle Unter­stüt­zung der Kommunen durch ein bundes­weit vorge­se­henes Entschul­dungs­pro­gramm und Digi­ta­li­sie­rungs­pläne kann ich auch dem Wahl­pro­gramm der FDP nicht entnehmen. Die Linke konzen­triert sich eben­falls vor allem auf die Finan­zie­rung und fordert eine Rekom­mu­na­li­sie­rung von Wohnungen, Kran­ken­häu­sern, Wasser- und Ener­gie­ver­sor­gung. Am meisten enttäuscht mich aller­dings die AfD, die das länd­liche Leben durch die Beto­nung und Stär­kung regio­naler Iden­tität und Kultur stärken möchte und dabei einen Schritt in die völlig falsche Rich­tung geht. Welt­of­fen­heit und Inter­na­tio­na­lität hat noch keiner Gesell­schaft geschadet meinem abge­le­genen Dorf erst recht nicht. 

Die Bundes­po­litik muss den länd­li­chen Raum mehr unter­stützen

Die Lokal­po­litik ist bemüht, doch das allein kann nicht ausrei­chen, um den beson­deren Heraus­for­de­rungen gerecht zu werden und das Poten­tial voll­ständig und gezielt auszu­schöpfen. 

Der länd­liche Raum muss auf der Bundes­ebene stärker berück­sich­tigt und konkret unter­stützt werden. Dazu wäre es zunächst erstmal notwendig, den länd­li­chen Raum zu defi­nieren und zu typi­sieren. Politik für länd­liche Räume“ sollte als Quer­schnitts­thema stärker beachtet werden, gleich­zeitig aber auch als eigen­stän­diger Aspekt behan­delt werden. Die in den Wahl­pro­grammen genannten Punkte sind gute Ansätze, doch mir fehlen immer noch wirk­lich krea­tive und inno­va­tive Ideen, zusam­men­hän­gende Konzepte und der Mut zur zukunfts­fä­higen Gestal­tung des länd­li­chen Raumes.


Empfohlene Beiträge

Werde Teil unserer Community

Entdecke spannende Geschichten, vernetze dich mit anderen jungen Journalist:innen und gestalte die Medienlandschaft von morgen mit. Melde dich jetzt an und bleibe immer auf dem neuesten Stand.

Wehrpflicht Redaktion Gruppenbild