Viel Rauch um Nichts – Lobby­ismus in der Tabak­in­dus­trie

Datum
14. Januar 2025
Autor*in
Alma Jung
Redaktion
politikorange
Thema
#Politik
Zigaretten

Zigaretten

Die Genuss-Zigarette, Qual(m) für alle. Foto: Basil MK/pexels
Korrup­tion, Geld­berge und Vitamin B – das sind die Asso­zia­tionen vieler Menschen beim Wort Lobby­ismus. Auf einem Event, offen für Besucher*innen, will Jan Mücke als Tabak-Lobbyist ein posi­tives Bild seiner Arbeit vermit­teln. Und schei­tert.

Korrup­tion, Geld­berge und Vitamin B – das sind die Asso­zia­tionen vieler Menschen beim Wort Lobby­ismus. Auf einem Event, offen für Besucher*innen, will Jan Mücke als Tabak-Lobbyist ein posi­tives Bild seiner Arbeit vermit­teln. Mit wenig Erfolg.

An einem Dezem­ber­abend in Berlin tummeln sich ein paar Menschen in der Kiez­spinne“, einem lokalen Veran­stal­tungsort in Berlin-Lich­ten­berg. Sie warten auf ein Seminar und auf den ange­kün­digten Gast. Denn der ist niemand gerin­geres als der ehema­lige FDP-Abge­ord­nete des Bundes­tags und Geschäfts­führer eines Tabak-Lobby Vereins, Jan Mücke. Als sich der Raum füllt und die Tür schließ­lich zu ist, betritt er das Podium, eine kleine Bühne, und stellt sich vor.

Er stellt sich tatsäch­lich ziem­lich lang vor, über eine halbe Stunde dauert das, und er redet viel von Trans­pa­renz und den vermeint­li­chen Mehr­wert seiner Arbeit: Exper­tise und Bera­tung für Politiker*innen. Kriti­sches Murmeln aus dem Publi­kums­raum. Mücke tut viel, um sich als trans­pa­renter Volks­mann zu insze­nieren. Er kommt aus Rade­beul, dem Rande von Dresden und ihm ist vor allem hier bei einem Ostber­liner-Publikum wichtig, seine Ost-Herkunft“ auch zu thema­ti­sieren. Er verwendet verein­zelt DDR-Slang, um dann mit einer Hand­be­we­gung zu sagen, das hätte man ja nur im Osten so gesagt und zu fragen, wer alles wisse, was das Wort bedeutet. Es ist eine kleine Show für die, denen er als Gleich­ge­sinnter erscheinen will. Mücke zeigt diverse Produkte, für die er lobby­iert und redet ausschwei­fend über die Rele­vanz von SNUS-Pflas­tern, die er in Deutsch­land gern nach schwe­di­schem Vorbild lega­li­siert hätte.

Kontakte als Kapital

Auch wenn der Zweifel im Publikum weit gesät bleibt, schafft Mücke es im Laufe der Veran­stal­tung, durch Rhetorik und geschickt einge­fä­delte Anek­doten nahbar und sympa­thisch zu wirken. Eine gefähr­liche Show, wenn man bedenkt, dass eben diese Sympa­thie Teil der Über­zeu­gungs­kraft von Lobby­ar­beit ist und Mücke das nicht umsonst macht. Er hat neun Mitar­beiter und drei­ein­halb Millionen Euro jedes Jahr von Konzernen zur Verfü­gung. Das im Hinter­kopf zu behalten ist essen­tiell, wenn man ehrlich über Lobby­ar­beit reden will. Denn Mücke stellt sich als den Frei­wil­ligen dar, der sich aus Über­zeu­gung für die umstrit­tene Rolle opfert und für den die finan­zi­ellen Anreize keinen Ausschlag geben.

Er hätte als selbst­stän­diger Immo­bi­li­en­ver­walter und ehema­liger Parla­men­ta­ri­scher Staats­se­kretär beim Bundes­mi­nister für Verkehr, Bau und Stadt­ent­wick­lung nach seiner Amts­zeit diverse Ange­bote unter­breitet bekommen, in diesem Sektor zu lobby­ieren, so Mücke. Aber weil die sich dann alle darauf gestürzt hätten“, meint er, hätte er das eben nicht getan. Es ist ein offenes Geheimnis, dass ehemals hoch­ran­gige Politiker*innen gern in der Wirt­schaft ange­worben werden. Ihre Kontakte sind ihr größtes Kapital und von unschätz­barem Wert für Unter­nehmen. Politiker*innen und Vitamin B können den Ausschlag geben, welche Firma einen Millio­nen­auf­trag bekommt oder welche Produkte wie besteuert werden. Jan Mücke ist in seiner Posi­tion dafür da, den besten Deal für seine Auftrag­geber zu errei­chen. Das merkt man an der Ambi­va­lenz, mit der er argu­men­tiert und auf Fragen eingeht.

Evidenz ist, was du draus machst

Von sich aus nennt Mücke die Verban­nung von Ziga­retten und Co. aus Restau­rants und öffent­li­chen Innen­räumen Ausgren­zung“ und bekundet Empö­rung darüber, dass man ja nur noch ganz einge­schränkt rauchen dürfe. Gleich­zeitig sagt er, die Minder­heit der Rauchenden sei süchtig. Als Beispiel nennt er sich und erzählt, er würde eben gern in guter Gesell­schaft die Zeit noch ein wenig durch eine Genuss­zi­ga­rette aufwerten. Aber wenn es denn nur die Genuss­zi­ga­rette ist, dann müssten doch parti­elle Einschrän­kungen niemanden stören, oder? Auf der Straße ist es jedem gestattet, sein Feuer­zeug zu zücken und es gibt bei weitem genug Bier­gärten, in denen man selbst als Passiv­rau­cher eine ordent­liche Menge Qualm abbe­kommt.

Die erste kriti­sche Nach­frage dies­be­züg­lich wird von Mücke mit einer Aussage wegge­wischt, die an diesem Abend sein Totschlag­ar­gu­ment sein wird. Jan Mücke bekundet, eine Studie hätte gezeigt, dass Ziga­ret­ten­rauch nach zwei Metern Abstand nicht mehr bemerkt würde und sich verflüch­tige. Diese Aussage kann nicht veri­fi­ziert werden, da die Studie auch nach inten­siver Recherche nicht gefunden wurde. Als zwei Männer aus dem Publikum wider­spre­chen und sagen, sie würden beim Joggen durch den Wald einen Raucher noch viel länger riechen, auch dann noch, wenn sie ihn nicht mehr sähen, beharrt Mücke auf seiner einen Studie und sagt, dass sei wissen­schaft­lich anders bewiesen. Trotzdem ist die von ihm erwähnte Studie nirgends auf seine Webseite oder anderswo zu finden. Er selbst nutzt anek­do­ti­sche Beispiele außerdem gern. Die Rege­lung, nicht in einem Auto mit Kindern zu rauchen, fände er absurd, weil dass doch keiner macht“.

Gene­rell sei er dafür, jeden anzu­zeigen, der oder die verbo­te­ner­weise Tabak­pro­dukte oder ähnli­ches an Jugend­liche und Kinder vertreibt. Die bei Schüler*innen so beliebten Vapes und Einweg­zi­ga­retten bewirbt er dennoch. Als weniger gesund­heits­schäd­lich gelten sie zwar, dennoch keines­falls als unge­fähr­lich. Mücke lobt die Vapes als inno­va­tive Tech­no­logie. Den oft genannten vermeint­li­chen Vorteil, man könne damit aus dem Tabak­konsum aussteigen, lässt Mücke aus. Das würde sich auch nur bedingt lohnen, da er keines­wegs eines seiner vertre­tenen Mündel gegen ein anderes ausspielen will.

Dem Vorwurf, Einweg-Vapes seien nicht nur umwelt­schäd­lich, sondern auch eine Ein- statt Ausstiegs­droge für Jugend­liche und junge Erwach­sene, entgegnet Mücke, da müsse man mehr aufpassen“ und Kiosks“ nach Verkauf an Kinder zur Rechen­schaft ziehen. Dass gerade Verbote nicht Konsum verhin­dern, führt er an anderer Stelle aller­dings selbst an.

Rauchen, aber zu welchem Preis?

Ein Zuhörer meldet sich mit der Frage, ob die von Mücke als essen­tiell für die deut­sche Wirt­schaft darge­stellten Steuern durch Tabak und co. nicht ledig­lich die Gesund­heits­schäden für Kran­ken­kassen abde­cken würden. Er stellt die Frage nach dem Elefanten im Raum: Wären andere besteu­erte Wirt­schafts­zweige und Produkte nicht ausnahmslos lukra­tiver im Gesamten für unseren Staat? Denn wenn die Körper der Konsument*innen nicht darunter leiden und bei Kran­ken­kassen keine Zusatz­leis­tungen durch ein Produkt anfallen, ist das durch Steuern verdiente Geld ein wirk­li­cher Zuge­winn, der eben nicht an anderer Stelle indi­rekt kostet. Auf den, wenn auch teils nur indi­rekten Vorwurf, seine Anliegen würden das Wohl der Menschen verkaufen, reagiert Mücke im FDP-Jargon.

Die Frei­heit als höchstes Gut preist er an und bemän­gelt fehlendes Verständnis. Er spricht von Bevor­mun­dung und sagt, die Nichtraucher*innen hätten eine Feind­se­lig­keit entwi­ckelt und würden immer weiteres verlangen, bis das Rauchen ganz verboten sei. Die Initia­tive Berlin Rauch­frei“ beispiels­weise habe sich das auch offen auf die Fahnen geschrieben. Mücke skan­da­li­siert diese ange­strebte Frei­heits­ein­schrän­kung als uner­hörte Anma­ßung und kriti­siert die seiner Meinung nach fehlende Trans­pa­renz der Anti-Rauchen-Vereine in ihren Treffen, die sich nicht für ihn oder andere Mitar­beiter der Tabak-Lobby öffnen wollen. Er betont, seine Seite“ würde da viel offener mit der Gegen­seite umgehen und diese einladen, an Konfe­renzen teil­zu­nehmen oder Fragen zu stellen.

Mücke rühmt sich damit, auf der eigenen Website nach­lesbar zu proto­kol­lieren, mit wem er sich trifft. Dabei ist dieses Verhalten mindes­tens Allge­mein­kon­sens und Abge­ord­nete sind gesetz­lich dazu verpflichtet, Interessenvertreter*innen in ihren Regis­tern bei Treffen aufzu­führen. Wie beson­ders ist also Mückes Trans­pa­renz“? Sie ist nicht von heraus­ra­gender Inno­va­tion oder so radikal, wie er sie zu verkaufen versucht. Sie hält sich an den gesetz­li­chen Rahmen, ja. Aber das können wir von einem ehema­ligen Vertreter unserer Demo­kratie hoffent­lich erwarten.

Der rich­tigen Partei für seine spätere Lauf­bahn gehörte er zumin­dest an. Die FDP, die die eigene wirt­schaft­liche Berei­che­rung nach einer gebo­tenen Chance auch in diesem Fall nicht unbe­dingt kriti­siert, ist ideal als Ausgangs­punkt für spätere Lobbyist*innen. Denn auch wenn die Glaub­wür­dig­keit Mückes strau­chelt und er ein surreal glück­li­ches Bild der Rauchenden zeichnet, die in dieser Vorstel­lung ledig­lich ihr Leben genießen wollen, ist der Grund­tenor dem der Freien Demo­kraten nah. Die Wirt­schaft und somit die Konsu­menten selbst entscheiden zu lassen, ist laut Mücke unver­zicht­bares Recht der Gesell­schaft.

Rege­lung als Verhand­lungs­basis?

Und auf einmal lobt Jan Mücke die aktu­elle Rege­lung, die er vorher noch als ausgren­zend und unfair diskre­di­tierte. Er fragt, warum man denn etwas verschärfen oder ändern solle, das sei doch jetzt ein guter Kompro­miss“. Wann immer entschie­dene Nichtraucher*innen bemän­geln, sie würden immer noch in der Stadt zu Passiv­rau­chenden, mildert sich sein Ton der Gesetz­ge­bung gegen­über und Mücke bemüht sich um Zufrie­den­heit. Ist doch alles gut, will er damit denje­nigen sagen, die mehr verlangen.

Viel­leicht geht er mit den Forde­rungen und Beschrän­kungen so um, wie in seinen Gehalts­ver­hand­lungen. Immer mehr verlangen, um am Ende zufrieden heraus­zu­gehen. Wirt­schaft­li­ches Verhan­deln kann er als Ex-FDPler und Unter­nehmer vermut­lich ganz gut. Er wolle niemanden, der das nicht will, zum Rauchen über­reden oder moti­vieren“, behauptet Mücke. Und dass er auch die Gesund­heits­ri­siken sehen würde. Dass er aller­dings niemandem vom Rauchen abraten würde, erklärt sich von selbst.


Dieser Artikel ist im Rahmen der offenen Redak­tion entstanden. Bei Fragen, Anre­gungen, Kritik und wenn ihr selbst mitma­chen mögt, schreibt uns eine Mail an redaktion@​jugendpresse.​de 


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