Politik setzt voraus, dass du 24/7 sendest“ – Antje Kapek im Inter­view

Datum
04. März 2025
Autor*in
Alma Jung
Redaktion
politikorange
Thema
#Politik
Antje-Kapek_Vincent-Villwock

Antje-Kapek_Vincent-Villwock

Vincent Villwock
Wie wichtig sind Frau­en­netz­werke und sind Politiker*innen eigent­lich über­be­zahlt? Antje Kapek spricht mit poli­ti­ko­range über ausbeu­te­ri­sche Systeme und die irre­füh­rende Effi­zienz unserer heutigen Gesell­schaft.

Antje Kapek ist ein bekanntes Gesicht der Berliner Landes­po­litik. Die studierte Geografin und Stadt­pla­nerin ist seit Oktober 2022 Spre­cherin für Verkehrs- und Umwelt­po­litik der Grünen-Frak­tion im Landtag. Im Februar desselben Jahres trat sie von ihrem Amt als Frak­ti­ons­vor­sit­zende zurück, das sie seit 2012 inne­hatte. Sie begrün­dete dies damals mit dem Wunsch, mehr Zeit für sich selbst und die eigene Familie zu haben. In ihrem Buch Macht und Müdig­keit“ hat sie 2023 erst­mals die eigene Erschöp­fung im Poli­tik­wesen beschrieben.

poli­ti­ko­range: Sie haben ein Buch zum Thema Macht und Müdig­keit“ geschrieben. Wie haus­halten Sie selbst mit Ihren Kräften?

Antje Kapek: Ich glaube, dass es eine Phase im Leben gibt, die eine einzige Rush­hour ist. Sobald man richtig zu arbeiten beginnt, setzt bei vielen Menschen schnell eine syste­ma­ti­sche Über­for­de­rung ein. Ich war schwanger mit Anfang dreißig, war neben meinem Job auch Bezirks­vor­sit­zende und habe somit 80 – 100 Stunden die Woche gear­beitet. Dann hatte ich irgend­wann keine Tief­schlaf­phasen mehr. Ich hab’ versucht, das alles mit zwei Wochen Urlaub zu covern. Aber nach zehn Jahren war alles vorbei und ich konnte nicht mehr.

Kann man so etwas über­haupt covern“?

Wenn ich schneller erschöpft bin, lerne ich auch früher, mit meinen Kräften zu haus­halten. Wenn ich aber viel abkann, trage ich diesen unge­sunden Lebens­stil im Zwei­fels­fall viel länger mit mir herum. Und unsere Gesell­schaft sugge­riert uns, man könne das alles weg-well­nessen“.

Das hat ja auch etwas mit vermeint­li­cher Effi­zienz zu tun, oder?

Genau, das ist aber Quatsch. Stress baut sich wie eine Treppe auf, aber nicht mehr ab. Wir brau­chen Entspan­nungs­me­thoden, um Stress und Belas­tung abzu­bauen. Wenn ich versuche, mich darauf und auf ein ausge­gli­chenes Leben zu konzen­trieren, dann brauche ich keine Tuch­maske und dann brauch ich auch kein Spa-Wochen­ende. Aber dieses immer Best­leis­tung erbringen zu wollen, wird uns von klein auf aner­zogen. Und wenn wir nicht funk­tio­nieren, sind wir kaputt. Diese über­zo­gene und unge­sunde Leis­tungs­ge­sell­schaft, die sich ja in allen Lebens­be­rei­chen zeigt, ist durch einen kapi­ta­lis­ti­schen Wachs­tums­ge­danken geprägt.

Natür­lich verdiene ich mehr als der Durch­schnitts­bürger. Aber wir arbeiten auch viel mehr als der Durch­schnitt.

Ist das Arbeits­feld Politik anfäl­liger für solche Über­be­las­tungen? Rück­tritte wie der von Kevin Kühnert hatten ja explizit mit ihrer Gesund­heit zu tun gehabt.

Politik setzt voraus, dass du 24/7 sendest, da bist, lieferst. Gleich­zeitig sind Menschen in der Spit­zen­po­litik nicht nur resi­li­enter, sondern auch narziss­ti­scher. Das heißt, sie haben eine Art Schutz. Man liebt die Öffent­lich­keit, man hält es aus.

Meinen Sie nicht, dass es einem eher schlecht geht und man dann diese Aufmerk­sam­keit als Ventil benutzt?

Nein! Ich will ja nicht über­psy­cho­lo­gi­sieren und Politiker*innen haben keine Persön­lich­keits­stö­rung. Aber sie präsen­tieren sich gern selbst. Die Öffent­lich­keit ist nicht das Problem, obwohl heute alle verfolgen können, was ich tue und nicht tue. Ich glaube, dass es ganz viele Berufs­felder gibt, in denen körper­liche Erschöp­fung vorpro­gram­miert ist. Da muss man nur einmal ins Kran­ken­haus schauen. Für uns alle gibt es dennoch Grund­be­din­gungen, die sich ändern müssen.

Was für Grund­be­din­gungen?

Es fängt an bei der Frage: Wo bekomme ich Unter­stüt­zungs­leis­tung? Egal ob ich einen Kita­platz suche oder Ähnli­ches, das Bürgeramt sollte Ansprech­partner sein. Wir alle müssen irgend­wann für pfle­ge­be­dürf­tige Menschen da sein. An diesem Punkt bin ich nicht mehr voll arbeits­fähig. Es sollte Pflege- und Haus­halts­hilfen geben und das auch im psychi­schen Bereich, bei Trau­mata. Es gibt viel zu wenig unter­stüt­zende Ange­bote und verfüg­bares Personal.

Ein Care-Care­paket also?

Genau! Das gibt es in vielen Fällen nicht, obwohl es nötig wäre. Sehr viel Poten­tial geht dadurch verloren, dass Menschen Über­for­de­rung in der Care-Arbeit erfahren und dann nicht mehr ihre Krea­ti­vität oder anderes in der Gesell­schaft einbringen können.

Selbst Kinder zu haben, ist schon der maxi­male Nach­teil.

Viele verlangen ja, darunter auch Carola Rackete, dass Politik nicht bezahlt werden oder nicht so komfor­tabel sein sollte. Was sagen Sie dazu?

Natür­lich verdiene ich mehr als der Durch­schnitts­bürger. Aber wir arbeiten auch viel mehr als der Durch­schnitt. Beispiels­weise eine Finan­zie­rung für die Kinder­grund­si­che­rung zu finden ist viel Arbeit und kostet viel Kraft und Zeit. Ich arbeite jede Minute, in der ich wach bin. Wer mir eine DM schickt, der weiß nicht, ob ich gerade die Hand meines kranken Kindes halte oder in der Bade­wanne bin. Ich bin immer erreichbar. Alles, was wert­voll im Leben ist, Bezie­hungen zum Beispiel, laufen dadurch Gefahr, kaputt­zu­gehen.

Wenn ich meine Abge­ord­ne­ten­diät gegen all meine Stunden Verpflich­tungen rechne, komme ich auf einen deut­lich gerin­geren Stun­den­lohn. Das ist deut­lich weniger Geld, als es klingt. Die Behaup­tung, Politiker*innen würden sich bedienen, ist popu­lis­ti­sche Propa­ganda.

Michael Roth von der SPD wünscht sich, dass vor allem weniger resi­li­ente Menschen in die Politik gehen, damit sich an dieser Norm etwas ändert.

Ich glaube nicht, dass es ausge­schlossen ist, dass Menschen mit weniger Resi­lienz in die Politik gehen. In meiner Erfah­rung bleiben aber alle Menschen, die sich nicht zu 100 Prozent mit ihrem gesamten Leben in die Politik stürzen, irgend­wann auf der Strecke. Selbst Kinder zu haben, ist schon der maxi­male Nach­teil. Und viele der abso­luten Spit­zen­po­li­tiker haben keine Kinder. Das heißt, Macht­ge­füge entstehen dadurch, dass ich jede freie Minute in Netz­werke stecke.

Wir hatten einen Girls‘ Day im Landtag und bei einer Plenar­sit­zung wurde die redende Sena­torin vom halben Plenar­saal nieder­ge­brüllt. Und danach haben die Mädchen dann gefragt: Warum sollte ich diesen Job machen wollen?“ Wir denken darüber natür­lich gar nicht mehr nach. Aber wie soll ich Menschen dazu moti­vieren, wenn es keine Eigen­mo­ti­va­tion gibt?

Frauen müssen lernen, Frauen zu fördern, zu unter­stützen und sich gemeinsam stärker zu machen.

Was verstehen Sie unter Demo­kratie?

Demo­kratie ist eine Viel­falt von Meinungen. Wir haben den Job, mitein­ander diese Meinungen zu disku­tieren. Möglichst viele Meinungen in mir abzu­bilden – das ist nicht mein Job. In der Politik kannst du nichts Schlim­meres machen, als dem hinter­her­zu­rennen, was andere wollen. Ich bin hier, weil ich eine Über­zeu­gung habe und Haltung zeige. Und wenn das den anderen nicht passt, prima (lacht). Wenn ich diese Welt zu einem besseren Ort machen möchte, mich aber nicht traue, dafür zu stehen, wofür bin ich dann?

Frauen leisten noch immer die meiste Care-Arbeit, Politik ist dadurch exklusiv. Was hat das mit der Alther­ren­riege“ zu tun?

Unsere Gesell­schaft ist total patri­ar­chal struk­tu­riert, wenn es darum geht, wem Kompe­tenzen zuge­traut werden. Sigmar Gabriel [2009 bis 2017 SPD-Bundes­vo­sit­zender] und Andrea Nahles [2018 und 2019 Vorsit­zende der SPD] hatten gleich­zeitig ein Kind bekommen. Beide nehmen einen Wochentag frei. Sie bekommt einen Shit­s­torm, er kriegt einen Candy­storm. Und es gibt unend­lich viele Beispiele, warum es für Frauen ungleich schwerer ist, öffent­liche Posi­tionen zu bekleiden.

Können private Entschei­dungen von Poli­ti­ke­rinnen von der Öffent­lich­keit über­haupt je als richtig bewertet werden?

Ich glaube, dass Frauen oft unter schär­feren Maßstäben leiden. Frauen sind ja in der Politik. Aber tatsäch­lich zwei­feln sie häufiger, sind zeit­lich mehr gebunden, schneller an dem Punkt aufzu­geben und kommen schwie­riger an Macht­netz­werke. Diese Macht­netz­werke sind an Männern orien­tiert. Und Männer verhin­dern, dass Frauen an Macht kommen, es sei denn, es bringt ihnen etwas. Solange Frauen nicht lernen, Bande zu bilden und die Männer­netz­werke auszu­ste­chen, werden sie das Nach­sehen haben.

Trotzdem müssen wir Männer über­zeugen, Privi­le­gien abzu­geben. Denn es ist in Ordnung, sie zu teilen.

Braucht es dafür wirk­lich only-women-Netz­werke?

Ja! Frauen müssen lernen, Frauen zu fördern, zu unter­stützen und sich gemeinsam stärker zu machen. Das patri­ar­chale System hat ja hier genau seinen Kern: Das Männer immer Männer fördern. Frauen haben also solange das Nach­sehen, wie es Ihnen nicht gelingt, eigene Banden zu bilden. Meine Haupt­er­kenntnis ist: Auch ich muss so viele Frauen wie möglich mitziehen. Alleine gewinnen wir diesen Kampf nicht!

Männer behaupten oft, für alle“ zu stehen. Sind Frau­en­themen“ über­flüssig?

Die unsicht­bare Frau“ ist ein super Buch dazu, wie alles im Leben auf Männer genormt ist. Genau deshalb braucht es Reprä­sen­tanz von Frauen und Frau­en­themen. Weil wir bislang nicht vorkommen. Diese Annahme ist eine diskri­mi­nie­rende und igno­rante Einstel­lung, wo ich nur sagen kann: Infor­mier dich mal. Irgend­wann hat man einfach keine Lust mehr, die Diskus­sion übers Patri­ar­chat zu führen. Trotzdem müssen wir Männer über­zeugen, Privi­le­gien abzu­geben. Denn es ist in Ordnung, sie zu teilen.

Frau Kapek, vielen Dank für das Gespräch.

Gerne.


Dieser Artikel ist im Rahmen der offenen Redak­tion entstanden. Bei Fragen, Anre­gungen, Kritik und wenn ihr selbst mitma­chen mögt, schreibt uns eine Mail an redaktion@​jugendpresse.​de 


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