Carl Tillessen über Klei­dung für Poli­ti­ke­rinnen: Frauen können es gar nicht richtig machen“

Datum
15. Mai 2025
Autor*in
Alma Jung
Redaktion
politikorange
Thema
#Politik
Nikos Dendias und Annalena Baerbock in Athen.

Nikos Dendias und Annalena Baerbock in Athen.

Amtskolleg*innen Nikos Dendias und Annalena Baerbock in Athen. Foto: The Hellenic Ministry of Foreign Affairs/unsplash
Kleider machen Leute, aber machen sie auch Politik? Welche Zeichen Acces­soires, Hemden und sogar Uniformen setzen könnten, darüber spricht Carl Tillessen im Inter­view. Es geht um Authen­ti­zität, Abgren­zung und die zutiefst patri­ar­chale Ordnung von Klei­dungs­ge­wohn­heiten.

Carl Tillessen ist Leiter des Deut­schen Mode-Insti­tuts (DMI) und als Berater sowie Analyst in Life­style- und Mode­fragen tätig. Das DMI unter­sucht globale Trend­struk­turen im Gebiet der Mode und setzt sich inter­sek­tional mit der Bedeu­tung dieser ausein­ander. Tillessen lädt in ein Restau­rant in Berlin-Schö­ne­berg. Dunkel getä­felte Optik, Stuck an den Wänden. Wir bestellen zwei Wasser.

poli­ti­ko­range: Warum wird die Klei­dung von Poli­ti­ke­rinnen noch heute anders bewertet als die ihrer männ­li­chen Kollegen?

Carl Tillessen: Das ist natür­lich über­haupt nicht zu entschul­digen und besten­falls über veral­tete Rollen­bilder zu erklären. Die Objek­ti­fi­zie­rung ist bis heute ja nicht vorbei. Sätze wie eine Frau ist, was sie ist; ein Mann ist, was er macht“ beur­teilen Frauen ja als passiv und wenn Frauen nicht anhand ihrer Taten beur­teilt werden, rückt das Äußere mehr in den Fokus. Aber das Ganze hängt auch damit zusammen, dass es da mehr zu sehen gibt. Selbst bei den Poli­ti­ke­rinnen, die sich schon sehr streng gekleidet haben, gab es noch einen Schmü­cker, eine Sache. Broschen, Taschen oder etwas Vergleich­bares. Deshalb stechen sie auf den Grup­pen­fotos bis heute heraus.

Mitt­ler­weile verzichten Frauen aber unseren Analysen nach auch schon groß­flä­chig darauf, Kamala Harris trägt beispiels­weise kaum Acces­soires. Mich ärgert es tatsäch­lich, dass Männer in Schmü­ckern keinen Mehr­wert sehen. Klei­dung sollte als Kommu­ni­ka­ti­ons­mittel genutzt werden.

Also ist die bessere Alter­na­tive zu strenger“ Klei­dung viel­mehr, dass alle sich Gedanken über die trans­por­tierte Botschaft machen?

Ja und ich finde auch, dass männ­liche Poli­tiker einem vieles über ihre Anzüge sagen. Es geht immer um Zuge­hö­rig­keit und Abgren­zung. Bei der Union hat man meis­tens das volle Programm, also weißes Hemd, blauer Anzug und Krawatte. Wenn ich über Frauen der Partei nach­denke, fällt mir nichts auf Anhieb ein. Da gibt es kaum diese Scha­blone. Auch bei der SPD ist das schwierig. Männ­liche SPD-Abge­ord­nete haben auch ein weißes Hemd, viel­leicht den ersten Knopf offen, um etwas weniger konser­vativ zu wirken.

Bei der FDP würde ich einen klas­sisch silber­grauen Anzug mit einem weißen Hemd erwarten, auch etwas geöffnet, tail­liert geschnitten. Das ist aber auch sehr durch Chris­tian Lindner geprägt. Die Grünen haben jetzt oft durch Habeck dieses Bild vom lockeren Hemd mit Jeans. Anna­lena Baer­bock prägt durch schlichte Kleider, die nicht zu einengend sind, aber immer hoch­ge­schlossen.

Und die AfD nutzt meist Cham­bray-Hemden, Motiv­kra­watten, Einsteck­tü­cher, Tweed-Sakkos, Broken Suits — all das, was unter old-money“ fällt. Die Poli­ti­ke­rinnen tragen auch oft Tweed-Blazer. Alice Weidel hat immer ihre Perlen­kette. Es gibt viele hell­blaue Blusen. Das ist dann dieses Pendant im Konser­va­tiven.

Wir Deut­schen sind gene­rell weniger prah­le­risch in der Öffent­lich­keit, unsere Politiker*innen haben Skrupel, die glei­chen Auftritte wie extra­va­gante andere Regie­rende an den Tag zu legen.

Die Grünen sind ja deut­lich konser­va­tiver geworden, spie­gelt sich das auch in ihrer Klei­dung wider?

Ja, sie signa­li­sieren: Wir sind in der Mitte ange­kommen. Es gibt keine Rasta­lo­cken, keine klas­si­schen Pullis und Öko“-Outfits mehr. Das klas­si­sche Hemd zeigt: Wir sind die Realos und stehen auch für Wirt­schafts­wachstum und Kompe­tenz im Bereich Wirt­schaft gene­rell.

Carl Tillessen_privat

Carl Tillessen. Foto: privat

Wird reicher ausse­henden Politiker*innen dann mehr Kompe­tenz in der Wirt­schaft zuge­traut?

Ja, das ist ein Paradox, oder? Im Poli­ti­schen und Geschäft­li­chen ist das ganz wichtig. Das ist absurd. Politiker*innen sollen nicht reich sein, aber dann wollen wir, dass sie trotzdem so aussehen. Dann vertrauen wir darauf, dass sie besser mit dem Geld des Landes haus­halten, obwohl und gerade weil sie viel­leicht für mehrere tausend Euro einen Anzug tragen. Es ist merk­würdig, dass wir alle anschei­nend von Reichen vertreten werden wollen.

Abfäl­lige Kommen­tare und reine Bewer­tung ihrer Körper sind vor allem bei Poli­ti­ke­rinnen auch Teil der Bericht­erstat­tung.

Gewis­ser­maßen wird immer etwas bemän­gelt. Frauen können es da gar nicht richtig machen. Entweder wird sich beschwert, dass zu viel Aufmerk­sam­keit auf das Aussehen verwendet wird, dann wird frau zum Mode­püpp­chen“ dekla­riert. Kosten für das Outfit werden ausge­rechnet und wenn die Leute finden, es ist zu viel, wirst du ange­griffen. Wenn es zu wenig ist, dann wird bemän­gelt, dass die Frauen das Land nicht respek­tabel reprä­sen­tieren.

Und bei Männern gibt es das nicht?

Naja, meis­tens nicht. Nur wenn wie damals bei Gerhard Schröder öffent­lich wird, dass er Brioni trägt, dann fangen die Leute an, nach­zu­rechnen. Aber norma­ler­weise inter­es­siert das keinen. Ich sehe, wenn jemand einen sehr teuren Anzug anhat, aber für die meisten sieht das ja alles gleich aus. Deshalb gibt es dieses zu wenig, zu viel“ nicht, solange kein Skandal entsteht.

137.000 Euro hatte Anna­lena Baer­bock 2024 angeb­lich für ihre Stylistin ausge­geben. Ein Aufschrei scheint da schon fast vorpro­gram­miert. Sollte Mode, Maske und Co. ein gere­geltes Budget haben, sodass alle Politiker*innen trans­pa­rent dieselben Ausgaben tätigen dürfen? Würde das der Unzu­frie­den­heit die Luft aus den Segeln nehmen?

Nein, ich denke, die Chance, etwas auszu­drü­cken, ist viel zu groß. Machen wir uns nichts vor, wir können nicht nichts aussagen mit unserer Klei­dung. Und Politiker*innen können sich dem ebenso wenig entziehen, deshalb gilt es, die Botschaft zu trans­por­tieren, die zu einem passt. Es gibt keine Neutra­lität.

Ein schwarzer Blazer, weißes Hemd, schwarze Hose könnten nicht neutral sein?

Nur wenn alle das tragen würden.

Könnten Sie sich eine Uniform vorstellen?

Inter­es­sante Idee. Die Bilder aus der DDR früher, wo oft alle gleich ange­zogen zusam­men­ge­ar­beitet haben, die haben ja eine utopi­sche Schön­heit von Egalität. Aber histo­risch haben diese strengen Regeln immer dazu geführt, dass Leute sich darüber profi­lieren, dass sie diese Regeln brechen. Wie Joschka Fischer mit seinen Turn­schuhen in den 1986ern. Die sagten: Ich bin jung, unkon­ven­tio­nell, inno­vativ“. Das hat diesen Alt-Hippie-Look“ maßgeb­lich beein­flusst. In der Folge hatte es sich irgendwo zwischen solchen Elementen aus der Frei­zeit­klei­dung und dem klas­sisch strengen Anzug einge­pen­delt. Bis die AfD kam. Der Land­adels-Stil ist natür­lich nicht neu, aber damit sind sie den Kord­an­zügen der Altacht­und­sech­ziger zu nah gekommen, was dann zur Rück­kehr der klas­si­schen dunkel­blauen Anzüge führte.

Gruppenaufnahme des Ministerrates der DDR

"Utopische Egalität": Die Uni-Form in der DDR. Foto: Bundesarchiv, Bild 183-Z0626-408 / CC-BY-SA 3.0

Was könnte innen­po­li­tisch für eine Uniform spre­chen und was dagegen?

Diese Art Demut gegen­über dem Volk. Ich denke, es würde symbo­lisch eine große Schlag­kraft haben, es zeigt, wem die Politiker*innen sich zum Dienst verschreiben. Es ist ja immer die Heraus­for­de­rung, den rich­tigen Ton zu treffen, in puncto Kosten, aber auch bei der Frage, wie auffällig etwas ist. In der Betriebs­wirt­schafts­lehre spricht man vom Kontext­pro­blem. Jemand verhält sich in bestimmter Klei­dung, zum Beispiel Uniform, tenden­ziell anders als als Privat­mensch. Ein Kellner geht in einer Schürze anders mit unfreund­li­chen Kund*innen um, als es die Privat­person tun würde.

Das heißt, eine Uniform könnte einen zum Funk­tionär machen. Das Dilemma ist, dass wir das nur für Männer defi­niert haben. Es sind diese Anzüge, Krawatten et cetera. Bei Frauen fehlt dieser Code: Wie sieht die Funk­tio­närin aus? Das ist die Spät­folge dieser Ungleich­heit aus der Vergan­gen­heit, die sich in der Mode wieder­findet. Die einzige Möglich­keit scheint oft, die weib­liche Vari­ante eines männ­li­chen Klischees zu suchen.

Klei­dung ist aber nur ein kleiner Baustein dieser poli­ti­schen Etikette, bei der es zum Beispiel darum geht, wer wem die Hand gibt, wer wo steht und so weiter.

Anna­lena Baer­bocks Termin in Syrien und ihre Klei­dung hatten ja für viel Wirbel gesorgt. Wie wichtig sind Signale auf dieser Ebene außen­po­li­tisch?

Sie hätte etwas Provo­zie­rendes tragen können, hat sie aber nicht. Trotzdem wurde es so bewertet, was stark an eine Täter-Opfer-Umkehr erin­nert. Ihr Kleid war plötz­lich zu hell und zu eng, während die Männer in viel zu engen Anzügen daneben standen. Ich war total begeis­tert von ihrem Auftreten, aber der Moment hat doch gezeigt, in welcher Situa­tion wir uns global immer noch befinden. Dass die neuen, vermeint­lich libe­ralen Macht­haber nicht unbe­dingt weniger frau­en­feind­lich sind. Ein Beispiel: Nathalie Amiri kann als ARD-Korre­spon­dentin nur aus dem Iran berichten, wenn sie ein Kopf­tuch trägt. Man würde sich mit Blick auf die Wirkung wünschen, dass sie keins anzieht. Aber oft fallen die großen Signale dann dem Prag­ma­tismus zum Opfer.

Donald Trumps Klei­dung wird oft als V‑Form beschrieben, er trägt große Schul­ter­polster und lange Krawatten. Wofür steht das ihrer Meinung nach und warum wird er so gekleidet?

Auf den ersten Blick könnte man sagen, ist ja ein sehr normaler Look. Rote Krawatte, blauer Blazer. Aber die Krawatte trägt er beispiels­weise sehr lang. Das kommt aus einer Zeit, wo Hosen einen höheren Bund hatten und sie eben bis zum Hosen­bund reichten. Es hat also etwas Konser­va­tives, schon fast wider­spens­tiges. Außerdem hat auch der Schnitt seines Anzugs eine maximal unei­tele Außen­wir­kung und verkör­pert dieses klas­sisch hete­ro­se­xu­elle Bild eines Mannes, diese Egal-Haltung Klei­dung gegen­über. Aber wie gesagt, auch das ist geplant. Es ist ihm nicht egal.

Gegen­stücke wären Emma­nuel Macron oder Justin Trudeau, die sich körper­be­ton­tere Anzüge schnei­dern lassen und augen­schein­lich Wert darauf legen, vorteil­haft, viel­leicht sogar als attraktiv wahr­ge­nommen zu werden.

Trump dagegen ist ein groß­spu­riger Typ und das ist sein groß­spu­riger Anzug. Aber trotzdem signa­li­siert der Anzug, dass ihm Trends egal sind, es ist ein betont unmo­di­scher Anzug, der eine sehr reak­tio­näre Haltung offen­bart. Und am Ende stellt sich die Frage, hat das einen Vorteil, sich weniger ästhe­tisch zu kleiden, damit sich die Menschen eher auf das Gesagte konzen­trieren?

Viele erfolg­reiche weib­liche Poli­ti­ke­rinnen haben und hatten Kurz­haar­schnitte. Angel Merkel, Anne­gret Kramp-Karren­bauer…

Früher gab es diese Annahme, Frauen müssten auf jeden Fall männ­lich auftreten, sich so kleiden, frisieren, um in der Männer­welt“ zu arbeiten. Diese gängige Auffas­sung hinter­lässt ihre Spuren. Das fängt schon damit an, dass die meisten Menschen Seriö­sität mit Hosen verbinden, mit Röcken aber eher nicht. Farbe wird immer noch als weib­li­ches Mode-Attribut gesehen.

Schaden weib­liche Attri­bute oder weib­lich gele­sene Klei­dung ihren Träger*innen?

Ja, weil die männ­liche Figur in der Öffent­lich­keit gesetzt ist. Und die Annä­he­rung männ­li­cher und weib­li­cher Klei­dung findet ja nur einseitig bei Poli­ti­ke­rinnen statt. Kein Poli­tiker kleidet sich weib­li­cher und so bleibt der männ­liche Dress­code der Stan­dard. Das Perfide an Frau­en­mode ist ja auch, dass sie ohnmächtig macht, hilflos. Schuhe, in denen das Laufen schwer fällt oder taschen­lose Klei­dung. Das will ja niemand frei­willig adap­tieren.

Ein Schritt in die rich­tige Rich­tung wäre, in Frau­en­klei­dung mehr Taschen vorzu­sehen, statt ihnen Hand­ta­schen zu verkaufen. Auch die Diskre­panz bei der sexua­li­sie­renden Betrach­tung und Bewer­tung von Frauen und Männern muss aufhören. Im letzten Bundes­tags­wahl­kampf habe ich zum ersten Mal bewusst gesehen, dass ein männ­li­cher Poli­tiker, nämlich Robert Habeck, als Stra­tegie dieses eroti­sie­rende Element genutzt hat.

Worauf spielen Sie an?

Tillessen scrollt auf dem Handy, sucht Habecks Insta­gram-Profil heraus. Scholz sieht auf Plakaten immer so pass­bild-mäßig aus, Habeck zeigt etwas mehr Körper. Auf seinem Insta­gram-Profil­bild ist sein Schritt auf Augen­höhe und er krem­pelt seine Hemds­ärmel hoch. Das ist ein inter­es­santes Gegen­stück zu anderen Poli­ti­kern. Erotik wird hier zum ersten Mal Thema. Man(n) tut ja immer so, als wären Frauen von sich aus eroti­sche Wesen. Und jetzt haben wir diese neue Bild­sprache, die eben dieses vermeint­lich weib­liche Feld aufwertet.

Was hat sich Robert Habecks Team von dem tenden­ziell lasziven Auftritt erhofft?

Ich glaube, dahinter stand die realis­ti­sche Einschät­zung, dass soziale Medien wie Insta­gram wegen ihrer Reich­weite wichtig, aber eigent­lich für poli­ti­sche Inhalte unge­eignet sind. Und die Thirst Trap ist das, was dort immer noch am besten funk­tio­niert. Mit nichts sammelt man auf Insta­gram so viele Clicks und Likes wie mit eroti­schen Signalen.

Gibt es erste Erkennt­nisse, ob Ihnen das geholfen oder geschadet hat?

Darüber weiß ich nichts. Ich glaube aber: weder noch. Wenn man Robert Habecks Wahl­kampf­posts über­fliegt, ist jeden­falls kein Zusam­men­hang zwischen Körper­ein­satz und Views und Likes zu erkennen. Auf seinem Profil­bild ist inzwi­schen wieder sein Gesicht, statt sein Schritt zu sehen.

Männer eignen sich hier ja ein den Frauen immer vorge­wor­fenes Spiel mit ihren Reizen“ an. Warum wird das auf einmal gewollt?

Mein Eindruck ist, dass die Parteien inzwi­schen – unab­hängig vom Geschlecht – versu­chen, wirk­lich jede irgendwie posi­tive oder attrak­tive Eigen­schaft ihrer Kandi­daten auszu­spielen, egal ob diese im Zusam­men­hang mit dessen poli­ti­scher Eignung steht oder nicht.

Herr Tillessen, vielen Dank für das Gespräch.

Sehr gern.


Der Artikel ist im Rahmen der offenen Redak­tion entstanden. Bei Fragen, Anre­gungen, Kritik und wenn ihr selbst mitma­chen mögt, schreibt uns eine Mail an redaktion@​jugendpresse.​de 


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