Land­rutsch: Hier verliert die CDU an Boden

Datum
27. September 2021
Autor*in
Julius Kölzer
Redaktion
politikorange
Themen
#BTW21 #Wahlen
Quadrat - Instagram (Grafik von Christopher Folz)

Quadrat - Instagram (Grafik von Christopher Folz)

Der Volks­par­teien-Status der Union bröckelt. Sichtbar wird das nicht nur an einem bundes­weit histo­risch schlechten Ergebnis, sondern auf der Wahl­kreis­karte. Julius Kölzer erklärt die Hinter­gründe.

Aufmacher - Deutschlands 299 Wahlkreise waren noch nie so bunt (Grafik von Christopher Folz)

Deutschlands 299 Wahlkreise waren noch nie so bunt. Grafik: Jugendpresse Deutschland / Christopher Folz

Deutsch­land hat gewählt. Die Verschie­bungen der Kräf­te­ver­hält­nisse und die Verän­de­rung des Partei­en­sys­tems drücken sich auch in der poli­ti­schen Land­karte aus. Rele­vant sind hierbei vor allem die massiven Stim­men­ver­luste der CDU: Sowohl bei Erst- und Zweit­stimmen verliert die Partei jeweils 3,6 Millionen Stimmen. Von den bisher 185 Direkt­man­daten der CDU bleiben nach dem gest­rigen Wahl­abend gerade einmal 98 Wahl­kreise übrig. Die Verluste der CDU auf der Wahl­kreis­karte sind jedoch nicht nur reines Zahlen­spiel, sondern Ausdruck einer zentralen poli­ti­schen Verän­de­rung: Der Volks­par­tei­en­status der CDU ist noch nie so deut­lich gebrö­ckelt. Die Christdemokrat*innen verlieren dabei in verschie­dene poli­ti­sche Rich­tungen in unter­schied­li­chen Regionen und müssen zudem selbst um ihre tradi­tio­nellen Wählen­den­mi­leus kämpfen. In Bezug auf die Direkt­man­date stechen drei Trends hervor.

Stadt­flucht

Was sich bereits bei der Euro­pa­wahl 2019 abzeich­nete, ist gestern Abend noch viel deut­li­cher geworden: Der Schwund der CDU in den Groß­städten ist allge­gen­wärtig. West­deut­sche Ballungs­räume gewinnen SPD und Grüne reihen­weise von der CDU: Frei­burg, Stutt­gart, Frank­furt am Main, Köln, Heidel­berg, Osna­brück, Münster, Flens­burg, Düssel­dorf, Mann­heim, München Süd, Hamburg-Nord, Erfurt, Halle, Chem­nitz, sowie die Berliner Wahl­kreise Tempelhof-Schö­ne­berg, Char­lot­ten­burg-Wilmers­dorf. Auch der Heimat­wahl­kreis von Armin Laschet, in Aachen, geht an die Grünen.

Ein Ausschnitt der Wahlkreiskarte mit dem Süden und Südwesten Deutschlands.

Ob Köln, Stuttgart oder Freiburg: die CDU verliert viele ihrer Großstadtmandate an SPD und Grüne. Grafik: Jugendpresse Deutschland / Christopher Folz

Die CDU ist vor allem noch im länd­li­chen Raum mit geringer Bevöl­ke­rungs­dichte vergleichs­weise stark. Für eine Partei, der es zuneh­mend nicht gelingt, Menschen im urbanen Raum anzu­spre­chen und für sich zu gewinnen, wird es zuneh­mend schwierig, für sich den Status einer inte­gra­ti­ons­fä­higen Volks­partei zu rekla­mieren. Was für die CDU spätes­tens seit dem Wahl­abend ein offen­sicht­li­ches Problem ist, betrifft die CSU in Bayern bislang nicht: Von allen 46 bayri­schen Direkt­man­daten, gewinnt die CSU 45. Ledig­lich den Wahl­kreis München-Süd verliert sie an die Grünen. Grund für die anhal­tende Domi­nanz der CSU auch im städ­ti­schen Bayern ist jedoch vor allem, dass sich Kandi­die­rende der SPD und Grünen in vielen Wahl­kreisen die Stimmen gegen­seitig wegnehmen. CSU-Kandi­die­rende werden so zu Wahl­kreis­ge­win­nern mit wenigen tausend Stimmen Abstand. Mit einem gemein­samen Kandi­de­r­enden hätten SPD und Grüne etwa alle Wahl­kreise in München, Nürn­berg und Augs­burg gewinnen können. 

Verluste im Osten trotz Kret­schmer und Haseloff 

Die Wahl­karte in Deutsch­lands Osten ist blau. Die CDU schaffte es nicht, die AfD dort zurück­zu­drängen – trotz entspre­chenden Hoff­nungen nach den Wahl­siegen von Michael Kret­schmer 2019 in Sachsen und Rainer Haseloff in Sachsen-Anhalt in diesem Jahr. Beispiel Sachsen: Von den 16 Direkt­man­daten gewinnt die CDU ledig­lich fünf und landet mit 17% der Zweit­stimmen deut­lich hinter der AfD (24%, zwölf Direkt­man­date). Glei­ches gilt für Thüringen, wo die CDU fast alle Wahl­kreise verliert und in der Zweit­stimme deut­lich hinter der AfD landet. Auch der Landes­ver­band von Reiner Hasel­hoff in Sachsen-Anhalt schafft trotz des guten Ergeb­nisses bei der Land­tags­wahl im Juni nur Drei ihrer neun Wahl­kreise zu vertei­digen. 

Ein Ausschnitt der Wahlkreiskarte mit dem Osten Deutschlands.

Problemfall AfD – Während die CDU Mandate an SPD und Grüne verliert, ist der Gegner im Osten die AfD. Grafik: Jugendpresse Deutschland / Christopher Folz

Auch in Bran­den­burg und Meck­len­burg-Vorpom­mern verliert die CDU kräftig, hier jedoch beson­ders an die Sozialdemokrat*innen. Die SPD profi­tiert von der Beliebt­heit Manuela Schwe­sigs und gewinnt im struk­tur­schwa­chen Meck­len­burg-Vorpom­mern alle Direkt­man­date von der CDU. Selbst lokale Polit­größen wie Philipp Amthor sind davon betroffen. Auch der ehema­lige Wahl­kreis von Angela Merkel geht an die SPD – trotz Unter­stüt­zung der Kanz­lerin für ihren Nach­folger. Im länd­li­chen Bran­den­burg, aufgrund der regio­nalen Bedeu­tung der Land­wirt­schaft eigent­lich CDU-Kern­land, das gleiche Bild: Die CDU verliert alle Direkt­man­date an die SPD. 

Verluste in der länd­li­chen Kern­wäh­len­den­schaft auch im Westen

Ein Ausschnitt der Wahlkreiskarte mit dem Nordosten Deutschlands.

Der Nordosten Deutschlands – von der Lausitz bis zur Ostsee konnte die SPD alle Direktmandate gewinnen. Grafik: Jugendpresse Deutschland / Christopher Folz

In den Städten im Westen und weite Teile Ostdeutsch­lands verliert die CDU also ihre (rela­tive) Stärke. Doch es kommt noch Ärger. Auch der länd­liche Raum in West­deutsch­land ist keine sichere Basis mehr für die CDU. Diese Erfah­rung musste auch Julia Klöckner machen, die ihren Wahl­kreis in Rhein­land-Pfalz an die SPD verlor. Auch andere länd­liche Wahl­kreise im katho­li­schen Südwesten wie Südpfalz, Saar­louis, Homburg, St. Wedel gehen wieder an die SPD. Selbst nieder­säch­si­sche Wahl­kreise, in denen klas­si­sche CDU-Klientel der Land­wirt­schaft bedeutsam sind, im Umland von Hannover und Delmen­horst – Weser­marsch – Olden­burg-Land, verliert die CDU. In Nieder­sachsen und Schleswig-Holstein wech­seln auch länd­liche Regionen mit vielen Pendelnden, in den Groß­raum Hamburg wieder klar zur SPD.

Volks­par­teien schaffen es, sowohl die Inter­essen des länd­li­chen und städ­ti­schen Raums zu berück­sich­tigen und verschie­dene Milieus trotz poten­zi­eller Gegen­sätze zu inte­grieren. Ange­sichts der Ergeb­nisse der Bundes­tags­wahl 2021 muss die CDU sich fragen, ob sie das noch von sich behaupten kann. Ebenso unge­klärt ist die Frage, ob für die Union der Status einer Volks­partei über­haupt noch erstre­bens­wert bezie­hungs­weise wieder erreichbar ist, wenn die soziale Frag­men­tie­rung weiter zu- und gesell­schaft­liche Konsens­bil­dung abnimmt. Der Schwund klas­si­scher Kernwähler*innenschaften und klas­si­scher Wählen­den­mi­leus, stellt die CDU jeden­falls vor zentrale program­ma­ti­sche, struk­tu­relle und perso­nelle Heraus­for­de­rungen.


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