Politik, Macht, krank

Datum
03. Februar 2025
Autor*in
Alma Jung
Redaktion
Jugendpresse Deutschland
Thema
#Politik
Unter der Glaskuppel—Wie leicht arbeitet es sich im Bundestag wirklich? Foto: Claudio Schwarz/unsplash

Unter der Glaskuppel—Wie leicht arbeitet es sich im Bundestag wirklich? Foto: Claudio Schwarz/unsplash

Politik macht krank – Eine These, die durch sämt­liche Beispiele von Rück­tritten und öffent­li­chen State­ments von Abge­ord­neten getragen wird. Warum ist das so?

Als von ausge­wählten Menschen vertre­tene Demo­kratie verlangen wir von unseren Politiker*innen, dass sie möglichst schnell und möglichst bald etwas bewirken. Von der Ampel und beson­ders den Grünen waren viele umwelt­be­wusste, junge Menschen in den letzten Jahren enttäuscht. Dabei blenden wir aus, dass Politik aus Kompro­missen und die Ampel nicht nur aus den Grünen bestand.

In der Politik müssen gewählte Vertreter*innen dauer­haft mit der Krux umgehen, dass sie macht­loser sind, als sie vor dem Wahl­kampf ange­priesen haben. Stress­frei geht anders.

Inter­na­tio­nale, aber auch natio­nale Politik hat keinen Feier­abend. Die vielen Krisen unserer Zeit kommen wie unend­liche Berge aus Akten auf den Schreib­ti­schen der Politiker*innen an. Während eine Aufzäh­lung wie Klima­krise, marode Schulen, Lehr­kräf­te­mangel, Über­be­las­tung beim Pfle­ge­per­sonal, Ukrai­ne­krieg, Welt­hunger und so weiter bei den meisten von uns Welt­schmerz und Verzweif­lung verur­sa­chen würde, müssen Politiker*innen für all das einen Ausweg finden.

Was ist eine ange­mes­sene Bezah­lung?

Aber man werde dafür ja unver­schämt entlohnt, würden Zyniker*innen nun sagen. Und ja, das ist nicht von der Hand zu weisen. Ohne Neben­ein­künfte und steu­er­frei wird eine*r von den 736 Bundes­tags-Abge­ord­neten, die wir mit unseren Steuern finan­zieren, laut offi­zi­eller Bundestag-Webseite mit monat­lich 11.227,20 Euro nach Hause geschickt. Das klingt vor allem für dieje­nigen unge­recht, die selbst unter Dauer­stress in Krisen­ar­beits­fel­dern wie der Pflege tätig sind und darauf warten, dass sich der untrag­baren Über­be­las­tung und Unter­be­zah­lung des Perso­nals poli­tisch ange­nommen wird.

Im Gespräch mit poli­ti­ko­range kriti­siert Antje Kapek von den Grünen aller­dings das Unver­ständnis über den Lohn der Poli­tik­schaf­fenden. Sie meint, würde man alle Stunden – 24 pro Tag, 7 Tage die Woche – an denen sie erreichbar und arbeits­fähig sein muss, zusam­men­zählen, käme man auf einen deut­lich gerin­geren Stun­den­lohn“. Politik sei, wie andere Berufe auch, von unschaff­baren Arbeits­be­din­gungen geprägt und für die Menschen burn­out­ge­fähr­dend. Politik beinhalte wie der Pfle­ge­beruf zwar Nacht­schichten, biete aber einen großen Raum, die eigenen Visionen zu verwirk­li­chen, und auch sonst mehr Macht, räumte sie ein.

Das Universum der Arbeits­tiere

Ricarda Lang trat im vergan­genen Jahr vom Vorstand der Grünen zurück und gab an, ihre öffent­liche Persona hätte sich zu weit von ihr als Mensch, aber auch von allen Menschen entfernt. Ich hatte meine Unbe­küm­mert­heit verloren, sprach scha­blo­nen­haft“, sagte sie in einem Inter­view mit der Bunten und betonte dabei, dass eben auch Politiker*innen Menschen sind.

Wir sehen: Es kann niemand perfekt sein, der oder die auch einmal die mensch­li­chen Grund­be­dürf­nisse erfüllen möchte und solange wir uns keine Roboter, sondern Menschen im Amt wünschen, sollten wir viel­leicht darauf achten, dass diese nicht den Bezug zur Außen­welt und sich selbst durch ein immenses Arbeits- und Öffent­lich­keits­ar­beits­pensum verlieren.

In einem Inter­view mit dem SZ-Podcast Auf den Punkt“ sprach Michel Roth als Bundes­tags­ab­ge­ord­neter der SPD auch über das dicke Fell“, das viele in der Politik versucht hätten, aufzu­bauen. Er wünschte sich mehr Ehrlich­keit, auch zu sich selbst und einen offe­neren und gesün­deren Umgang mit Stress. Roth spricht von einer Hektik“ im Poli­tik­wesen, von der man sich leicht anste­cken lasse. Er skiz­ziert ein Universum der Arbeits­tiere, die schon längst keinen gesunden Schlaf- oder Lebens­rhythmus haben.

Roth plädiert dafür, dass eben die Menschen, die kein dickes Fell“ haben und sensibel sind, trotzdem in die Politik gehen und dort authen­tisch und achtsam wirken sollen. Er ist der Auffas­sung, dass die Politik, wenn nur dieje­nigen übrig bleiben, die näch­te­lang auf Schlaf und alle anderen Bedürf­nisse wie Frei­zeit verzichten können, ihre Bezie­hung zum Volk endgültig verliert.

Kaum Frauen im 24-Stunden-Busi­ness

Die wöchent­li­chen Arbeits­zeiten Abge­ord­neter sind teils drei­stellig. Neben parla­men­ta­ri­schen Tätig­keiten, Talk­shows, Besu­chen bei Veran­stal­tungen, öffent­li­chen Reden und nie endenden Konfe­renzen, können Familie und Privat­leben schnell zu kurz kommen. Das wiederum kann sich nicht jede*r leisten und die Alther­ren­riege’ im Bundestag entsteht schnell. Denn: Wenn Politik mehr als ein Voll­zeitjob ist, fällt es schwer, eine Frau­en­quote einzu­halten und ein Geschlech­ter­gleich­stand scheint weit entfernt.

Frauen, die ohnehin durch häufi­gere Eltern­zeit und Care-Arbeit weniger Kapa­zi­täten und mehr Stress haben, werden bei durch­schnitt­lich 80-Stunden Wochen immer rarer im Bundestag. Wir suchen nach mehr Reprä­sen­ta­tion aller Bevöl­ke­rungs­gruppen, aber unser System bestraft die, die es sich nicht erlauben können, den Beruf vor die Familie zu stellen. Viel­leicht, weil sie allein­er­zie­hend sind oder gesell­schaft­lich mehr Inves­ti­tion in die Familie gefor­dert und erwartet wird.

Der Fall Anne Spiegel zeigte 2021: Eine Minis­terin muss erreichbar sein. Immer. Zehn Tage nach der Flut­ka­ta­strophe im Juli ist sie mit Mann und Kindern in den Urlaub gefahren. Und weil sie nicht irgend­einen Job, sondern den der Minis­terin inne­hatte, war das nicht in Ordnung. Sogar so verhee­rend für ihren Ruf, dass sie schluss­end­lich zurück­trat. Es spielte keine Rolle, dass ihre Kinder und ihr Mann das laut eigenen Aussagen drin­gend gebraucht hatten. Privates war zweit­rangig. Gerade als Fami­li­en­mi­nis­terin wurde von ihr verlangt, Kinder und Politik mit einem Posi­tiv­bei­spiel unter einen Hut zu bringen. Juli 2021 dann ein privater Schick­sals­schlag und ihre vier Kinder waren ihr einmal wich­tiger gewesen als ein Kabi­nett. In ihrer darauf­fol­genden Rede bat sie um Entschul­di­gung für diesen Fehler“.

Zeit­lich begrenztes Mandat? Es ist kompli­ziert.

Carola Rackete – Ex-Kapi­tänin, Akti­vistin und Spit­zen­kan­di­datin der Linken bei der Euro­pa­wahl – hatte im Inter­view mit web​.de vorge­schlagen, ein Mandat zeit­lich zu begrenzen, wie in den USA den Präsident*innenposten. Racketes Idee könnte das Problem der teils zu zeit- und ressour­cen­in­ten­siven Arbeit lösen, da weniger Durst­stre­cken entstehen, auf denen Politiker*innen mit Schuld­ge­fühlen einem uner­reich­baren Ideal hinter­her­laufen. Um wirk­lich Burn­outs zu vermeiden, dürfte die Zeit­spanne aber nicht beson­ders viele Legis­la­tur­pe­ri­oden umfassen. Jedoch würde so niemand der Politiker*innen lang genug im Amt bleiben, um sich in das Geschehen einzu­ar­beiten, und diese Uner­fah­ren­heit könnte schnell zum Verhängnis werden. Abstim­mungen würden sehr wahr­schein­lich häufig schei­tern, da dienst­äl­tere Politiker*innen oft kompro­miss­er­probter und ‑bereiter sind.

Schluss­end­lich gibt es noch keine ideale Lösung für das Problem. Die Demo­kratie ist durch ihre Viel­falt und den Versuch der größt­mög­li­chen Gerech­tig­keit für alle zwar nicht die effi­zi­en­teste Form der Entschei­dungs­fin­dung, aber es ist die beste, die wir haben. Und genauso wie es keine Alter­na­tive zu ihr als Konzept gibt, gibt es keine Alter­na­tive zu mensch­li­chen Politiker*innen.

Menschen sind fehlbar und haben Bedürf­nisse. Natür­lich hat es eine Berufs­po­li­ti­kerin besser als ein Kran­ken­pfleger, monetär gesehen. Poli­tik­schaf­fende haben viel Macht und sollten ihrer Verant­wor­tung defi­nitiv gerecht werden. Aber nur weil eine Verant­wor­tung mit Privi­le­gien einher­geht, kann sie nicht das Unmensch­liche von Personen verlangen.

Dieser Artikel ist im Rahmen der offenen Redak­tion entstanden. Bei Fragen, Anre­gungen, Kritik und wenn ihr selbst mitma­chen mögt, schreibt uns eine Mail an redaktion@​jugendpresse.​de


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