Höhen­flug für die Minder­heit

Datum
19. Mai 2022
Autor*in
Eileen Linke
Redaktion
politikorange
Themen
#LTW_SH22 #Wahlen
Pascal Schmidt (Direktkandidat Kiel-Ost)

Pascal Schmidt (Direktkandidat Kiel-Ost)

Pascal Schmidt (Direktkandidat Kiel-Ost) nutzt den Abend vor der Wahl für Gespräche über das Wahlprogramm des SSW. / Foto: Jugendpresse Deutschland / Thomas Fries

Der Südschles­wig­sche Wähler­ver­band (SSW) holte bei der Land­tags­wahl in Schleswig-Holstein mehr Stimmen als je zuvor. Doch wofür steht die Partei?

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Es ist Sams­tag­nach­mittag, einen Tag vor der Wahl. Marvin Schmidt und Jacque­line Hüls sitzen in Marvins Wohnung am Schreib­tisch und bereiten sich auf den Kneipen-Wahl­kampf vor, der in zwei Stunden statt­finden soll. Auf dem Tisch stehen Kisten mit kleinen Schnaps­fla­schen. Marvin, der wie Jacque­line im Vorstand der SSW-Jugend Kiel ist, druckt noch die Sticker aus, die dann auf die Flaschen geklebt werden sollen. Morgen SSW wählen“ steht darauf.

Als Direkt­kan­didat für den Wahl­kreis Kiel-Nord liegen anstren­gende Wochen hinter ihm, die mit Wahl­ständen, Podi­ums­dis­kus­sionen und dem Verteilen von Flyern gefüllt waren. Der 24-Jährige ist noch Master-Student an der Kieler Univer­sität. Es war für ihn oft nicht einfach, das Studium und seine Arbeit als Lehrer an einer Schule in Mettenhof mit dem Wahl­kampf zu vereinen.

So wie ihm geht es den meisten seiner Parteikolleg*innen aus Kiel, die auch zusätz­lich arbeiten oder studieren. Andere Parteien können mit ihren Mitteln jeden Tag Wahl­stände besetzen, aber wir müssen uns gezielt lukra­tive Stand­orte aussu­chen, an denen wir die meisten Menschen mit unserer Idee errei­chen können“, erzählt Marvin.

Der von der Jugend­or­ga­ni­sa­tion des SSW orga­ni­sierte Bar-Wahl­kampf gehört für die Partei schon zu den größeren Abend­pro­grammen. Wenn zwanzig Menschen bei ihren Veran­stal­tungen mitma­chen, sei das ein Erfolgs­er­lebnis. Das liegt daran, dass selbst in Kiel der SSW nicht bei allen bekannt ist. Man muss sich die Mühe machen, sich mit einer Partei, die man nicht kennt, auch zu befassen“, sagt Marvin dazu. Und das ist für viele schwierig.“

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Ein lang­sames Ankommen in der Gesell­schaft

Als Minder­heiten- und Regio­nal­partei sind dem SSW vor allem die Inter­essen der däni­schen Minder­heit in Schleswig-Holstein ein Anliegen. Inzwi­schen schließt er aber auch andere Gruppen wie Sinti*zze und Rom*nja mit ein. Dadurch, dass die Partei sich ursprüng­lich aus der däni­schen Minder­heit heraus grün­dete, haben sie im Rahmen der Bonn-Kopen­ha­gener Erklä­rungen einen Sonder­status erhalten.

Dabei haben Deutsch­land und Däne­mark gegen­seitig ihre Minder­heiten im eigenen Land aner­kannt. Im Zuge dessen wurde der SSW von der Fünf-Prozent-Klausel befreit. So zieht er immer in den Landtag ein, sobald er genug Stimmen für mindes­tens einen Sitz gewonnen hat. Auch wenn die Minder­heiten weiterhin im Vorder­grund stehen, werden andere Bürger*innen keines­wegs außen vor gelassen.

Im Gegen­teil: Im Programm des SSW liegt der Fokus vor allem auf der Sozial- und Arbeits­po­litik. Die Partei setzt sich für Gering­ver­die­nende ein und Themen wie der öffent­liche Nahver­kehr und der Wohnungs­markt sind ihr ein beson­deres Anliegen. Dort fordert sie zum Beispiel, dass der ÖPNV für alle güns­tiger und der soziale Wohnungsbau voran­ge­trieben werden soll. Man muss auch nicht der däni­schen Minder­heit ange­hören, um der Partei beizu­treten.

Marvin kommt aus dem Saar­land und zog erst für sein Studium nach Kiel. Zur letzten Land­tags­wahl kam er mit dem Programm des SSW in Berüh­rung. Vor allem die Sozial- und Bildungs­po­litik auf regio­naler Ebene, unab­hängig vom Bund, über­zeugten ihn. Je weiter man jedoch in die nörd­li­chen Regionen Schles­wigs schaut, desto höher ist dort auch der Anteil an Dän*innen.

In den letzten Jahr­zehnten fuhr der SSW nicht die besten Ergeb­nisse bei den Land­tags­wahlen ein. Erfolge feierte die Partei vor allem auf der Kommu­nal­ebene. Hier erreicht der SSW teil­weise zwanzig Prozent bei Wahlen. Anders sieht es auf Landes­ebene aus. Seit den 70er-Jahren hat die Partei nicht mehr als 1,7 Prozent erreicht. Erst mit der Land­tags­wahl 2012 hat sich das geän­dert.

Dort erreichte der SSW 4,6 Prozent und konnte sich auch 2017 immerhin bei über 3 Prozent halten. In das Bewusst­sein der Menschen in ganz Deutsch­land kam der SSW bei der letzten Bundes­tags­wahl, bei der genug Stimmen erzielt wurden, um mit Stefan Seidel einen Sitz im Bundestag zu besetzen. Seitdem ist der SSW nicht mehr nur den Menschen im Norden ein Begriff.

Über­ra­schender Wahl­er­folg

Sonn­tag­abend, 17:50 Uhr. Im dritten Stock drängen sich die Leute in einen kleinen Büro­raum am Ende des Flures. Die Luft ist stickig und die Stim­mung zwar gut, aber noch etwas verhalten. In zehn Minuten schließen die Wahl­lo­kale und über den Bild­schirm an der Wand erfahren die versam­melten SSWler*innen, ob die Umfragen der letzten Tage, die ihnen fünf bis sechs Prozent Stimm­an­teil voraus­sagten, tatsäch­lich gestimmt haben.

Lars Harms, Spit­zen­kan­didat des SSW, begrüßt die Schau­lus­tigen und Pressevertreter*innen, die versu­chen, noch einen Platz zwischen den Steh­ti­schen zu finden. Vor mehreren Rollups mit dem SSW-Wahl­spruch Deine Minder­heit“ steht Jette Waldinger-Thiering, eben­falls Spit­zen­kan­di­datin, mit einem Mikrofon in der Hand und bedankt sich bei ihren Unterstützer*innen. Die Minuten verstrei­chen. Alle warten darauf, dass die Tages­schau die ersten Wahl­er­geb­nisse bekannt gibt. Dann plötz­lich die Erlö­sung: sechs Prozent.

Kurz nach der Wahl zeigt sich Lars Harms glück­lich über den Wahl­er­folg und sagt, er wäre offen für Sondie­rungs­ge­spräche mit Daniel Günther. Foto: Eileen Linke

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