Einsame Spitze

Datum
14. Februar 2023
Autor*in
Alicia Homann
Redaktion
politikorange
Themen
#AGHW23 #Wahlen
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Ein Christ­de­mo­krat hat in Berlin gewonnen. Wie er das geschafft hat und warum das viel­leicht trotzdem keine Regie­rungs­ver­ant­wor­tung mit sich bringt.

Wahl­party im Berliner Abge­ord­ne­ten­haus. Ein ohren­be­täu­bender Jubel füllt den Raum. Eine Frau weint vor Freude. Es ist unglaub­lich heiß wegen der ganzen Kameras. Schließ­lich betritt er die Bühne, begleitet von epischer Musik: Kai Wegner, der Spit­zen­kan­didat der Berliner CDU. Es ist spürbar: dies ist ein histo­ri­scher Abend für die Union. Die Menschen sind erfüllt vom Rausch, können den Sieg noch gar nicht richtig fassen.

Nach 24 Jahren gewinnt die CDU zum ersten Mal wieder eine Abge­ord­ne­ten­haus­wahl in Berlin. Fast eine Gene­ra­tion lang hatte die Partei in der Haupt­stadt nichts zu melden. Doch das Blatt wandte sich in diesem Wahl­kampf. Der war in vielerlei Hinsicht beson­ders. Deut­lich kürzer, deut­lich härter, deut­lich klarer. Diesen Eindruck teilt auch Radio­mo­de­ra­torin Kerstin Hermes, die für radio­eins die Spitzenkandidat*innen durch­leuch­tete. Die Parteien mussten Farbe bekennen.“ Außerdem sei es diesmal klarer gewesen, wofür die einzelnen Akteure wirk­lich stünden.

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Große Freude. Foto: Jugendpresse Deutschland e.V./ Saad Yaghi.

Regie­rung abwählen

Genau das nutze die CDU. Die Botschaft ihres Wahl­kampfs war: Wir können das besser als Rot-Rot-Grün. Wegner stellte die Regie­rung als akutes Problem in den Mittel­punkt und präsen­tierte die Lösung gleich mit dazu: Alle Stimmen für die CDU. Partei­mit­glied Fabian Meier bringt es auf den Punkt: Das Problem ist nicht Berlin, es ist die Berliner Regie­rung. Das haben wir deut­lich gemacht.“

Auch die Silvester-Debatte spielte dabei eine Rolle. Wegner sprach sich hier deut­lich für eine Stär­kung der Polizei aus. Mit dem Thema innere Sicher­heit schließt er die Lücke zum Bundes­par­tei­vor­sit­zenden Fried­rich Merz, der den Berliner Spit­zen­kan­di­daten im Wahl­kampf unter­stützte. Anders als 2021 trat die gesamte Partei diesmal geschlossen auf.

So auch der Berliner Landes­ver­band. Joe Chialo ist Mitglied des dortigen CDU-Vorstandes und wurde von Wegner zum Schatten-Kultur­se­nator im Falle einer Kabi­netts­bil­dung unter seiner Führung erkoren. Er betonte, dass die Menschen diesen Zusam­men­halt in der Partei merken würden. Das ist das Geheimnis des Erfolgs.“

Das Mantra Berlin muss wieder funk­tio­nieren“ wieder­holte Wegner in so gut wie jedem Inter­view vor der Wahl. Gelten soll das für die Verwal­tung glei­cher­maßen wie für den Wohnungsbau, die Bildung, den Verkehr und natür­lich die Polizei.

Wie die ARD am Wahl­abend berich­tete, begrün­dete jede*r zweite CDU-Wähler*in seine Wahl­ent­schei­dung mit dem Frust über die anderen Parteien. Von Über­zeu­gung keine Spur, sondern ledig­lich vom Wunsch, durch die Stimme für die Oppo­si­tion etwas ändern zu können.

Um diese Chance zu kriegen, müsste Kai Wegner Regie­render Bürger­meister werden. Das ist aller­dings nicht garan­tiert. Durch die Wieder­ho­lungs­wahl wurde das Berliner Abge­ord­ne­ten­haus neu selek­tiert. Wegner hat die Wahl gewonnen und die SPD ist einer der großen Verlierer. Deswegen fordern Vertreter der CDU schon jetzt, dass Amts­in­ha­berin Fran­ziska Giffey zugunsten Wegners abdankt. MdBA Sandra Khalat­bari bekräf­tigte dies: Die Berliner haben mit ihrem Kreuz deut­lich gezeigt, was sie sich wünschen. Inso­fern hoffe ich sehr, dass die Regie­rende Bürger­meis­terin einlenkt und den Weg frei gibt.“

Der dunkle Schatten von Bremen

Einen Koali­ti­ons­partner benö­tigt die CDU trotzdem. Und spätes­tens da steht sie dann doch etwas allein da. Die größte Schnitt­menge gibt es mit der FDP, doch diese hat den Einzug ins AGH klar verpasst. Sowohl mit der AfD als auch den Linken wird die Zusam­men­ar­beit kate­go­risch ausge­schlossen.

Übrig bleiben SPD und Grüne. Beide Parteien spre­chen sich aller­dings für eine Weiter­füh­rung der aktu­ellen Koali­tion aus. Auch in den Umfragen der ARD wird das Bündnis von der Bevöl­ke­rung favo­ri­siert, deut­lich vor jedweder CDU-Vari­ante. Wird Kai Wegner somit in die Fußstapfen seiner Bremer Partei­kol­legen treten?

Auch hier war die CDU klarer Sieger. Die Koali­ti­ons­ver­hand­lungen schei­terten aller­dings und sie gingen in die Oppo­si­tion. Der Berliner Frak­ti­ons­vor­stand Michael Diet­mann sieht das Ganze prag­ma­tisch: Berlin braucht eine gute Regie­rung, da kann man sich nicht in die Oppo­si­tion stehlen. Weder die eine noch die andere Partei.“ Auch MdBA Stephan Standfuß pflichtet bei: Der Regie­rungs­auf­trag ist klar.“

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Michael Dietmann im Interview auf der CDU-Wahlparty im Abgeordnetenhaus. Foto: Jugendpresse Deutschland e.V./ Saad Yaghi.

Die Qual der Wahl

Mit wem die CDU koalieren möchte, da gibt es Unei­nig­keiten. Aileen Weib­eler ist Landes­vor­sit­zende des Rings Christ­lich Demo­kra­ti­scher Studenten Nordost. Sie zumin­dest gibt sich sicher: Mit der SPD könnte ich mir das schon sehr gut vorstellen.“ Bei der Wahl­party im Abge­ord­ne­ten­haus freut sich eine Gruppe eher jüngerer CDUler aber auch sehr, als die Grünen um gegen 19 Uhr nochmal um ein paar Zehn­tel­pro­zente zulegt. Inspi­ra­tion schöpfen sie womög­lich von der schwarz-grünen Landes­re­gie­rung in Schleswig-Holstein, die für einen libe­ralen Kurs bekannt ist.

Am häufigsten hört man auf der Wahl­party, dass man Gespräche mit allen demo­kra­ti­schen Parteien führen werde. Noch vor rund einer Woche hatte Kai Wegner im Kandi­da­ten­check des RBB einer Koali­tion mit den Grünen beinahe eine klare Absage erteilt. In Sachen Verkehrs­po­litik sehe er keinen Weg, um auf einen gemein­samen Nenner zu kommen.

Am Morgen nach der Wahl erklärte die Grünen-Spit­zen­kan­di­datin Bettina Jarasch im Deutsch­land­funk: Wenn die CDU uns zu Gesprä­chen einlädt, werden wir tatsäch­lich auch ernst­hafte Gespräche führen.“ Die Fronten scheinen aufzu­wei­chen. Fran­ziska Giffey sagte am glei­chen Morgen im RBB, sie werde Gespräche mit der CDU führen, aber sie wolle das Rote Rathaus rot halten.“

Die Sondie­rungs­ge­spräche für Rot-Grün-Rot könnten also schwierig werden. Kerstin Hermes sagte zu dem Verhältnis der beiden großen Koali­ti­ons­partner: Nach dem Wahl­kampf müssen wahr­schein­lich noch Scherben zusam­men­ge­kehrt werden.“ Trotz allem wollen grund­sätz­lich beide Parteien an dem Bündnis fest­halten. Es wird sich zeigen, ob sie sich zusam­men­raufen können, oder ob Kai Wegner letzt­lich doch das Rote Rathaus schwarz malt. Viel­leicht mit ebenso epischer Musik wie am Wahl­abend.


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