Die Kunst des modernen Wahl­kampfes

Datum
31. Mai 2022
Autor*in
Kristin Finke
Redaktion
politikorange
Themen
#LTW_SH22 #Wahlen
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Foto: Jugendpresse Deutschland / Thomas Fries

Ein paar Steh­ti­sche, lauter bunte Luft­bal­lons und jede Menge Flyer – auf den ersten Blick sehen Wahl­kampf­stände alle gleich aus. poli­ti­ko­range-Redak­teurin Kristin fragt nach, wie zeit­gemäß sie noch sind.

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Foto: Jugendpresse Deutschland / Thomas Fries

Was im Hinter­grund mona­te­lang vorbe­reitet wurde, bekommen die Bürger*innen etwa zwei Monate vor Schluss deut­lich zu spüren: Der Wahl­kampf geht in die heiße Phase. Partei­pro­gramme werden veröf­fent­licht, an den Stra­ßen­la­ternen kleben auf einmal Plakate mit (un)bekannten Gesich­tern und Kandidat*innen werben on- als auch offline für Stimmen. Doch wie über­zeugt man heut­zu­tage die meisten Menschen?

Zwischen Small Talk und echtem Wahl­kampf

Zwei Tage vor der Land­tags­wahl in Schleswig-Holstein unter­stützt Heiner Garg, Gesund­heits­mi­nister und Listen­platz Zwei der Freien Demo­kraten, im Citti-Park das junge Wahl­kampf­team. Locker geht er auf die Menschen zu und begrüßt sie mit einem verschmitzten Grinsen sowie einem gelben Strauß in der Hand. Egal ob Rosen, Narzissen oder Tulpen – Haupt­sache die Blumen sind schön. Darüber freuen sich die Menschen“, erklärt er. Schon ist der Start für lockeren Small Talk gelungen.

Das eigent­liche Ziel solcher Aktionen ist klar: Die Menschen sollen stehen bleiben, sich über die Partei und ihr Programm infor­mieren und mit den Kandi­die­renden ins Gespräch kommen. Nur wer präsent ist, hat auch eine echte Chance.

Garg erin­nert sich an seine ersten Wahlen: Ich bin früher die Stände abge­laufen und habe gemerkt, welche Parteien sich wirk­lich Mühe geben und welche eben nicht. Wie bei der CDU zum Beispiel, da wurde man einfach mit einem blöden Spruch abge­speist. Heute ist das bestimmt anders, aber sowas merkt man sich natür­lich.“

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Flyer sind das einfachste Mittel, um Werbung für seine Partei zu machen. Aber auch das beste? Foto: Jugendpresse Deutschland / Johanna Glinski

Neue Ideen müssen her

Wahl­kampf­stände sind zeit­gemäß. Die Frage ist nur, wie lange noch“, schätzt Marvin Schmidt, der auf Listen­platz 9 des Südschles­wig­schen Wähler­ver­bandes (SSW) steht. Damit spricht er unter anderem die Info-Flyer an.

Einmal einen kurzen Blick drauf geworfen, landen diese bei vielen Wähler*innen schnell im Müll­eimer. Aber nicht nur beim Info­ma­te­rial, sondern auch bei den Werbe­ar­ti­keln satteln die Parteien zuneh­mend auf nach­hal­tige Alter­na­tiven zu klas­si­schen Luft­bal­lons und Kugel­schrei­bern in Partei­farben um. Das reicht von kleinen Wind­rä­dern über regio­nale Äpfel vom Wochen­markt bis hin zu Blei­stiften, die Sonnen­blu­men­samen enthalten.

Unser Ziel ist es, leicht zugäng­liche Politik zu machen. Ich weiß ja, wie es mir geht: Wenn ich so einen Stand sehe, mache ich da erstmal einen großen Bogen drum“, gesteht Patricia Nnadi, Wahl­kampf­mit­ar­bei­terin von Bündnis 90/​Die Grünen. Deshalb habe ihre Partei auch bewusst auf andere Formate gesetzt.

Darunter zum Beispiel Work­shops oder Veran­stal­tungen wie poli­ti­sche Poetry Slams. Auch das Klin­ken­putzen“, der Haus­tür­wahl­kampf, sei eine gute Stra­tegie. Haupt­sache, man geht auf die Menschen zu und wartet nicht darauf, dass sie von allein kommen“, so Nnadi. Zehn bis 15 Prozent der Ange­trof­fenen würden auch länger an der Tür stehen bleiben, um über die Wahl­themen zu disku­tieren.

Raus aus der echten Welt, rein in die digi­tale

Laut dem Digital 2022 Global Over­view Report sind Deut­sche durch­schnitt­lich täglich fast fünf­ein­halb Stunden online. Vor allem die sozialen Medien erfreuen sich großer Beliebt­heit. 15 Prozent aller Deut­schen sind täglich auf Face­book aktiv, auf Insta­gram sogar fast jede*r Fünfte. Beson­ders auffällig: Mit 55 Prozent tägli­cher Nutzung ist Insta­gram vor allem bei unter 30-Jährigen beliebt.

Es liegt daher nahe, dass Parteien ihren Wahl­kampf immer mehr online austragen. Hier können sich die Kandidat*innen nicht nur von ihrer persön­li­chen Seite zeigen, sondern auch in Postings leicht und verständ­lich vermit­teln, was sie errei­chen wollen. Aber Online-Wahl­kampf kostet: Zur vergan­genen Bundes­tags­wahl haben allein Bündnis 90/​Die Grünen etwa 2,5 Millionen Euro für den digi­talen Wahl­kampf ausge­geben. Anders als im Bürger­ge­spräch fehlt hier aller­dings der direkte Austausch zu den poten­zi­ellen Wähler*innen.

Aminata Touré ist mit mehr als 110.000 Follower*innen auf Insta­gram die unan­ge­foch­tene Spit­zen­po­li­ti­kerin aus Schleswig-Holstein und auch Minis­ter­prä­si­dent Daniel Günther folgen immerhin 30.000 Menschen. Dass es aber auch anders geht, zeigt Heiner Garg.

Er ist einer der wenigen Spitzenkandidat*innen im echten Norden, die Insta­gram ausschließ­lich privat nutzen Ich bin, was Social Media angeht, ein abso­luter Grund­schüler und old-fashioned“, gibt er zu. Viel­leicht reicht im Wahl­kampf also doch auch die Blume am Wahl­stand, um das Eis zu brechen.

Ein wirk­li­ches Allein­stel­lungs­merkmal seiner Partei sei diese aller­dings nicht, gesteht der FDP-Poli­tiker. Die Sozi­al­de­mo­kraten verteilen am glei­chen Tag, an dem er im Citti-Park ist, an anderer Stelle rote Tulpen. Dann frage ich die Bürge­rinnen und Bürger einfach, ob da nicht eine gelbe gut dazu passen würde.“


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