Ein unglei­cher Vergleich?

Datum
09. Dezember 2020
Autor*in
Lima Fritsche
Redaktion
politikorange
Themen
#NewsroomEurope 2020 #Klima
Mundschutz im Laub

Mundschutz im Laub

Foto: Christian Lue I unsplash.com

Corona- und Klima­krise sind zwei Krisen, die aktu­eller nicht sein könnten. Es ist also erst einmal sehr nahe­lie­gend, dass sie vergli­chen werden. Aber wie sinn­voll ist das? Lisa-Marie Frit­sche hat sich diese Frage gestellt.

Straßenschild mit Aufschrift Climate Change und CORONA

Foto: Gerd Altmann / pixabay.com

Die Forde­rung

Fight every crisis“ (Bekämpf jede Krise) – unter diesem Motto protes­tiert die Fridays for Future“-Bewegung, seit das Coro­na­virus unseren Alltag beein­träch­tigt. Die Aktivist*innen möchten nicht, dass die Klima­krise in Zeiten von Corona in den Hinter­grund tritt. Was mitschwingt, ist die Erbit­te­rung über die Unter­schiede im Tempo, mit dem die Krisen jeweils bekämpft werden. Der Umgang mit Corona beweise schließ­lich, dass es anders gehen kann“, sagte Luisa Neubauer Mitte März in einem Gespräch mit der FAZ. Sie ist die Anfüh­rerin der Fridays for Future“-Bewegung in Deutsch­land. Würden wir die Klima­krise halb so ernst nehmen wie die Coro­na­krise, wäre uns geholfen,“, erklärt sie. Als der Lock­down begann, waren Flug­zeuge am Boden, das Home-Office wurde zum Stan­dard-Arbeits­platz und das öffent­liche Leben wurde weit­ge­hend herun­ter­ge­fahren. Für viele Klima-Aktivist*innen ist das ein Zeichen dafür, dass Verän­de­rungen eben doch möglich sind – wenn die Politik sie möchte.

Der Vergleich

Dass die Krisen vergli­chen werden, ist nahe­lie­gend. Ein Vergleich dient dem Menschen als Verständ­nis­hilfe. Die jungen Aktivisti*nnen nutzten ihn beispiels­weise, um ihre Forde­rungen zu begründen. Auch Wissenschaftler*innen verglei­chen in ihren Forschungen gern. Phäno­mene, die sich ähneln, lassen sich gut verglei­chen – aber es ist auch möglich, sehr unähn­liche Dinge zu verglei­chen. Es gilt immer eine Grund­idee: Der Vergleich muss richtig zuge­schnitten sein. Das Vergleichs-Prinzip ist also nicht: Man soll Äpfel nicht mit Birnen verglei­chen“. Nein, es muss umge­dacht werden: Sogar Äpfel und Birnen können vergli­chen werden, wenn man sich zum Beispiel ihren Vitamin­ge­halt anschaut“. Diese Idee muss nun auf Corona- und Klima­krise über­tragen werden.

Die Gemein­sam­keiten

Das Potsdam-Institut für Klima­fol­gen­for­schung hat sich daran versucht. Dort wurde erst kürz­lich eine Studie veröf­fent­licht, in der Corona- und Klima­krise vergli­chen werden. Die struk­tu­rellen Ähnlich­keiten beider Krisen sind auffällig“, stellt die Haupt­au­torin Kira Vinke gegen­über der Berliner Zeitung heraus. Kenn­zeich­nend seien in beiden Fällen vor allem die Begüns­ti­gungen der Krisen durch das Eingreifen des Menschen in die Natur. Beide Krisen hätten globale Auswir­kungen und würden die Schat­ten­seite der globa­li­sierten Welt zum Vorschein bringen.

Vinke findet, dass man aufgrund der Gemein­sam­keiten der Krisen aus der Coro­na­krise und für die Klima­krise lernen sollte. Zum Beispiel sei es wichtig, auf wissen­schaft­liche Erkennt­nisse zu hören und recht­zeitig zu handeln. Außerdem betont sie, dass globale Krisen auch über Grenzen hinweg ange­gangen werden müssten. Jede*r Einzelne müsse Verant­wor­tung über­nehmen, denn alle säßen im glei­chen Boot.

Die Unter­schiede

Zu einem etwas anderen Schluss kommt Prof. Dr. Stefan C. Aykut. Corona- und Klima­krise sind zuerst einmal schwer vergleichbar“, meint der Professor für Sozio­logie an der Uni Hamburg. Bei Corona könne man anhand der Infek­ti­ons­zahlen sofort erkennen, wo Maßnahmen ergriffen wurden. Die Folgen des Umgangs mit der Klima­krise würden hingegen erst in der Zukunft sichtbar. Dann sei es bereits zu spät, noch etwas an der Situa­tion zu ändern. Laut Aykut ist auch das einer der Gründe dafür, dass viele Menschen die Klima­krise noch immer als sehr abstrakt wahr­nehmen. Anders ist es beim Coro­na­virus. Das wird laut Aykut als unmit­tel­bare Gefahr wahr­ge­nommen.

Einen anderen Grund zeigt das Ranking der Univer­sity of Notre Dame. Danach leiden vor allem wirt­schafts­schwä­chere Länder wie Tschad oder Somalia in der Sahel­zone unter dem Klima­wandel. Sie verzeichnen geogra­phisch bedingt bereits einen größeren Tempe­ra­tur­an­stieg als der Globale Norden und erleben dadurch Dürren. Darüber hinaus haben sie weniger finan­zi­elle Mittel zur Verfü­gung, um gegen die drohende Nahrungs­knapp­heit vorzu­gehen. Prof. Aykut sieht darin einen weiteren, struk­tu­rellen Unter­schied der Krisen. Es zeige, dass für die Klima­krise nicht unbe­dingt ihre wirt­schafts­starken Hauptverursacher*innen gera­de­stehen müssen. Vor Corona bleiben aber auch wirt­schafts­stär­kere Länder nicht verschont, wenn sie keine Maßnahmen ergreifen.

Die Schluss­fol­ge­rung

Das Problem ist nicht der Vergleich selbst, sondern wie die Verglei­chenden mit ihm umgehen. Denn um struk­tu­relle Gemein­sam­keiten oder Unter­schiede fest­zu­stellen, kommen sie um den Vergleich nicht herum. Wissenschaftler*innen finden beides – wie sie das Ganze im Anschluss bewerten, ist eine Frage der persön­li­chen Perspek­tive.

Wichtig bleibt in jedem Fall eines: Durch einen solchen Krisen­ver­gleich sollten keine unbe­dachten Analo­gien erschaffen werden. Wenn Klima-Aktivist*innen wie Neubauer die Krisen verglei­chen, sollte es also nicht so wirken, als könne die Pandemie als Maßnahme für den Klima­schutz verstanden werden. Die nied­rigen CO2-Emis­sionen zu Beginn des Lock­downs, beti­telt als Corona-Effekt“, waren schließ­lich nur von kurzer Dauer. Diese Analo­gien zwischen den Krisen können zudem länger anhal­tende nega­tive Asso­zia­tionen hervor­rufen. Dann bestünde das Risiko, dass klima­freund­liche Entwick­lungen wie nied­ri­gere Emis­sionen dauer­haft mit Corona verknüpft würden. Wenn Klima­schutz gesell­schaft­lich getragen werden soll, müssen unpas­sende Analo­gien also vermieden werden. Verglei­chen kann man also schon, aber eben nur mit Augenmaß.


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