Fridays for Future: Aus der außer­par­la­men­ta­ri­schen Oppo­si­tion in den Bundestag?

Datum
29. September 2021
Autor*in
Valentin Dreher
Redaktion
politikorange
Themen
#BTW21 #Klima
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Klimaaktivistin Annka Esser beim Wahlkampf im Berliner Wahlkreis Treptow-Köpenick. Foto: Jugendpresse Deutschland / Saad Yaghi

Drei Fridays-for-Future-Aktivist*innen kandi­dierten bei der der Bundes­tags­wahl für die Grünen. Valentin Dreher fragt, ob sie der Bewe­gung mehr Gehör im Parla­ment verschaffen.

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Vor dem Reichstag demonstrieren vergangenen Freitag Zehntausende für mehr Klimaschutz. Foto: Jugendpresse Deutschland / Saad Yaghi

Frei­tag­mittag vor dem Reichstag, zwei Tage vor der Bundes­tags­wahl: Fridays for Future hat ein letztes Mal vor dem Urnen­gang zum Klima­streik aufge­rufen. Ada, eine Schü­lerin, die noch nicht wählen darf, appel­liert: Die älteren Wähler*innen müssen an uns denken. Wir sind hier, weil wir verzwei­felt sind.“ Die Schwes­tern Kathi und Anne­marie erzählen, dass sie am Sonntag auf jeden Fall die Grünen wählen wollen: Aber die Gene­ra­tion 60+ macht knapp 40% der Wahl­be­rech­tigten aus, deshalb sind sie ganz entschei­dend dafür mitver­ant­wort­lich, wie die nächste Bundes­re­gie­rung und unsere Zukunft aussehen.“

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Schülerin Ada: „Wir sind verzweifelt." Foto: Jugendpresse Deutschland / Saad Yaghi

Trotz Massen­mo­bi­li­sie­rung in über 470 deut­schen Städten scheint der Appell an die Wähler*innen unge­hört zu verhallen. Die Grünen errei­chen zwar mit 14,8 Prozent ihr histo­risch bestes Ergebnis, aber das histo­risch Beste ist manchmal nicht genug“, wird die Grüne Marina Weis­band Sonn­tag­abend bei Maybrit Illner fest­stellen. Poli­tik­wis­sen­schaftler Arndt Leininger erklärt, die Grünen mögen für viele Demons­trie­rende zwar die nahe­lie­gende Wahl sein, aber Demons­tra­tionen richten sich eher an poli­ti­sche Eliten.“ Und die nähmen – ebenso wie viele Medien – Fridays for Future nach wie vor nicht ernst. Dementspre­chend blieb die Reso­nanz hier eher aus”, vermutet Leininger.

Keine etablierte Partei erreicht das 1,5‑Grad-Ziel

Ein Dilemma für die junge Klima­be­we­gung, deren erklärtes Ziel eine ambi­tio­nier­tere Klima­schutz­po­litik der künf­tigen Bundes­re­gie­rung ist. Doch keine der etablierten Parteien erfüllt ausweis­lich ihrer Programme zur Bundes­tags­wahl die wich­tigste Forde­rung der Bewe­gung. Fridays for Future-Spre­cherin Carla Reemtsma kriti­siert: Wir haben im Wahl­kampf erlebt, wie die Parteien Lügen verbreiten, sie bekennen sich alle zum Klima­schutz, doch keine hat ein ausrei­chendes Programm für die Einhal­tung des 1,5‑Grad-Ziels.“ Eine Wahl­pro­gramm­ana­lyse des Deut­schen Insti­tuts für Wirt­schafts­för­de­rung bestä­tigt, dass alle etablierten Parteien mit ihren Programmen die Ziel­marke des Pariser Klima­ab­kom­mens verfehlen würden. Das sorgt für Frus­tra­tion bei den Aktivist*innen.

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Klimaaktivistin Carla Reemtsma: „Die Parteien verbreiten Lügen." Foto: Jugendpresse Deutschland / Saad Yaghi

Was tun also gegen die fehlende poli­ti­sche Reso­nanz der Klima­be­we­gung? Drei frühere Fridays for Future-Aktivist*innen haben sich zum Ziel gesetzt, den Bundestag von innen zu einer konse­quen­teren Klima­po­litik zu drängen und kandi­dierten als Grüne für ein Direkt­mandat. Eine von ihnen ist Anka Esser, die im Berliner Bezirk Treptow-Köpe­nick antritt. Sie sagt, sie sei krass frus­triert”, dass die poli­ti­schen Forde­rungen der Klima­be­we­gung noch kaum umge­setzt wurden. Ich fühle mich nicht als Partei­person, aber Partei­ar­beit ist ein Weg, um Klima­ge­rech­tig­keit zu schaffen. Poli­ti­sche Verän­de­rung passiert nun mal in erster Linie in den Parla­menten.“ Neben Esser kandi­dieren mit Jakob Blasel und Urs Liebau auch zwei weitere bekannte Gesichter der Bewe­gung für ein Mandat.

Am Montag­morgen ist klar: Keine*r der drei wird Teil des nächsten Bundes­tags sein. Liebau zeigt sich dennoch opti­mis­tisch: Es geht nicht nur um Personen, die jetzt im Bundestag sind, sondern darum, dass die Themen aufge­griffen wurden und alle Parteien auf einmal über Klima­schutz reden. Es ist ein Verdienst von Fridays for Future, dass sich nun alle mit diesem Thema ausein­an­der­setzen müssen, und allein dadurch ist Fridays for Future schon jetzt in den Bundestag rein­ge­kommen.“ 

Doch als Person hat es ledig­lich Kathrin Henne­berger aus der Klima­be­we­gung in den nächsten Bundestag geschafft. Die 34-Jährige kämpft seit fast 20 Jahren akti­vis­tisch gegen klima­schäd­liche Kohle­för­de­rung in Nord­rhein-West­falen und erhält ihr Mandat über die Landes­liste der Grünen. Sie sieht sich aller­dings nicht als Teil der Fridays for Future-Bewe­gung – sie stamme aus der voran­ge­gan­genen Gene­ra­tion der Klima­be­we­gung. Als deren Spre­cherin im Bundestag will Henne­berger dennoch nicht gesehen werden: Die Akteur*innen der Klima­be­we­gung sollen laut für sich selber spre­chen, sie sollen die Politik pushen. Nur weil es jetzt Parlamentarier*innen gibt, die für Klima­ge­rech­tig­keit kämpfen werden, heißt das nicht, dass die Bewe­gung leiser werden sollte.“ 

Manche leiten ihre Frus­tra­tion auf die falschen Leute um” 

Die Kandi­datur der Klimaaktivist*innen dürfte bei Fridays for Future nicht nur auf Zustim­mung getroffen sein – das Verhältnis zwischen einigen Aktivist*innen und Bündnis 90/​Die Grünen ist ange­spannt. Beson­ders nach dem Bundes­par­teitag der Grünen im Juni, auf dem auch das Wahl­pro­gramm für die Bundes­tags­wahl beschlossen wurde, war die Kritik groß: Der Parteitag beschloss einen CO2-Preis von 60 Euro pro Tonne bis 2023, führende Klimaaktivist*innen hatten einen CO2-Preis von 80 Euro gefor­dert. Harte Kritik übte damals auch Reemtsma: Es sei verhee­rend, dass die größte grüne Partei der Welt keinen Plan zur Errei­chung des 1,5‑Grad-Ziels hätte. 

Bundes­tags­kan­di­datin Esser findet die Kritik der Aktivist*innen an bünd­nis­grüner Klima­po­litik manchmal etwas über­zogen. Ich habe das Gefühl, dass manche ihre Frus­tra­tion auf die falschen Leute umleiten.“ An den Grünen würde eine ambi­tio­nierte Klima­po­litik sicher nicht schei­tern, sagt sie. Doch für manche Sachen fehlten einfach die Mehr­heiten. Es ist für die Parteien ein Spagat“, ordnet Poli­tik­wis­sen­schaftler Leininger ein. Sie müssen zum einen soziale Bewe­gungen mit ambi­tio­nierten Forde­rungen mitnehmen, aber gleich­zeitig auch die Bevöl­ke­rung. Das kann manchmal schwierig auszu­ta­rieren sein.“ Auch Henne­berger sieht sich von der Kritik nicht betroffen: Wer sich der Gefahr aussetzt, durch Poli­zei­ketten zu rennen, Kohle­bagger zu bekämpfen, wer sich auch den damit verbun­denen Repres­sionen aussetzt, der steht nicht in der Kritik, es mit dem 1,5‑Grad-Ziel nicht ernst zu meinen.“

Weiter als außer­par­la­men­ta­ri­sche Oppo­si­tion

An der Situa­tion der Fridays for Future-Bewe­gung jeden­falls wird sich in den nächsten vier Jahren nicht viel ändern – als außer­par­la­men­ta­ri­sche Oppo­si­tion wird sie weiter um mediale und poli­ti­sche Reso­nanz kämpfen müssen. Carla Reemtsma ist schon am Freitag sicher, dass die Mehr­heiten für eine Klima­po­litik à la Fridays for Future im nächsten Bundestag fehlen. Für die Zeit der Sondie­rungs­ge­spräche und Koali­ti­ons­ver­hand­lungen kündigte sie weitere Demons­tra­tionen an: Wir werden nicht aufhören, Druck zu machen, denn solange keine Partei ein 1,5‑Grad-konformes Programm hat, wird es auch keine 1,5‑Grad-konforme Regie­rungs­po­litik geben.“ Am Dienstag kündigt die Bewe­gung schon den nächsten Streik in Berlin für den 22. Oktober an. Das Motto: #IhrLas­s­tUnsK­ei­ne­Wahl.


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