Demo­plakat und Anzug­jacke

Datum
23. September 2022
Autor*in
Johanna Warszawa
Redaktion
politikorange
Themen
#BuJuKo22 #Klima
FridaysForFuture-Demonstrant*innen. Eine Demonstrantin hält ein Pappschild mit der Aufschrift: 1,5-Grad-Politik heißt Lützenrath bleibt.

FridaysForFuture-Demonstrant*innen. Eine Demonstrantin hält ein Pappschild mit der Aufschrift: 1,5-Grad-Politik heißt Lützenrath bleibt.

Foto: Jugendpresse Deutschland / Ella Seeger

Auf der einen Seite eine laute Demons­tra­tion mit gelben Kreuzen, auf der anderen Seite eine ruhige Diskus­sion mit gebü­gelten Hemden. Redak­teurin Johanna Wars­zawa hat mit Jugend­li­chen gespro­chen, die sich auf ganz unter­schied­liche Weise enga­gieren.

Berlin an einem Sams­tag­nach­mittag im September. Die Sonne scheint und langsam spürt man den Herbst in der Luft. Auf dem Leopold­platz herrscht geschäf­tiges Treiben, der Floh­markt von heute Morgen baut langsam ab. Ein paar Passant*innen erle­digen ihre letzten Wochen­end­ein­käufe.

Ich muss genau hinhören und hinter die Floh­markt­stände gehen, um die kleine Fridays for Future Demo zu erkennen. Es sind unge­fähr 30 Jugend­liche, die auf dem Platz stehen und ein Banner in die Luft halten mit der Aufschrift: Lützi bleibt!“. Mein Blick schweift durch die Menge. Vorne steht ein kleiner Laut­spre­cher­wagen. Das Lied: Hurra die Welt geht unter“ von K.I.Z. wird gespielt. Daneben fällt mir eine Frau auf. Ich würde sie auf Anfang 20 schätzen. In der linken Hand hält sie ein Megafon, das überall mit Stickern beklebt ist. Sie trägt eine lange Jogging­hose mit einem gelben Kreuz auf dem rechten Hosen­bein und ein schwarzes, großes T‑Shirt.

Starke Stimmen

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Im Interview mit Clara (21). Das gelbe Kreuz auf ihrer Hose ist das Widerstandszeichen gegen die Zerstörung der Dörfer durch den Kohleabbau. Foto: Jugendpresse Deutschland / Ella-Sophia Seeger

Ich gehe auf sie zu. Sie heißt Clara, ist 21 und auf die Frage, ob die Klima­krise poli­ti­sches Enga­ge­ment erfor­dert, antwortet sie so: Ich denke mal, es braucht viele verschie­dene Möglich­keiten und Fridays for Future hat eben den Ansatz, dass man auf die Straße geht und dass die Zivil­ge­sell­schaft einfach sichtbar wird und zeigt: Hey, wir sind hier! Wir nutzen die Mittel, die wir haben, weil ich glaube, das ist ein Weg, um poli­ti­schen Protest zum Ausdruck zu bringen. Ich bin aber auch der Meinung, dass es viele verschie­dene Wege gibt, die auch genutzt werden müssen.“ Sie redet viel, ausschwei­fend und bestimmt. Man hört ihre Wut auf die Klima­po­litik heraus. Dabei fuch­telt sie wild mit den Händen. Sie will gehört werden, das merkt man sofort.

In der Menge treffe ich Nils, 16 Jahre alt. Er hat sein Gesicht blau ange­malt und auf der linken Wange trägt er das Zeichen der Uiguren. Auf die Frage, wie er zu Fridays for Future gekommen ist, antwortet er: Durch das Rezo Video.“ Ich muss schmun­zeln. Nicht, weil ich das Video unbe­deu­tend finde, sondern weil ich es aus dem Blick verloren habe. Viel­leicht war mir aber auch nicht klar, was für eine Wirkung dieses Video auf Menschen wie Nils hatte.

Die Leute haben immer noch nicht begriffen, wie bedeu­tend diese Klima­ka­ta­strophe ist, auch für Deutsch­land. Ohne Greta Thun­berg und ohne dieses Anfangen von Fridays for Future wären die Maßnahmen von der Politik niemals zustande gekommen“, sagt er. Demos wirken am besten, weil auf Protesten kann man theo­re­tisch so extreme Meinungen haben, wie man will. In einer Partei muss man sich mit anderen Meinungen zurecht­finden und Kompro­misse schließen“, sagt er resi­gniert. Er wirkt verzwei­felt, aber auch stolz auf die Bewe­gung und das, was sie erreicht hat. Ich bedanke mich und drehe mich zum Laut­spre­cher­wagen.

Dort steht jetzt ein zier­li­ches Mädchen, Lena. Sie hält eine Rede über das Ende des 9‑Euro-Tickets und die restrik­tive Verkehrs­po­litik. Ihre Rede ist eindrück­lich. Wütend konfron­tiert sie Volker Wissing mit seinen Aussagen zur Weiter­füh­rung des 9‑Euro-Tickets.

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Lena (15) auf der Fridays For Future Demo. Foto: Jugendpresse Deutschland / Ella-Sophia Seeger

Fridays for Future ist ihre Welt geworden und darin blüht sie auf. Nach ihrer Rede gratu­lieren ihr viele für ihre starken Worte. Sie wird sogar gefragt, ob sie bei der nächsten Groß­de­mons­tra­tion nochmal spre­chen möchte. Ihr Bruder kommt auf sie zu, zusammen starten sie die Demo. Aus ihrer Antwort auf meine Frage hört man ihre Verzweif­lung: Ohne poli­ti­sches Enga­ge­ment wird nichts gemacht und selbst mit poli­ti­schem Enga­ge­ment wird wenig gehan­delt. Das sehen wir ja. Ich habe das Gefühl, man hört uns Jugend­li­chen einfach nicht zu und deswegen denke ich, dass alle Formen des poli­ti­schen Enga­ge­ments wichtig sind.“

Szenen­wechsel. Berlin Ostkreuz. Jugend­her­berge um 8:30 Uhr morgens, das Früh­stück hat gerade begonnen. Fami­lien sitzen mit ihren Kindern in der Sonne auf der Terrasse, trinken Oran­gen­saft und essen Bröt­chen. Mitten­drin sitze ich mit Caro­line. Norma­ler­weise ist sie bei Fridays for Future Halle und Green­peace aktiv, doch dieses Wochen­ende orga­ni­siert sie die Bundes­Ju­gend­Kon­fe­renz (BuJuKo) hier in der Jugend­her­berge mit.

Sie lächelt und erzählt, dass es gut wäre, wenn sich jede*r poli­tisch enga­gieren würde. Doch es haben nicht alle die Möglich­keit“, sagt sie. Die Leute, die sich bereits enga­gieren, müssen einer­seits dafür sorgen, dass alle anderen auch die Möglich­keit bekommen und ande­rer­seits, dass dann auch alle an den Veran­stal­tungen teil­nehmen.“ Es kommen wieder Leute zu unserem Tisch, die mit Caro­line spre­chen wollen. Treffen wir uns um neun Uhr?“, Wann kommst du?“. Caro­line guckt mich entschul­di­gend an. Ich gebe ihr zu verstehen, dass es sowieso meine letzte Frage war. Sie springt auf, winkt mir noch einmal zu und verschwindet in der Jugend­her­berge.

Die Aula mit den Anzügen

In der Aula der Unter­kunft unter­halten sich die Jugend­li­chen und packen ihre Sachen zusammen. Gerade hat Henning Evers gespro­chen, der jüngste Bürger­meister in Nieder­sachsen und letzter Speaker auf der BuJuKo. Mir fallen ihre Blazer, Hemden und Anzüge auf. Die meisten strömen in Rich­tung des Pultes, um noch ein Selfie oder ein letztes Gespräch mit dem Bürger­meister zu ergat­tern.

Ich gehe auf Felix zu. Er sieht mit seinem blauen Hemd und seinen ordent­lich zurück­ge­gelten Haaren ganz anders aus als die Klimaaktivist*innen auf der Demo. Er war noch nie auf einer Fridays for Future Demo, erzählt er mir. Denn bei ihm im länd­li­chen Raum sei die Fridays for Future Bewe­gung noch nicht so ausge­prägt. Er ist freund­lich und erklärt mir in ruhiger Stimme, dass jede*r bei sich selbst anfangen muss und er glaubt, dass man nur so das Klima schützen kann. Er formu­liert kurz und knapp, bedankt sich bei mir und läuft in Rich­tung des Bürger­meis­ters.

Ich drehe mich um. Vorn bei den Stühlen steht Karl. Er trägt ein weißes Hemd und guckt auf sein Handy. Vor ihm auf der Bühne werden die Stühle zusam­men­ge­schoben und die Präsen­ta­tion abge­baut. Ich gehe auf ihn zu und stelle ihm genau die gleiche Frage wie Felix. Er antwortet: Ich finde, eine Fridays for Future Demo ist der falsche Weg, um sich fürs Klima einzu­setzen. Statt Schule zu schwänzen, wo wir sowieso schon mit einem Bildungs­mangel leben, sollte man sich viel­leicht eher poli­tisch enga­gieren und probieren, seine Meinung auf einem anderen demo­kra­ti­schen Weg kund zu tun.”

Auch er ist sehr nett und fragt, ob er mir helfen konnte. Ja, auf jeden Fall!“, antworte ich ihm. Er lächelt zufrieden, steckt seine Hände in die Hosen­ta­schen und geht zu seinen Freunden hinüber. Ich packe meine Sachen zusammen und verlasse den Raum voller Anzüge, Fragen, poli­ti­schen Forde­rungen und Selfies mit dem Bürger­meister.

Chao­tisch und ordent­lich

Das waren zwei Welten, denke ich mir auf dem Rückweg. Die etwas chao­ti­sche Fridays for Future Demo mit all den wütenden, entschlossen, kämp­fe­ri­schen Leuten. Und dann die ordent­liche, aufge­räumte Aula mit all den Jugend­li­chen, die inter­es­siert mit dem Bürger­meister spra­chen.

Zwei Welten, die wichtig sind. Jede auf ihre eigene Art und Weise. Der Austausch, (partei­po­li­ti­sches) Enga­ge­ment und das Demons­trieren, das immer Aufstampfen, das mutig sein. Davon lebt die Demo­kratie und mit ihr auch die Entschei­dungen, die Politiker*innen treffen.


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