Wurzeln schlagen und Früchte ernten

Datum
06. Dezember 2015
Autor*in
Christina Braun
Redaktion
politikorange
Thema
#Jugendforum Stadtentwickliung 2015
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Najeha Abid stellt beim Jugend­forum Stadt­ent­wick­lung die inter­na­tio­nalen Gärten in Göttingen vor, erzählt von ihren eigenen Erfah­rungen als Geflüch­tete und erklärt poli­ti­ko­range ganz nebenbei noch, was eine gelun­gene Inte­gra­tion ausmacht.

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Najeha Abid erzählt den Teilnehmer*innen des Jugendforums, wie sie zur Garten-Botschafterin geworden ist. (Foto: Benedikt Bungarten)

Vor 25 Jahren ist Najeha Abid nach Deutsch­land gekommen. Als Geflüch­tete aus dem Irak. Ich bin eine von denen“, sagt sie. Zu fliehen“, sagt sie, das ist keine frei­wil­lige Entschei­dung. Es ist notwendig, um das eigene Leben zu retten.“ Heute reist sie durch ganz Deutsch­land und erklärt auf Semi­naren das Konzept ihres Vereins Inter­na­tio­nale Gärten Göttingen“. Seit 19 Jahren ernten dort Deut­sche, Geflüch­tete und andere Migrant*innen zusammen Gemüse und pflanzen Obst­bäume. Inter­kul­tu­relles Urban Gardening sozu­sagen. Und das ist zu einem wich­tigen Teil von Abids persön­li­cher Lebens­ge­schichte geworden.

Gefangen in den eigenen vier Wänden

Als die gebür­tige Irakerin in Göttingen ankommt, wird sie wie eine Analpha­betin behan­delt. Arbeiten darf sie zunächst nicht. Ihre Ausbil­dung wird von den deut­schen Behörden nicht aner­kannt. Dabei hat sie in Bagdad bereits sechs Jahre lang an einem großen Gymna­sium Arabisch und Farsi gelehrt. Außerdem spricht sie Kurdisch und Englisch. Aber noch kein Deutsch.

In der ersten Zeit fühlt sie sich wie gefangen in den eigenen vier Wänden. Ihr Alltag ist geprägt von Einsam­keit und Isola­tion. Sie fragt sich: Wo bin ich eigent­lich und wie kann ich mich inte­grieren?“ Inte­gra­tion – das ist ein Wort, das Abid zuvor noch nie gehört hat. Woher auch?

Mit Sprache Grenzen über­winden

Schnell ist klar: Sie muss Deutsch lernen. Sprache ist der Schlüssel – um sich zurecht zu finden, um Kontakte zu knüpfen und vor allem um etwas tun zu können. Es gibt kein Leben ohne Sprache“, erklärt Abid. In den ersten Monaten in Deutsch­land besucht sie mehrere Deutsch­kurse an der Volks­hoch­schule. Ihre Aufent­halts­ge­neh­mi­gung hat sie durch ihren Mann bekommen, der schon vor ihr nach Deutsch­land gekommen ist. Deshalb ist ein staat­lich finan­zierter Sprach­kurs nicht möglich und sie muss selbst zahlen. Man muss mutig sein“, sagt sie.

Wenn sie auf der Straße Passant*innen grüßt, kommt oft keine Antwort. Ihre kleine Tochter fragt: Warum sagt die Frau denn nicht Hallo?“ Sie erklärt: Sie hat dich bestimmt nicht gesehen.“ Das sei eine schlimme Zeit gewesen, erzählt Abid.

Dann geht sie das erste Mal zur Teestube. Auf Initia­tive der evan­ge­li­schen Kirchen­ge­meinde und der Stadt Göttingen treffen sich hier einmal die Woche Geflüch­tete und Deut­sche zum gemein­samen Kaffee­trinken. Die Frauen kommen ins Gespräch, spenden Trost. Sie lachen und weinen zusammen und finden so einen Weg aus Isola­tion und Taten­lo­sig­keit.

Urban Gardening zur inter­kul­tu­rellen Annä­he­rung

Auf Initia­tive einer Mitar­bei­terin des Migra­ti­ons­zen­trums in Göttingen entstand dann im Jahr 1996 der erste inter­na­tio­nale Garten Deutsch­lands – für die Frauen aus der Teestube. Gerade für die Frauen aus Abids Heimat ist der Garten etwas, das sie an zu Hause erin­nert. Wo sie etwas tun, wo sie aktiv werden können.

In einer Baulücke beginnen die geflüch­teten Frauen aus dem Iran, aus Irak, Afgha­ni­stan und Bosnien zusammen mit Deut­schen und anderen Migrant*innen, Bäume zu pflanzen und Gemüse anzu­bauen. Sie lernen nicht nur, wie man Tomaten zieht, sondern auch wie man Deutsch spricht. Der Garten wird zum Ort der Begeg­nung und des Lernens: Jeder profi­tiert von den Fähig­keiten des anderen“, erklärt Abid.

Inter­na­tio­nale Gärten werden zum deutsch­land­weiten Projekt

Zwei Jahre später gründet sich der Verein Inter­na­tio­nale Gärten Göttingen“. Das Projekt wird ausge­baut. Abid ist dabei, über­nimmt die Verant­wor­tung für Öffent­lich­keits­ar­beit und Verwal­tung. Bald darauf wird der inter­na­tio­nale Garten in Göttingen zum Projekt der Stif­tungs­ge­mein­schaft anstif­tung & ertomis“, die Do-it-yourself-Projekte in Städten erforscht und sie fördert. Dadurch wird das Konzept in ganz Deutsch­land verbreitet: Im Jahr 2015 gibt es schon 176 inter­na­tio­nale Gärten, Tendenz stei­gend.

Heute reist Abid für die Stif­tungs­ge­mein­schaft durch ganz Deutsch­land und berichtet über das Projekt. Sie erklärt das Konzept, gibt Work­shops und Semi­nare und erzählt ihre Geschichte. Sie zeigt, was möglich ist und was noch geht. Und enga­giert sich nebenbei weiter ehren­amt­lich für Geflüch­tete. Najeha Abid scheint ange­kommen zu sein.


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