Wohnungen für Flücht­linge, Wohnungen für alle – wo soll man da trennen?“

Datum
07. Dezember 2015
Autor*in
Carla Kühleis
Redaktion
politikorange
Thema
#Jugendforum Stadtentwickliung 2015
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Der Zustrom an Flücht­lingen fordert Verän­de­rungen in der Stadt­ent­wick­lungs­po­litik. Jens-Holger Kirchner, grüner Stadtrat für Stadt­ent­wick­lung im Rathaus Pankow, erklärt im Inter­view mit poli­ti­ko­range, wie er Ghettos vermeiden will und wie die Berliner das System­ver­sagen der Politik auffangen.

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In Pankow würden aktuell viele Wohnungen nicht nur für Geflüchtete gebaut, sagt Stadtrat Kirchner. Dagegen gibt es in der Bevölkerung auch Widerstand. (Foto: Benedikt Bungarten)

Wie viele Turn­hallen haben Sie in Pankow noch, in denen sie Flücht­linge unter­bringen können?

An sich sind das noch eine ganze Menge, aber eigent­lich wollen wir das nicht. Der Bezirk Pankow hat dem LAGeSo auch ange­boten, andere Liegen­schaften zu verwenden, die aus unserer Sicht deut­lich besser geeignet wären. Ein halbes Jahr in einer Turn­halle ist eine Zumu­tung. Aber die Senats­ver­wal­tung, als auch der Krisen­stab, als auch das LAGeSo bevor­zugen offenbar Turn­hallen.

Welche Maßnahmen haben Sie denn schon getroffen, um auch lang­fristig Wohn­raum für Geflüch­tete zu schaffen?

Man müsste eigent­lich sagen: lang­fristig Wohn­raum schaffen. Es geht ja nicht bloß um die Flücht­linge. Das ist nur eine zusätz­liche Heraus­for­de­rung. In der ganzen Metro­pol­re­gion Berlin-Bran­den­burg gibt es schließ­lich Wohnungs­knapp­heit. Wir arbeiten in Pankow auf Hoch­touren an der Reali­sie­rung großer Bauvor­haben mit Wohnungs­bau­ge­sell­schaften. Aber, ich will das jetzt auch gar nicht separat betrachten, weil Wohnungen für Flücht­linge, Wohnungen für alle – wo soll man da trennen? Der Druck ist bloß höher. Eine Obdach­lo­sen­un­ter­kunft zu schließen und da Flücht­linge rein zu packen, ist der falsche Weg.

Haben Sie das mal erlebt?

Es ist mal vorge­sehen gewesen, also so nach dem Motto: Die Obdach­losen müssen dann halt sehen, wo sie bleiben. Kann ich alles als Reflex verstehen, wenn man weiß: Da kommt schon der nächste Zug! Oder die nächsten zwanzig Busse! Wir müssen einfach aufpassen, dass die Politik da keine Schief­lage kriegt.

In der Elisa­beth-Aue sollen bald 3.000 Wohnungen auf der grünen Wiese entstehen. Dagegen gibt es eine Bürger­initia­tive, die den Land­schafts­schutz gefährdet sieht. Können Sie das gerade ange­sichts der Wohnungs­knapp­heit nach­voll­ziehen?

Ich kann das nur bedingt nach­voll­ziehen. In einem demo­kra­ti­schen Gemein­wesen ist es natür­lich wichtig, dass alle zu Wort kommen dürfen und auch zu Wort kommen. Ich kann auch nach­voll­ziehen, dass die Elisa­beth-Aue als Hort der ökolo­gi­schen Land­wirt­schaft und des Natur­raums gesehen wird. Da ist auch was dran. Gleich­zeitig bedarf es in dieser Stadt an Flächen für Wohnungs­neubau. Nicht nur in der Innen­stadt, sondern auch draußen. Ich glaube aber, dass Flächen wie die Elisa­beth-Aue bebaut werden. Zwangs­läufig. Wo, wenn nicht dort? Die Stadt wächst und irgend­wohin muss sie ja hin wachsen. Und da geht es ja eher darum, wie sie wächst. Und ich bin davon über­zeugt, dass man beides verbinden kann, Grün und Wohnen.

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"Bergida, wer ist das?" fragt Stadtrat Jens-Holger Kirchner im Interview mit politikorange.

In Hamburg wird in Neugraben-Fischbek gerade ein neuer Stadt­teil für 3.500 Flücht­linge geplant. Ist das eine gute Idee?

Nee, über­haupt nicht. In der Not ist das viel­leicht gut. Das ist ja auch ein Akt der Huma­nität. Aber moderne Stadt­ent­wick­lung sieht ja eben genau so eine Sortie­rung in Bevöl­ke­rungs­gruppen nicht vor. Und stellen Sie sich das mal vor: 3.500 Flücht­linge auf einem Haufen. Unser Ansatz ist ja eigent­lich, wir müssen einfach viele Wohnungen für alle bauen. Meine Idee von Stadt ist ja immer noch die bunte Mischung – so wie viele ja auch von Berlin schwärmen. Warum soll es uns nicht gelingen, dieses Prinzip fort­zu­führen?

Und haben Sie da spezi­elle Konzepte oder sagen Sie einfach, wir bauen so viele Wohnungen wie geht und dann wird sich das darüber regeln?

Nee, das wird sich ja nicht über die Masse regeln, sondern darüber, wer da baut. Und wenn Sie eben ein großes Areal bebauen: Wenn Sie dort Wohnungs­bau­ge­sell­schaften, ‑genos­sen­schaften, aber auch Private bauen lassen, dann entsteht schon durch die Bauherren eine Mischung. Wenn Sie viele kleine Wohnungen bauen, haben Sie eine bestimmte Bevöl­ke­rungs­gruppe, genauso, wie wenn Sie nur große Wohnungen bauen. Über die Wohnungs­größen und somit auch über die Wohn­preise kann man die Mischung steuern. Wenn Sie nur geför­derten Wohnungsbau machen, dann entsteht keine Mischung, sondern dann haben Sie wieder nur eine Mono­kultur, die nicht Stadt ist. Sondern Ghetto.

Ist die Bevöl­ke­rung in Pankow bereit für die starken Verän­de­rungen, die durch die Migra­tion ausge­löst werden?

Ich staune immer wieder, wie ungern der gemeine Berliner Verän­de­rungen annimmt. Da geht es aber nicht bloß um Migra­tion oder so. Schon wenn Sie Park­plätze wegnehmen wollen, faucht der gemeine Pankower sofort. Und wenn dann auch noch vor der eigenen Haustür gebaut wird, umso mehr. Doch wir erfahren beim System­ver­sagen in der Flücht­lings­un­ter­brin­gung, wie groß­herzig, offen und freund­lich die Berliner sind. Wie lange das Verständnis noch trägt, weiß ich nicht. Wir merken, dass es da überall im Hinter­grund grum­melt, grum­melt, grum­melt. Doch die Bereit­schaft ist glaube ich sehr groß. Ich meine, wir haben hier in Berlin nicht diese Riesen­demos. Bergida, wer ist das? Das macht die NPD, das sind so ein paar Hansel. Wie die Berliner sagen: Wir helfen! Egal wo die herkommen, egal wie die aussehen, egal was die hier wollen. Da kann einem ja fast warm ums Herz werden. Die helfen erstmal – auch wenn die Klopse da oben in der Senats­ver­wal­tung, im LAGeSo das nicht hinkriegen: Da ist eine Welle der Soli­da­rität.


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