Was uns zusam­men­hält – über eine Zukunft in Thüringen

Datum
02. September 2024
Autor*in
Charlotte Schlieker
Redaktion
politikorange
Themen
#Wahlen #LTWTH
Charlotte TB

Charlotte TB

Dem Osten hängt das Stigma nach, rechts“ zu sein. Andere Perspek­tiven werden gerne über­sehen. Dabei haben gerade junge Demokrat*innen viele Hoff­nungen für ihr Land.

Dem Osten hängt das Stigma nach, rechts“ zu sein. Andere Perspek­tiven werden gerne über­sehen. Dabei haben gerade junge Demokrat*innen viele Hoff­nungen für ihr Land. 

Politikorange_CarolineSauter-231

Foto: Caroline Sauter

Erfurt, Samstag kurz vor neun Uhr früh. Die Stadt reibt sich den Schlaf aus den Augen, an der Kreu­zung rattert die Tram. Alte Häus­chen drängen sich eng anein­ander. Im Café umschwirren die letzten verblie­benen Wespen die Tische, drinnen mahlt die Sieb­trä­ger­ma­schine. Am Neben­tisch mummelt eine Mutter sich und ihr Kind in eine Woll­decke ein, trotz der Morgen­fri­sche lässt sich schon jetzt erahnen, dass wieder ein warmer Tag wird.  

Die Stadt erwacht aus ihrem Dorn­rös­chen­schlaf, wie jede andere. Der Frieden liegt wie ein Deck­mantel über der Stadt, strahlt eine Alles ist gut“- Atmo­sphäre über mich und meinen Cappuc­cino mit Hafer­milch aus und lässt nichts von den Demons­tra­tionen am Nach­mittag erahnen, bei denen laut Poli­zei­an­gaben um die Tausend für und etwa 4000 gegen die AfD auf die Straßen ziehen werden.  

Wie entsteht dieses Narrativ, der Osten sei rechts“?  

Ich glaube, man muss zur Kenntnis nehmen, dass Menschen nicht einfach leere Gefäße sind, in die man einfach irgendwas reintun kann.“ Das sagt Katja Maurer, Land­tags­ab­ge­ord­nete der Linken in Thüringen. Ich treffe sie im Büro der Links­ju­gend: Das Fenster mit Wahl­pla­katen zuge­kleis­tert, es ist chao­tisch und heimelig zu gleich, auf der Heizung steht ein leeres Glas Bio-Aufstrich. Mir ihr und Vertreter*innen von anderen Jugend­par­teien habe ich über ihre Ängste und Hoff­nungen für Thüringen gespro­chen. Darüber, was sie antreibt und ob es ihrer Meinung nach immer noch die sprach­liche Teilung zwischen Ost- und West­deutsch­land braucht. Maurer erklärt, Menschen würden sich selbst eine Meinung bilden. Unab­hängig, davon, wie sie selbst dazu stehe, müsse sie das zur Kenntnis nehmen. Es gibt eben die Einen, die zum Beispiel der Meinung sind, dass Migrant*innen schlecht für unser Land sind“, sagt die Poli­ti­kerin. Gleich­zeitig gebe es andere Menschen, die Migra­tion positiv sähen. Menschen hätten einfach unter­schied­li­chen Werte­vor­stel­lungen.  

Ich finde, es wäre doch schon etwas Schönes, wenn man sich gegen­seitig zuhört,“ meint der Stadtrat Luc Rechen­bach von der Jungen Union (JU). Auf Worte auch Taten folgen zu lassen, dass beschäf­tigt gerade die Jungen Libe­ralen (JuLis): Wir haben bei den JuLis sehr viele Mitglieder, die parallel noch andere Ehren­ämter haben. In irgend­wel­chen Kirmes-Vereinen sind oder Garde­tanz. Oder halt auch zum Beispiel hier Einen im Erfurter Bereich so einer Foodsha­ring-Aktion an Uni mitmacht. Aber die erzählen halt nicht darüber,“ sagt Patrice Klohn, Pressesprecher*in der Jungen Libe­ralen in Thüringen. 

Auch bei Freund*innen aus anderen Jugend­or­ga­ni­sa­tionen sei es ähnlich. Andere Themen würden den Alltag bestimmen. Man merkt schon, dass Leute keinen Bock auf gerade statt­fin­dende Politik haben und Menschen, die sich poli­tisch enga­gieren, etwas schief anschauen.“ berichtet hingegen Janek Schmidt von der Grünen Jugend Thüringen. Aber ein poli­ti­sches Klima lasse sich nicht allein durch Politik beein­flussen. Was mir gerade in Thüringen Hoff­nung macht, ist, dass gerade in fast allen Regionen Anti-Rechts-Bünd­nisse entstehen, die versu­chen, den Raum zu gestalten, der die letzten Jahre einfach komplett vergessen wurde,“ meint Schmidt. Hoff­nung, das haben alle Jugend­or­ga­ni­sa­tionen gemeinsam, zögen sie aus Gemein­schaft.  

Ich mache jetzt seit acht Jahren Queer­po­litik,“ meint Patrice Klohn von den JuLis. Damals habe es in Thüringen drei Chris­to­pher Street Days (CSDs) gegeben, in Erfurt, Jena und Weimar. Seitdem habe sich viel verän­dert. Heute schaffe ich es nicht mehr, auf jeden CSD zu gehen“, erzählt Klohn. 

Erfurt, Sams­tag­nach­mittag. An der Gera plant­schen Kinder mit den Füßen im Wasser und trotzen der Hitze.  

Keinen Kilo­meter entfernt haben sich 4000 Demonstrant*innen vor dem Domplatz versam­melt, um gegen die AfD-Kund­ge­bung zum Wahl­kampf­ab­schluss zu protes­tieren. Laute Rufe und bunte Plakate über­fluten die Stadt. Die Grenzen zwischen den Demonstrant*innen und der Kund­ge­bung sind mit einer Auto­blo­ckade der Polizei klar abge­steckt. Es ist so laut, dass vom Domplatz nur nach draußen dringt, wer gerade am Mikrofon steht. Die Sonne knallt auf den Asphalt, wie die Werte­vor­stel­lungen aufein­ander. Meine Uhr sagt mir, ich solle gegen meinen Stress anatmen. Demons­tranten Platz machend, trete ich an die Haus­wand zurück. Neben mir ein Vater mit Kind auf dem Arm, keine drei Jahre alt und Eiscreme schle­ckend. Zu klein, um sich später daran erin­nern zu können, bleibt doch ein Gefühl von zucker­süßer Gemein­schaft zurück. 


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