Jugendoffizier*innen bringen Sicherheitspolitik in den Unterricht. Die Friedensbewegung kritisiert einseitige Berichterstattung.
Schulbeginn am Montagmorgen – doch statt der Lehrkraft steht ein Bundeswehrsoldat vor der Klasse. Anstelle von regulärem Unterricht geht es um Sicherheitspolitik. Der Soldat erklärt die Rolle von Bundeswehr, NATO und UN, berichtet von der derzeitigen Situation in Gaza, zeigt Bilder aus dem Kriegsgebiet. Danach bleibt Raum für alle Fragen, die die Schüler*innen beschäftigen, zum Beispiel zur aktuellen Wehrpflichtdiskussion. So oder so ähnlich könnte man sich einen Schulbesuch der Bundeswehr vorstellen.
Hauptmann Karim Yacout ist seit April 2023 ein sogenannter Jugendoffizier, der im Auftrag der Bundeswehr politische Bildungsarbeit in Karlsruhe und Umgebung leistet. „Wir als Jugendoffiziere bieten ein Angebot an Bildungseinrichtungen und sind dazu da, darüber zu informieren, was sicherheitspolitisch auf der Welt passiert. Das können aktuelle Konflikte sein, aber auch ganz Grundlegendes: zum Beispiel, was der Kernauftrag der Bundeswehr ist“, erklärt Yacout. In der Regel besucht er auf Einladung Schulklassen ab der Jahrgangsstufe neun. Ansonsten ist sein Arbeitsplatz ein Büro in der Karlsruher Kaserne. Computer, Drucker, Aktenschränke – einzig die Schirmmütze auf dem Regal deutet auf die Bundeswehr hin. Der Dienstanzug kennzeichnet den 32-Jährigen als Soldaten der Luftwaffe.
In Sandra Krummes Klasse war Anfang des Jahres ein anderer Jugendoffizier der Bundeswehr zu Besuch. Krumme ist Politiklehrerin an einer berufsbildenden Schule in Offenbach. Mit dem Seminar des Jugendoffiziers wollte sie bei ihren Auszubildenden ein Interesse für sicherheitspolitische Fragen wecken – „weil diese Themen gerade aktuell sind“, sagt die 45-Jährige. Auch andere Schulen zeigen vermehrt Interesse. Laut dem „Jahresbericht der Jugendoffizierinnen und Jugendoffiziere der Bundeswehr 2024“ ist die Anzahl der Veranstaltungen in den vergangenen Jahren kontinuierlich angestiegen.
Unmut aus der Friedensbewegung
Die „Deutsche Friedensgesellschaft – Vereinigte KriegsdienstgegnerInnen e.V.“ (DFG-VK) betrachtet diese Entwicklung kritisch. Ihr politischer Geschäftsführer Michael Schulze von Glaßer sagt: „Meiner Meinung nach gehört Militär grundsätzlich nicht an Schulen. Denn Militär ist immer dazu da, am Ende Gewalt auszuüben und kann auch nur das erklären oder begründen.“
Michael Schulze von Glaßer
Foto: privat
Demnach seien Jugendoffizier*innen nicht in der Lage, sicherheitspolitische Themen kontrovers darzustellen. Dies verlangt jedoch der sogenannte „Beutelsbacher Konsens“, eine Leitlinie demokratischer politischer Bildung. Er gilt für Lehrkräfte und auch die Jugendoffizier*innen verpflichten sich dazu. Yacout erklärt, dass die Bundeswehr der kontroversen Darstellung von Kriegen und dem Militär einen hohen Stellenwert beimesse. „Wir als Soldatinnen und Soldaten haben genau wie alle anderen ein Interesse an Frieden und daran, Konflikte nicht zu eskalieren“, sagt der Offizier.
Was bezweckt die Bildungsarbeit?
„Am Ende ist es Werbung“, findet Schulze von Glaßer. Jugendoffizier*innen seien für junge Menschen der erste Kontakt zur Bundeswehr. Ihr Auftreten solle ein positives Bild von Soldat*innen zeichnen. Yacout grenzt sich klar von dieser Vorstellung ab. „Wir werben nicht für die Bundeswehr als Arbeitgeber, sondern klären über die Institution und über sicherheitspolitische Themen auf.“
„Ein Jugendoffizier ist ein junger cooler Typ, selbstbewusst und kann sich gut ausdrücken“, meint der Friedensaktivist von der DFG-VK. Das solle vor allem Eindruck schinden und verstoße damit gegen einen weiteren Grundsatz des Beutelsbacher Konsens: das Überwältigungsverbot. Es besagt, dass Schüler*innen nicht durch starke Beeinflussung an ihrer Meinungsbildung gehindert werden sollen.
Meinungsäußerung sei nicht gleich Meinungsindoktrination
Politiklehrerin Krumme sieht in dem sympathischen Auftreten keinen Anhaltspunkt für den Werbevorwurf. Inhaltlich habe der Jugendoffizier Krisen aus verschiedenen Perspektiven dargestellt, Krieg nicht beschönigt und insgesamt kontrovers berichtet. Auf Nachfrage der Schüler*innen habe der Offizier seine persönliche Ansicht erläutert, dass eine Gefahr von Russland ausgehe und er Aufrüstung befürworte. Die Lehrerin stellt dazu klar: „Es ist ein Trugschluss, wenn man sagt, in der Schule muss alles politisch neutral sein. Die jungen Menschen wollen Meinungen hören.“ Ihre Schüler*innen im Alter zwischen 16 und 25 Jahren seien durchaus in der Lage, sich ein eigenes Urteil zu bilden. Wie das in einer neunten Klasse ist, könne sie nicht beurteilen.
Alternativangebot von Friedensorganisationen?
Krumme wäre auch offen für Referent*innen aus der Friedensbewegung. In ihrem Alltag habe sie allerdings wenig Zeit, nach Bildungsangeboten zu recherchieren. Auf den Jugendoffizier sei sie zufällig gestoßen. Hinzu kommt die Budgetfrage: „Die Bundeswehr macht das für die Schulen kostenfrei.“
Laut Schulze von Glaßer hat auch die Deutsche Friedensgesellschaft vereinzelt Anfragen von Schulen erhalten. Aber denen könne sie nicht nachkommen. Als eine der größten deutschen Friedensorganisationen habe die DFG-VK gerade einmal drei Angestellte auf Bundesebene, die Bundeswehr besetzt hingegen 94 Dienstposten mit Jugendoffizier*innen. „Viele von denen haben ein Dienstfahrzeug, einen Dienstlaptop und werden geschult. Das kann eine Friedensorganisation gar nicht leisten“, sagt Schulze von Glaßer. Solange die Friedensbewegung nicht die gleichen finanziellen Mittel wie die Bundeswehr hat, findet er: „Sicherheitspolitik sollte unbedingt im Unterricht behandelt werden, aber eben von den Lehrkräften.“
Im aktuellen Schuljahr organisiert Sandra Krumme erneut den Schulbesuch eines Jugendoffiziers – diesmal für eine andere Klasse. Im Kollegium spalten sich die Meinungen bis hin zur Befürchtung, das Angebot sei ein Rekrutierungsversuch der Bundeswehr. Dennoch sind die anderen Politiklehrkräfte bereit dazu, sich das Bildungsangebot anzusehen.
