Bundes­wehr im Klas­sen­zimmer?

Datum
18. November 2025
Autor*in
Paula Antonia Berger
Redaktion
politikorange
Themen
#wehrpflicht #demokratie
Karim Yacout ist Jugendoffizier im Raum Karlsruhe

Karim Yacout ist Jugendoffizier im Raum Karlsruhe

Foto: Paula Antonia Berger

Jugendoffizier*innen bringen Sicher­heits­po­litik in den Unter­richt. Die Frie­dens­be­we­gung kriti­siert einsei­tige Bericht­erstat­tung. 

Schul­be­ginn am Montag­morgen – doch statt der Lehr­kraft steht ein Bundes­wehr­soldat vor der Klasse. Anstelle von regu­lärem Unter­richt geht es um Sicher­heits­po­litik. Der Soldat erklärt die Rolle von Bundes­wehr, NATO und UN, berichtet von der derzei­tigen Situa­tion in Gaza, zeigt Bilder aus dem Kriegs­ge­biet. Danach bleibt Raum für alle Fragen, die die Schüler*innen beschäf­tigen, zum Beispiel zur aktu­ellen Wehr­pflicht­dis­kus­sion. So oder so ähnlich könnte man sich einen Schul­be­such der Bundes­wehr vorstellen. 

Haupt­mann Karim Yacout ist seit April 2023 ein soge­nannter Jugend­of­fi­zier, der im Auftrag der Bundes­wehr poli­ti­sche Bildungs­ar­beit in Karls­ruhe und Umge­bung leistet. Wir als Jugend­of­fi­ziere bieten ein Angebot an Bildungs­ein­rich­tungen und sind dazu da, darüber zu infor­mieren, was sicher­heits­po­li­tisch auf der Welt passiert. Das können aktu­elle Konflikte sein, aber auch ganz Grund­le­gendes: zum Beispiel, was der Kern­auf­trag der Bundes­wehr ist“, erklärt Yacout. In der Regel besucht er auf Einla­dung Schul­klassen ab der Jahr­gangs­stufe neun. Ansonsten ist sein Arbeits­platz ein Büro in der Karls­ruher Kaserne. Computer, Drucker, Akten­schränke – einzig die Schirm­mütze auf dem Regal deutet auf die Bundes­wehr hin. Der Dienst­anzug kenn­zeichnet den 32-Jährigen als Soldaten der Luft­waffe. 

In Sandra Krummes Klasse war Anfang des Jahres ein anderer Jugend­of­fi­zier der Bundes­wehr zu Besuch. Krumme ist Poli­tik­leh­rerin an einer berufs­bil­denden Schule in Offen­bach. Mit dem Seminar des Jugend­of­fi­ziers wollte sie bei ihren Auszu­bil­denden ein Inter­esse für sicher­heits­po­li­ti­sche Fragen wecken – weil diese Themen gerade aktuell sind“, sagt die 45-Jährige. Auch andere Schulen zeigen vermehrt Inter­esse. Laut dem Jahres­be­richt der Jugend­of­fi­zie­rinnen und Jugend­of­fi­ziere der Bundes­wehr 2024“ ist die Anzahl der Veran­stal­tungen in den vergan­genen Jahren konti­nu­ier­lich ange­stiegen.

Unmut aus der Frie­dens­be­we­gung

Die Deut­sche Frie­dens­ge­sell­schaft – Verei­nigte Kriegs­dienst­geg­ne­rInnen e.V.“ (DFG-VK) betrachtet diese Entwick­lung kritisch. Ihr poli­ti­scher Geschäfts­führer Michael Schulze von Glaßer sagt: Meiner Meinung nach gehört Militär grund­sätz­lich nicht an Schulen. Denn Militär ist immer dazu da, am Ende Gewalt auszu­üben und kann auch nur das erklären oder begründen.“

Michael Schulze von Glaßer

Michael Schulze von Glaßer

Foto: privat

Demnach seien Jugendoffizier*innen nicht in der Lage, sicher­heits­po­li­ti­sche Themen kontro­vers darzu­stellen. Dies verlangt jedoch der soge­nannte Beutels­ba­cher Konsens“, eine Leit­linie demo­kra­ti­scher poli­ti­scher Bildung. Er gilt für Lehr­kräfte und auch die Jugendoffizier*innen verpflichten sich dazu. Yacout erklärt, dass die Bundes­wehr der kontro­versen Darstel­lung von Kriegen und dem Militär einen hohen Stel­len­wert beimesse. Wir als Solda­tinnen und Soldaten haben genau wie alle anderen ein Inter­esse an Frieden und daran, Konflikte nicht zu eska­lieren“, sagt der Offi­zier.

Was bezweckt die Bildungs­ar­beit?

Am Ende ist es Werbung“, findet Schulze von Glaßer. Jugendoffizier*innen seien für junge Menschen der erste Kontakt zur Bundes­wehr. Ihr Auftreten solle ein posi­tives Bild von Soldat*innen zeichnen. Yacout grenzt sich klar von dieser Vorstel­lung ab. Wir werben nicht für die Bundes­wehr als Arbeit­geber, sondern klären über die Insti­tu­tion und über sicher­heits­po­li­ti­sche Themen auf.“

Ein Jugend­of­fi­zier ist ein junger cooler Typ, selbst­be­wusst und kann sich gut ausdrü­cken“, meint der Frie­dens­ak­ti­vist von der DFG-VK. Das solle vor allem Eindruck schinden und verstoße damit gegen einen weiteren Grund­satz des Beutels­ba­cher Konsens: das Über­wäl­ti­gungs­verbot. Es besagt, dass Schüler*innen nicht durch starke Beein­flus­sung an ihrer Meinungs­bil­dung gehin­dert werden sollen. 

Meinungs­äu­ße­rung sei nicht gleich Meinungs­in­dok­tri­na­tion

Poli­tik­leh­rerin Krumme sieht in dem sympa­thi­schen Auftreten keinen Anhalts­punkt für den Werbe­vor­wurf. Inhalt­lich habe der Jugend­of­fi­zier Krisen aus verschie­denen Perspek­tiven darge­stellt, Krieg nicht beschö­nigt und insge­samt kontro­vers berichtet. Auf Nach­frage der Schüler*innen habe der Offi­zier seine persön­liche Ansicht erläu­tert, dass eine Gefahr von Russ­land ausgehe und er Aufrüs­tung befür­worte. Die Lehrerin stellt dazu klar: Es ist ein Trug­schluss, wenn man sagt, in der Schule muss alles poli­tisch neutral sein. Die jungen Menschen wollen Meinungen hören.“ Ihre Schüler*innen im Alter zwischen 16 und 25 Jahren seien durchaus in der Lage, sich ein eigenes Urteil zu bilden. Wie das in einer neunten Klasse ist, könne sie nicht beur­teilen.

Alter­na­tiv­an­gebot von Frie­dens­or­ga­ni­sa­tionen?

Krumme wäre auch offen für Referent*innen aus der Frie­dens­be­we­gung. In ihrem Alltag habe sie aller­dings wenig Zeit, nach Bildungs­an­ge­boten zu recher­chieren. Auf den Jugend­of­fi­zier sei sie zufällig gestoßen. Hinzu kommt die Budget­frage: Die Bundes­wehr macht das für die Schulen kosten­frei.“ 

Laut Schulze von Glaßer hat auch die Deut­sche Frie­dens­ge­sell­schaft verein­zelt Anfragen von Schulen erhalten. Aber denen könne sie nicht nach­kommen. Als eine der größten deut­schen Frie­dens­or­ga­ni­sa­tionen habe die DFG-VK gerade einmal drei Ange­stellte auf Bundes­ebene, die Bundes­wehr besetzt hingegen 94 Dienst­posten mit Jugendoffizier*innen. Viele von denen haben ein Dienst­fahr­zeug, einen Dienst­laptop und werden geschult. Das kann eine Frie­dens­or­ga­ni­sa­tion gar nicht leisten“, sagt Schulze von Glaßer. Solange die Frie­dens­be­we­gung nicht die glei­chen finan­zi­ellen Mittel wie die Bundes­wehr hat, findet er: Sicher­heits­po­litik sollte unbe­dingt im Unter­richt behan­delt werden, aber eben von den Lehr­kräften.“ 

Im aktu­ellen Schul­jahr orga­ni­siert Sandra Krumme erneut den Schul­be­such eines Jugend­of­fi­ziers – diesmal für eine andere Klasse. Im Kolle­gium spalten sich die Meinungen bis hin zur Befürch­tung, das Angebot sei ein Rekru­tie­rungs­ver­such der Bundes­wehr. Dennoch sind die anderen Poli­tik­lehr­kräfte bereit dazu, sich das Bildungs­an­gebot anzu­sehen.


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