Zwischen Perspek­tive und Pazi­fismus: Junge Sicht­weisen auf den neuen Wehr­dienst

Datum
30. Oktober 2025
Autor*in
Yiling Pan
Redaktion
politikorange
Themen
#wehrpflicht #demokratie
Panzer Bildcredits Jugendpresse Deutschland e V Saad Yaghi

Panzer Bildcredits Jugendpresse Deutschland e V Saad Yaghi

Jugendpresse Deutschland e.V. / Saad Aghi 

Die Anfrage steigt: sowohl im Karrie­re­center der Bundes­wehr als auch bei Bera­tungs­stellen für Kriegs­dienst­ver­wei­ge­rung. Viele Jugend­liche stehen einer mögli­chen Wieder­ein­füh­rung der Wehr­pflicht kritisch gegen­über – für sie ist damit ein Jahr Lebens­zeit verloren. Für andere steht die Bundes­wehr für Karrie­re­chancen und gesell­schaft­li­chen Beitrag. Zwei junge Perspek­tiven. 

Zwischen einem Schuh­laden und einer Apotheke in der Berliner Fried­rich­straße steht in einem unschein­baren Raum eine unifor­mierte Schau­fens­ter­puppe mit Schirm­mütze und Schutz­brille. Hinter ihr steht an der Wand: Mach, was wirk­lich zählt“. Es handelt sich um die Karrie­re­lounge der Bundes­wehr – die Idee dahinter: junge Menschen in einem nied­rig­schwel­ligen Rahmen über verschie­dene Berufe in der Bundes­wehr aufklären – und idea­ler­weise dafür gewinnen. Heute sei bisher noch niemand gekommen, berichtet einer der zwei Feld­jäger, die diese Woche hier im Dienst sind. 

Ein cooler Arbeit­geber“ 

Nur zwei Etagen höher, im Karrie­re­be­ra­tungs­büro, steige hingegen die Anzahl der Bera­tungen von Inter­es­sierten aktuell massiv, sagt Feld­we­bel­an­wärter (FA) Uffz Alisan. Nach Verlän­ge­rung seines Frei­wil­ligen Wehr­dienstes (FWD) arbeitet er dort als Soldat auf Zeit. Laut eigenen Angaben wurden in den ersten zwei Quar­talen dieses Jahres 11.300 Personen in der Bundes­wehr neu einge­stellt – rund 3.600 mehr als 2019. Einer davon ist Uffz. Der 23-Jährige sieht in der Bundes­wehr einen coolen Arbeit­geber“. Später möchte er als Feld­webel im Cyber-Infor­ma­ti­ons­raum arbeiten – die dafür nötige Ausbil­dung zum Fach­in­for­ma­tiker ist parallel zum Dienst möglich und vergütet. Sie eröffnet ihm auch in der zivilen Welt Berufs­per­spek­tiven. Erstmal aber möchte Uffz in der Bundes­wehr bleiben. Er wolle damit einen Beitrag zur Gesell­schaft leisten, sagt er. 

Die Bundes­wehr für junge Menschen attrak­tiver zu gestalten – etwa durch eine bessere Bezah­lung und Sinn­stif­tung – ist ein zentraler Punkt des Regie­rungs­plans für den Ausbau einer stär­keren Armee. Vertei­di­gungs­mi­nister Boris Pisto­rius (SPD) erklärte im Juni dieses Jahres in Brüssel, dass er eine Zunahme um bis zu 60.000 aktive Soldat*innen zu den derzei­tigen etwa 182.000 für notwendig halte, um die Fähig­keits­ziele“ der NATO zu errei­chen. Dafür soll das Wehr­dienst-Moder­ni­sie­rungs­ge­setz Anfang nächsten Jahres in Kraft treten. Es verpflichtet junge Männer zum einen dazu, einen Frage­bogen auszu­füllen, und zum anderen zu einer Muste­rung ab Juli 2027. Vor allem aber setzt es auf Frei­wil­lig­keit. Die Regie­rungs­ko­ali­tion ist darin gespalten: Unionspolitiker*innen fürchten, das reiche für die Erfül­lung der Ziele nicht aus und plädieren dafür, zurück zur Wehr­pflicht zu kehren. 

Da guckt man, wer leidens­fähig ist“ 

Die Idee findet Uffz Alisan grund­sätz­lich gut. Der 23-Jährige tritt im nächsten Jahr seinen Unter­of­fi­zier­lehr­gang in Delitzsch an, in dem er einen strik­teren Ton rechnet als in seiner drei­mo­na­tigen Grund­aus­bil­dung zu Beginn des FWD. Aber auch die beschreibt er als eine heraus­for­dernde Zeit: Früh aufstehen, Morgen­sport, strikter Ton — so, wie man sich die Bundes­wehr typi­scher­weise vorstellt. Da guckt man, wer leidens­fähig ist.“ Wer sich länger­fristig für das Militär verpflichten möchte, solle sich das gut über­legen. Man muss sich bewusst machen, dass Tod und Verwun­dung eine Rolle spielen können“, betont Uffz Alisan. Wir tragen diese Uniform nicht aus Spaß — im Ernst­fall bezahlen wir mit dem Leben, um Menschen und die Demo­kratie in Deutsch­land zu schützen.“ 

Ich weiß nicht, ob ich für dieses Deutsch­land sterben würde“ 

Joschua Giese hat für diesen Gedanken kaum Verständnis. Ich weiß nicht, ob ich für dieses Deutsch­land sterben würde“, sagt er gera­de­heraus. Viel­leicht für meine Über­zeu­gungen, aber ich würde nicht sagen, dass dieses Land zu meinen Über­zeu­gungen gehört.“ Seine Frei­heiten verdanke er viel­mehr Kämpfen der Arbeiter*innenbewegung, findet er. Der 17-jährige ist Pres­se­spre­cher für das Berliner Bündnis gegen Waffen­lie­fe­rungen und geht regel­mäßig gegen Aufrüs­tung auf die Straße. Auch ist er für die Öffent­lich­keits­ar­beit der Links­ju­gend zuständig. Ich sehe nicht ein, warum ich jemand anderen töten soll, nur weil er woan­ders geboren ist. Oder weil meine Regie­rung sagt, ich soll ihn umbringen“, sagt Joschua. 

Stei­gende Nach­frage zur Bera­tung der Verwei­ge­rung 

Viele junge Leute hätten ange­sichts einer mögli­chen Wehr­pflicht aber weniger einen ideo­lo­gi­schen Konflikt, sondern vor allem das Gefühl, ihnen würde Lebens­zeit genommen werden. So nimmt Joschua Gespräche mit seinem Umfeld wahr. Vor kurzem hat er eine Stra­ßen­um­frage am Rosen­thaler Platz für Insta­gram mit jungen Menschen geführt. Es gab zwar ein paar, die pro Aufrüs­tung waren, aber ich habe nicht einen getroffen, der für den Wehr­dienst war“, berichtet er. Reprä­sen­ta­tive Umfragen decken sich mit seinen Ergeb­nissen. Laut einer Forsa-Umfrage vom September für Table.Media komme für 76 Prozent der Befragten 14- bis 29-Jährigen eine Bewer­bung bei der Bundes­wehr nicht infrage. 63 Prozent spre­chen sich gegen eine Wehr­pflicht aus. 

Die Sorge um die eigene Zukunft nimmt auch Torsten Schleip als Haupt­grund dafür wahr, weshalb junge Menschen sich bei ihm zu einer mögli­chen Kriegs­ver­wei­ge­rung beraten lassen. In den letzten Monaten hätten die Anfragen stark zuge­nommen, berichtet der Akti­vist der Deut­schen Frie­dens­ge­sell­schaft – Verei­nigte Kriegs­dienst­geg­ne­rInnen: Im Moment sind es unge­fähr drei pro Tag, früher waren es drei pro Monat“. 

Recht­lich proble­ma­tisch 

Wenn sich die sicher­heits­po­li­ti­sche Lage verschärft, soll das neue Wehr­dienst­ge­setz die Regie­rung dazu ermäch­tigen, die Wehr­pflicht per einfa­cher Rechts­ver­ord­nung wieder einzu­führen – ggf. auch ohne die Ausru­fung eines Vertei­di­gungs­falls. Der Jurist David Werder­mann, der ein Gutachten im Auftrag von Green­peace dazu verfasst hat, stuft den Gesetz­ent­wurf als verfas­sungs­recht­lich proble­ma­tisch ein. Ein solch gravie­render Eingriff in die Grund­rechte junger Menschen erfor­dere ein formelles Gesetz­ge­bungs­ver­fahren und keine bloße Zustim­mung des Bundes­tags. Erst das würde der Wesent­lich­keits­theorie entspre­chen, wonach grund­le­gende Rege­lungen zur Staats­or­ga­ni­sa­tion durch das Parla­ment selbst bestimmt werden müssen. Außerdem wäre die Wehr­ge­rech­tig­keit nicht gesi­chert. Sie bezeichnet das Prinzip, Pflichten und Lasten durch die Wehr­pflicht gleich­mäßig auf die Bevöl­ke­rung zu verteilen. Tatsäch­lich zeigt der Blick in die Realität: Selbst bei einer aktiven Wehr­pflicht würde wohl nur eine kleine Gruppe einge­zogen. Denn die Kapa­zi­täten in den Kasernen und in der Ausbil­dung sind stark begrenzt. 
Auch Uffz Alisan betont, dass die Bundes­wehr nicht jeden aufnehme: Wir brau­chen Menschen, die das auch wirk­lich wollen“. Dass die Bundes­wehr wegen ökono­mi­scher Vorteile und Sicher­heit für manche junge Menschen attraktiv ist, kann Joschua verstehen. Der Schüler würde gerne später mit poli­ti­scher Arbeit Geld verdienen. Aber die wirt­schaft­liche Lage beun­ru­hige ihn – sowie viele in seinem Umfeld. Für ihn sei die Zukunft noch ein großes Frage­zei­chen. 


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