Die Wehr­pflicht ist kein Pudding und Akti­vismus keine Gabel

Datum
06. November 2025
Autor*in
Norea Rüegg
Redaktion
politikorange
Themen
#wehrpflicht #demokratie
Beitragsbild Norea

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Jugendpresse Deutschland e.V. / Norea Rüegg

Deutsch­land disku­tiert wieder über eine Wehr­pflicht. In der Jugend regt sich Wider­stand. Sind das die Anfänge einer neuen Welle der deut­schen Frie­dens­be­we­gung? 

Eine Frau läuft durch die Stutt­garter Innen­stadt. Sie wirkt aufge­bracht, ihre Stimme zittert. Ich kannte noch Männer, die im Krieg waren.“ Sie hält inne und schluckt. Ich möchte auf keinen Fall, dass meinen Kindern so etwas passiert.” Am Schloss­platz in Stutt­gart ist sie heute, um gegen Waffen und die Wehr­pflicht zu demons­trieren. Aber sind die Kinder, um die sie sich sorgt, heute auch auf der Straße? 

Wehr­pflicht und Krieg schienen für junge Menschen sehr lange sehr weit weg. Die Krisen der Gen Z waren das Klima, das Renten­system, nicht der Einzug in die Kaserne. Für Urs, Nils und Soraya stand eigent­lich der alljähr­liche Blues vor dem Schul­jahr auf dem Plan, bis dieser einer anderen Sorge wich. Denn Ende August beschloss das Regie­rungs­ka­bi­nett aus CDU, CSU und SPD das neue Wehr­dienst-Moder­ni­sie­rungs­ge­setz”. Der darin enthal­tene Entwurf für den Wehr­dienst setzt zunächst auf Frei­wil­lig­keit, enthält aber auch die Möglich­keit einer Verpflich­tung. 

Die Freun­des­gruppe aus Frei­burg hat keine Lust auf Bundes­wehr und grün­dete das Bündnis Schüler:innen gegen Wehr­pflicht”. Für Soraya ist es einfach: Sie sei gegen Krieg und daher auch gegen die Wehr­pflicht. Ich finde es unfair, dass ich Menschen wehtun soll, die mir näher sind als die, die über diese Kriege entscheiden“, sagt die 18-Jährige. Urs ist prag­ma­ti­scher: Immerhin sei ein Jahr Dienst auch ein Jahr Lebens­zeit, das man mit Reisen, mit Studieren, mit Dingen, die einen erfüllen, verbringen könnte“. Ein Wehr­dienst könnte vielen diese Zeit nehmen. Nils sieht im Wehr­dienst vor allem Gehorsam, Hier­ar­chien und frag­wür­dige Aufnah­me­ri­tuale, die als Aben­teuer inklu­sive Kame­rad­schaft getarnt seien. 

Im Bundes­tag­saal können sie ihre Argu­mente nicht einbringen. Niemand hat die Jugend­li­chen gefragt, ob sie zur Bundes­wehr wollen. Dass das Gesetz über ihre Köpfe hinweg entschieden wird, ärgert Urs. Wie alle, die es betrifft, ist der 17-Jährige nicht wahl­be­rech­tigt. Keine Stimme bedeutet kein Mitspra­che­recht am Verhand­lungs­tisch. Am ersten Schultag hängten die Schüler:innen gegen Wehr­pflicht” deshalb ein Banner an ihrem Frei­burger Gymna­sium auf. Wir haben keine Mittel, um dagegen vorzu­gehen außer den Protest“, sagt Nils. Also protes­tieren wir.“ 

Mit Bannern, Reels, Info­stände und einer Demo Anfang November wollen sie auf einen Schul­streik hinar­beiten. Ihre Bündnispartner*innen für die Aktion im November hätten sie über die sozialen Medien gefunden: Wir haben einfach ein paar Leute über Insta ange­schrieben“, sagt Nils. 

Fast zeit­gleich sind aus einer Peti­tion gegen die Wehr­pflicht bundes­weit Jugend­bünd­nisse unter dem Motto Nein zur Wehr­pflicht” entstanden. Von Flens­burg bis nach Tübingen laden die regio­nalen Gruppen zu Filme­abenden und Demos ein. 

Auch Yannick Kiesel, Refe­rent der Deut­schen Frie­dens­ge­sell­schaft – Verei­nigter Kriegs­dienst­geg­ne­rInnen” (DFG-VK) bemerkt, dass der Zulauf junger Menschen in der Frie­dens­be­we­gung wieder größer wird. Die meisten von ihnen sind bereits poli­tisch aktiv – die breite Masse macht also noch nicht mit. Dabei hat die Jugend eine klare Meinung: Die dies­jäh­rige Jugend­trend­studie vom Institut für Gene­ra­tio­nen­for­schung ergab, dass 70 Prozent der 16- bis 29-Jährigen nicht bereit wären, für Deutsch­land zur Waffe greifen. Studi­en­leiter und Gene­ra­tio­nen­e­for­scher Rüdiger Maas erklärt das so: Während der Zivil- oder Wehr­dienst für unsere Groß­väter und Väter noch ein Lebens­ab­schnitt wie Schule und Haus bauen war, kommt die Vorstel­lung für unsere Gene­ra­tion ganz uner­wartet und ohne Vorlauf­zeit. 

Kollektiv auf die Straße gebracht, hat das die Gen Z aber nicht. Nils stellt bei vielen seiner Mitschüler*innen zwar Ableh­nung, aber keinen großen Akti­ons­drang fest. Eine wirk­liche Wehr­pflicht sei noch nicht greifbar genug. 

Die jungen Menschen an diesem Punkt mit der klas­si­schen Frie­dens­be­we­gung abzu­holen, gestalte sich seit Jahren schwierig. Die Bewe­gung ist ziem­lich alt“, gibt Kiesel zu. Nach den hoch­po­li­ti­sierten Jahr­zehnten der 60er bis 80er sei es still geworden um die Bewe­gung und heute mobi­li­siert und orga­ni­siert sich nun einmal anders. Info­stände mit Flug­blät­tern und Mitglied­schaften funk­tio­nieren für die heutige Jugend nicht, sagt Kiesel. Die Hand­schrift der Gene­ra­tion steht Aktionen wie der aus Frei­burg regel­recht aufs Display geschrieben: Es wird repostet, ge-hash­tagt, und geteilt. 

Mit der Verla­ge­rung von Akti­vismus aufs Handy habe sich laut Gene­ra­tio­nen­for­scher Maas nicht nur die Geschwin­dig­keit, sondern auch die grund­le­gende Dynamik von jungen Bewe­gungen verän­dert. Ein Video geht viral, man hat Angst, etwas zu verpassen und macht mit. Die Struk­turen sind unver­bind­lich – und am Ende zerfällt das Poten­zial schneller als der Pudding auf der Gabel. Bei Black Lives Matter habe man fest­stellen können, wie hoch das Risiko sei, dass eine Bewe­gung sich verliere und allmäh­lich ausklingen könne, meint auch Frie­dens­ak­ti­vist Kiesel. Er wolle daher jungen Menschen Raum für ihre Themen geben und gleich­zeitig versu­chen, sie in feste Struk­turen, wie sie die DFG-VK und andere Frie­dens­or­ga­ni­sa­tionen bieten, zu inte­grieren. 

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Jugendpresse Deutschland e.V. / Norea Rüegg

Eine Brücke hierfür könnte die Soli­da­rität mit Paläs­tina sein. Am Tag der deut­schen Einheit, an dem es schon in den vergan­genen Jahren Frie­dens­de­mons­tra­tionen gab, laufen in Stutt­gart viele junge Menschen im Paläs­tina-Block mit und tragen Kufiyas – wie viele der älteren Akti­visten. Auch wenn viele der jungen Demons­trie­renden nicht primär wegen der Wehr­pflicht dort sind, werden sie die Reden hören, die Banner lesen, viel­leicht mit dem ein oder anderen ins Gespräch kommen. Yannick Kiesel erhofft sich eine Sensi­bi­li­sie­rung, dadurch dass man weiter­denkt: Was richten deut­sche Waffen in der Welt an, was hat das mit mir zu tun, und was würde eine Wehr­pflicht bedeuten?“ 

Aktuell stecken alte und neue Frie­dens­be­we­gung wohl noch in einer Kennen­lern­phase. Kiesel schätzt, dass das Enga­ge­ment steigen wird, wenn die ersten Frage­bögen der Bundes­wehr Anfang Januar ankommen. Die Demo an diesem 3. Oktober neigt sich dem Ende, die Masse löst sich in Rich­tung Haupt­bahnhof auf. Die nächsten Monate werden zeigen, ob all die Menschen bald wieder gemeinsam demons­trieren – oder gemeinsam gemus­tert werden. 


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