Viele denken, linker Akti­vismus sei immer ernst und frus­triert“

Datum
03. September 2024
Autor*in
Vivien Sehn
Redaktion
politikorange
Themen
#Interview #Wahlen #LTWS
Bild 1 Vivien

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Einen Tag vor der Land­tags­wahl in Sachsen kommt Dres­dens Tech­no­szene zusammen, um ein lautes Zeichen zu setzen. Elek­tro­ni­sche Musik und tanzende Menschen zeigen, wie Politik und Party Hand in Hand gehen können.

Geht alle wählen!“, dröhnt es aus den Boxen der bunt geschmückten Wagen. Wählt klima­freund­lich, wählt demo­kra­tisch, wählt anti­fa­schis­tisch“, vervoll­stän­digt sich der Ausruf. Die Sonne strahlt, der Bass vibriert, Menschen tanzen: Ein Ort an dem die Stim­mung elek­tri­siert, das ist die Tole­rade.

Sie wird orga­ni­siert vom Bündnis Tole­rave e.V., welches Kultur­schaf­fende Dres­dens vereint und das Ziel hat, Tole­ranz in der Club­kultur zu fördern und sich Igno­ranz entge­gen­zu­setzen. Ein Tag vor den Land­tags­wahlen ziehen sie als Tanz­pa­rade durch Dresden. Politikorange hat sich mit Orga­ni­sator Lennart Happe am Ende der Demo getroffen.

poli­ti­ko­range: Techno ist dafür bekannt poli­tisch zu sein. Was hat diese Musik­szene mit Politik zu tun?

Lennart: Techno entstand in einer Schwarzen Commu­nity in den USA. Es war von Anfang an ein Frei­raum­ge­danke da, um sich der Main­stream-Gesell­schaft und ihren Repres­sionen, beson­ders gegen­über margi­na­li­sierten Gruppen, zu entziehen. Auch bei uns sind viele poli­ti­sche Menschen, die in der Feier­szene gelandet sind, und die dieses poli­ti­sche Bewusst­sein nicht hinter sich lassen wollen.

poli­ti­ko­range: Und wie kam es zur Tole­rade?

Lennart: Als 2014 die Pegida in Dresden aufkam, war schnell klar: Das lassen wir nicht stehen. Was können wir am besten? Partys! Also nutzen wir die Kapa­zi­täten der Szene – große Anlagen, Veran­stal­tungs­skills – und setzen ein starkes Zeichen gegen die rechte Scheiße von Pegida.

poli­ti­ko­range: Was unter­scheidet die Tole­rade von anderen poli­ti­schen Demons­tra­tionen?

Lennart: Der größte Unter­schied ist, dass die Leute hier eine Menge Spaß haben. Wir laden den Raum poli­tisch auf, durch starke Deko­ra­tionen und Struk­turen. Einmal im Jahr schließen wir uns zusammen und machen ein geiles Event, bei dem viele Leute den Tag genießen können. Trotzdem bleibt es ein linker Raum, wo Rassismus nicht geduldet wird und Anti­fa­schismus Konsens ist.

poli­ti­ko­range: Warum ist das wichtig?

Lennart: Viele denken, linker Akti­vismus sei immer ernst und frus­triert, weil alles so schlecht läuft. Und keine Frage, es läuft einiges verkehrt. Aber wir haben einen Modus gefunden, in dem viele korrekte Leute mitma­chen und am Ende des Tages das Gefühl haben: Das war ein geiler Tag. Nicht wie die tausendste Nazi-Gegen­demo, bei der man irgendwie versucht, zu blockieren, und es dann doch nicht klappt. Was natür­lich über­haupt nicht heißen soll, dass diese Akti­ons­formen schlecht oder weniger wert­voll wären.

poli­ti­ko­range: In den letzten Jahren fand die Tole­rade ausschließ­lich im Monat Mai statt, dieses Jahr aber im August, einen Tag vor der Land­tags­wahl. Ist das ein Zufall?

Lennart: Nein, das ist kein Zufall. Wir haben uns gedacht, dass die Land­tags­wahlen wahr­schein­lich nicht gut laufen werden, und es war wichtig, vorher noch mal zusam­men­zu­kommen. Wir haben viel Mühe inves­tiert, ein großes Netz­werk zu schaffen und uns, bevor es ab September viel­leicht noch schlimmer wird, zusam­men­zu­bringen. Wir gehen nirgendwo hin und wir halten uns auch weiter den Rücken frei, wenn es anfängt ernst zu werden.

poli­ti­ko­range: Die Route geht durch verschie­dene Teile Dres­dens, nicht ausschließ­lich durch die Neustadt, die dafür bekannt ist das Szen­en­viertel der Linken“ zu sein. Warum?

Lennart: Das Geilste ist eigent­lich immer, wenn man die ganzen Touris sieht, die durch die Altstadt schlen­dern, und auf einmal kommen wir um die Ecke und alle denken: Was zum Teufel geht hier ab?“ Genau das ist der Punkt: Es geht darum, Aufmerk­sam­keit zu erzeugen und zu zeigen, dass in Dresden auch noch etwas anderes passiert. Wir wollen deut­lich machen, dass es nicht nur Fascho-Nasen hier gibt und dass es auch nicht immer deren Provo­ka­tion braucht, damit wir uns auf die Straße trauen, um für unsere Werte einzu­stehen. Auch am Landtag zogen wir dieses Jahr symbo­lisch vorbei.

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Es geht weiter nach der Kundgabe am Goldenen Reiter. Foto: Vivien Sehn

poli­ti­ko­range: Die Musik­szene trägt ja auch zu einem Gemein­schafts­ge­fühl und Soli­da­rität bei. Erfahrt ihr Anfein­dungen, etwa von der rechts­extremen Szene?

Lennart: Natür­lich ist es schwierig, aber wir fliegen bei den Rechten etwas unter dem Radar. Es gibt andere Feind­bilder, die für sie schlimmer sind, wie etwa CSDs und Queer-Demos, die wirk­lich ange­griffen werden. Bei uns sind die Angriffe eher im erträg­li­chen Maße und haupt­säch­lich auf Social Media.

poli­ti­ko­range: Also habt ihr euch weniger Sorgen vor Gegen­demos und eurer Sicher­heit gemacht?

Lennart: Ursprüng­lich war eine Pegida-Demo geplant, die aber abge­sagt wurde. Wir hatten schon Sorge, dass es zu Problemen kommen könnte, weil es von dort aus nicht weit bis auf unsere Route gewesen wäre und es dann zu einem Sammel­punkt gekommen wäre. Letzt­lich war es aber ruhig. Die Polizei hat auch einen ordent­li­chen Job gemacht, unsere Zusam­men­ar­beit ist immer ziem­lich gut und unsere Bedenken haben sie ernst genommen.

Die Sonne ist unter­ge­gangen, es wird kühler, die Musik geht aus. Ein langer Tag voller Energie, Begeg­nungen und State­ments endet, doch die Botschaft hallt nach.


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