Verehrt und bedroht

Datum
20. März 2021
Autor*in
Dijana K.
Redaktion
politikorange
Themen
#nofake 2021 #Medien
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Rechte Netz­werke aufde­cken und über Demos berichten – eine hoch­ak­tu­elle Nische für Journalist*innen. Aber: Über Extre­mismus zu schreiben, ist nicht unge­fähr­lich. Dijana Kolak hat Reporter Julius Geiler begleitet.

Es ist ein sonniger Samstag in Berlin, aber die Demonstrant*innen haben sich nicht der Sonne wegen in Berlin-Neukölln versam­melt: Ein Tag zuvor jährte sich der rechts­ter­ro­ris­ti­sche Anschlag in Hanau, bei dem neun Menschen ermordet wurden. Jetzt, ein Jahr und einen Tag später, gibt es eine große Gedenk­demo, bei der ich den 23-jährigen Tages­spiegel-Reporter Julius Geiler begleite.

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Reporter Julius Geiler / Foto: Dijana Kolak

Seit etwa einem Jahr berichtet Julius für den Tages­spiegel, die WELT und auf Twitter über rechte Demos, Verschwö­rungen und Netz­werke. Bereits während seines Auslands­auf­ent­halts 2019 in Beirut hat er für den Tages­spiegel über die eska­lierten Demons­tra­tionen vor Ort berichtet. Durch Zufälle und Kontakte kam er an seine jetzige Stelle als freier Jour­na­list. Authen­tisch über den Korrup­ti­ons­vor­fälle im Libanon oder den Nahost-Konflikt zu berichten, fällt ihm von Berlin aus schwer. Das Thema ist ihm immer noch wichtig, aber in Berlin und Umge­bung hat er sich vor allem auf rechte Demos und Grup­pie­rungen spezia­li­siert. Er studiert Poli­tik­wis­sen­schaften an der Univer­sität Potsdam. Mit einer jour­na­lis­ti­schen Ausbil­dung hat er bisher nicht begonnen. Meis­tens ist Julius auf den soge­nannten Quer­denken-Demos unter­wegs, dort gemeinsam mit Kollegen – heute trifft beides nicht zu. Das heißt für ihn: Foto­gra­fieren, Twit­tern, Schreiben, O‑Töne einfangen – alles auf einmal und ohne Hilfe. Auch anders: Heute gibt es keine rechten Parolen und Maskenverweiger*innen. Statt­dessen sieht man überall medi­zi­ni­sche Masken und hört Sätze wie: Wider­stand überall“ und Hanau war kein Einzel­fall“.

Es ist keine fünf Minuten her, dass wir uns begrüßt haben, schon spricht ihn eine junge Frau an. Mein erster Eindruck bestä­tigt sich: Er ist bekannt in der Twitter-Szene von Journalist*innen, die über Extre­mismus berichten. Das ist aber auch kein Wunder: Fast jedes zweite Wochen­ende ist er auf Demons­tra­tionen unter­wegs, um via Twitter-Live­ti­cker von ihnen zu berichten.

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Julius telefoniert mit der Polizei-Pressestelle Berlin, um die Anzahl der Teilnehmenden zu erfahren. / Foto: Dijana Kolak

Der Demozug hat noch nicht begonnen, schon gibt es die erste Ansprache von einer Rednerin: Nur deren zwei Pressevertreter*innen dürften Fotos machen. Auch im weiteren Verlauf der Demo weisen Ordner*innen immer wieder darauf hin, dass Fotograf*innen aufhören sollen, die Masse wie auch Einzelne zu foto­gra­fieren. In Julius‘ Augen ist das im Sinne der Pres­se­frei­heit Quatsch, eine Erklä­rung dafür hat er aber: Nicht selten filmen rechte Youtuber*innen die linken Demonstrant*innen ohne deren Einver­ständnis und schneiden danach Videos zusammen, die sie im Internet verbreiten. Viele Links­ori­en­tierte haben nun Sorge, dass sie auch unge­wollt gefilmt und foto­gra­fiert werden und dann in rechten Netz­werken landen.“

Wie auch sonst auf den Demos, hält Julius sich nahe der Masse auf. Dabei ist es wichtig, der Polizei nicht im Weg zu stehen. Eine andere Regel: Immer bis zum Ende mitlaufen, sonst sei die Arbeit nur halb­herzig getan. Sein Fokus liegt zunächst auf der Anzahl der Teil­neh­menden, die es abzu­schätzen und direkt via Twitter zu verbreiten gilt. Heute meint er nach seiner ersten Schät­zung: Es sind mehrere tausend Menschen. Die Poli­zei­pres­se­stelle bestä­tigt Julius am Telefon, es seien 4.000 Menschen, mit weiterem Zustrom. Eine Minute später ist das Gespräch beendet. Später korri­giert Julius sich noch hoch: Etwa 12.000 seien anwe­send gewesen.

Aufmerksam beob­achtet er die Menschen. Sind sie eher jung oder alt, handelt es sich um eine diverse oder homo­gene Gruppe? Auch das nimmt er mit auf. Augen­merk setzt er auf die Atmo­sphäre einer Demo und die Stim­mung bei der Polizei und den Teil­neh­menden. Dafür braucht man keine Erfah­rung, das merkt jeder!“ Außerdem darf eine gründ­liche Recherche im Vorfeld nicht fehlen: Ich gehe auf keine Demo, ohne vorher die Route zu kennen, und zu wissen, wofür oder wogegen protes­tiert wird, wer spricht, etc.“ Daran könne man ablesen, wie sich der Tag entwi­ckeln wird, ob es zu Ausschrei­tungen kommen kann. Auch etwaige Gegen­pro­teste lassen sich abschätzen. Dafür habe er auch Infor­manten aus dem Antifa-Milieu“, die ihm den einen oder anderen heißen Tipp geben. Trotzdem kann alles anders kommen als gedacht, auch diese Erfah­rung hat Julius gemacht.

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Auch fotografisch dokumentiert Julius den Demozug / Foto: Dijana Kolak

Natür­lich gibt es Menschen bei Quer­denken, die sich als Linke verstehen!“

Während wir vor der Demo laufen, erzählt er mir über seine Eindrücke von der Art von Demos, wo man ihn sonst meis­tens antrifft: Bei den Querdenken“-Veranstaltungen.

Quer­denken“ sieht Julius nicht als pauschal rechts-orien­tiert an, eher als eine völlig neue Form: Eine neue Grup­pie­rung, die im geläu­figen poli­ti­schen Spek­trum schwierig zu verorten sei. Denn: Natür­lich gibt es auch Menschen bei Quer­denken, die sich als Linke verstehen!“ Menschen, die links/​grün gewählt haben und jetzt Seite an Seite mit Reichsbürger*innen protes­tieren, seien nicht per se Nazis. Ich halte es für falsch, diese Personen pauschal als Nazis zu beti­teln. Sie haben kein Problem mit Rechten auf die Straße zu gehen. Gleich­zeitig fände ich es konstruk­tiver, andere Ansatz­punkte zu suchen, um dieses Milieu zu kriti­sieren. Man sollte den Fokus mehr auf die fehlende Soli­da­rität gegen­über der Mehr­heits­ge­sell­schaft legen.“ Auch die Straf­taten von dieser Grup­pie­rung seien nicht klas­sisch als links- oder rechts­extre­mis­tisch einzu­ordnen. Hier zieht er einen Vergleich zum Isla­mismus, der auch eine eigene Art von Extre­mismus darstellt und jenseits von Rechts- und Links­extre­mismus im öffent­li­chen Diskurs gesehen wird.

Pure Eska­la­tion bei Protesten

Während wir weiter laufen, erzählt er mir von seinen Erfah­rungen mit der Polizei auf Demons­tra­tionen. Viel hat sich in der Vergan­gen­heit geän­dert: Die Polizei hat lange zuge­sehen und wenig darauf geachtet, dass Auflagen einge­halten werden – anders als bei linken Demos. 2020 fand ein Umdenken in der Politik statt: Seit dieser klar ist, dass eine Nicht-Einhal­tung der Regeln eine Gefahr für die Gesund­heit aller darstellt, ist die Polizei strenger.“ Dennoch werde mit zwei­erlei Maß gemessen. Bei jedem linken Protest würde sofort zum Pfef­fer­spray gegriffen, wo bei Querdenker*innen ohne Konse­quenzen Poli­zei­sperren durch­bro­chen werden können. Bei linken Demos würde so etwas nicht passieren, das sei klar. Von Stadt zu Stadt unter­scheide sich das Verhalten der Polizei aber, immer abhängig von der Polizei vor Ort.

Es hat Situa­tionen bei Antifa-Demos gegeben, die eska­liert sind – so wie die Räumung der Liebig­straße in Berlin. Die Leute begehen Straf­taten, ich filme und foto­gra­fiere das – das ist ja mein Job. Dabei wird man wirk­lich hart ange­gangen.“ Auf einer Demo in Berlin hat er von Gegendemonstrant*innen einen Stein abge­kommen. Bei Groß­demos heißt es deswegen ab jetzt immer: Helm tragen. Die Frage, die er sich stelle, ist: Wo läufst du als Pres­se­ver­treter mit?“ Denn: Die Polizei ist auch Ziel­scheibe linker Demos.

Zwei Minuten und 150 Retweets

Es wird schnell klar, dass es Stress bedeutet, über eine Demo zu berichten: Tweets schreiben und lesen, kurze Clips mit dem Handy aufnehmen, die Teil­neh­menden wie auch die Polizei beob­achten ─ alles wech­selt sich in brisantem Tempo ab. Mal foto­gra­fiert Julius ein span­nendes Plakat, dann widmet er sich einige Minuten lang nur Social Media. Julius ist mit seinen ersten Tweets beschäf­tigt. Dabei sind die rich­tigen Hash­tags wichtig. Später vergisst er einen, ärgert sich, korri­giert ihn anschlie­ßend noch im Thread. Durch Tweets und Hash­tags sei es das beste Medium für eine Live-Bericht­erstat­tung. Es gibt kein Medium, wo man dermaßen schnell reagieren kann und auch schnell Reso­nanz erzielt. Es gab Demos, wo ich etwas getweetet habe und zwei Minuten später wurde das 150 Mal retweetet.“ Auch Spitzenpolitiker*innen wie zum Beispiel Karl Lauter­bach oder Sati­riker Jan Böhmer­mann gehören zu seinen Retweeter*innen. Auch auf einer Demo heißt es: Schauen, was die Konkur­renz macht. Dafür sind die Hash­tags sinn­voll. Nebenbei beant­wortet er meine Fragen. Dass die Situa­tion für ihn als Jour­na­listen stressig ist, merkt man ihm nicht an.

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Jemand schrie: "Integration ist eine Lüge!". Die Rednerin sagte: "Mit dem Tod der jungen Menschen in Hanau starb auch ein Teil von uns selbst.“ Es folgte eine Schweigeminute für die Opfer des Anschlags. Alle Anwesenden knieten sich auf den Boden, der Hermannplatz, der gerade noch so laut war, wird ganz still. / Foto: Dijana Kolak

Berichten – aber wie?

Parallel zur Gedenk­demo findet von aus Steglitz über Schö­ne­berg ein soge­nannter Schwei­ge­marsch statt. Dort soll viel los sein, sieht Julius über Twitter. Inwie­fern das Berichten über eine Demo im Aufklä­rungs­in­ter­esse ist oder man extre­mis­ti­schen Posi­tionen Reich­weite gibt? Wie so oft ist das die Frage, mit der auch Julius sich häufig beschäf­tigt. Für Julius spielen verschie­dene Faktoren eine Rolle. Ganz entschei­dend: Die Teil­neh­men­den­zahl. Über größere Quer­denken-Demos mit mehr als 5.000 Menschen muss man berichten!“ Außerdem wichtig: Wie oft findet ein Protest zum glei­chen Thema in einem Zeit­raum statt? Wöchent­liche Demos mit dem glei­chen Anliegen und der glei­chen Teil­neh­menden-Anzahl verlieren mediale Aufmerk­sam­keit – zu Recht, wie Julius findet.

Jede Woche gibt es irgend­eine Demo oder Aktion von Quer­denken“ – Julius

Mein Anspruch ist es, bei den Fakten zu bleiben. Aber das ist nicht immer leicht. Mir fällt das dann meist im Nach­hinein auf, dass es passieren kann, dass ich abhängig vom Demons­tra­tions-Anlass meine Tweets anders formu­liere. Ich versuche mich hier immer wieder selbst zu über­prüfen.“ Heute wird zum Beispiel kein Abstand gehalten, dafür tragen alle eine Maske. Bei Quer­denken würde er dem, aus gege­benem Anlass, viel mehr Aufmerk­sam­keit schenken. Eigent­lich müsste man das bei beiden Seiten gleich­wertig thema­ti­sieren“, sieht Julius ein. Hier merkt er seine Vorein­ge­nom­men­heit, die er aber auch mit seinen persön­li­chen Erfah­rungen auf Quer­denken-Demos begründet. Oft werde ich ange­feindet und bedroht.“ Ein abso­lutes No-Go wäre aber eine persön­liche Färbung in einem Bericht. Bei der jour­na­lis­ti­schen Darstel­lungs­form des Kommen­tars sei das natür­lich anders. Als Journalist*in kann man nicht objektiv berichten, auch wenn das immer der Anspruch sein sollte. Natür­lich hat jeder seine eigene Meinung und die fließt unter­schwellig in jede Bericht­erstat­tung mit ein. Davon bleibt kein Jour­na­list dieser Welt verschont. “

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Der Artikel ist pünktlich online. / Foto: Dijana Kolak

Die nächste halbe Stunde nimmt er sich Zeit, um den Artikel zu schreiben. Dafür setzen wir uns auf eine Bank auf dem Hermann­platz. Um 15:30 Uhr fängt er an, in die Notiz-App seines Smart­phones zu tippen – Teaser und Titel stehen schon. Er wirft aber auch gleich ein: Man kann nicht erwarten, dass das hier eine jour­na­lis­ti­sche Glanz­leis­tung wird.“ Es ist 15:43 Uhr. Der Zeit­plan ist eng getaktet: Um 16:30 Uhr ist Redak­ti­ons­schluss für die morgige Print­aus­gabe. Um Punkt 16 Uhr versendet er den Text via Slack an das Redak­ti­ons­team. 15 Minuten später ist der Artikel online. Julius Fazit: Es ist schon stressig.“

Ewig möchte er das aber nicht machen: Gerne würde er mehr mode­rieren und Bericht­erstat­tung für das Fern­sehen machen. Erstmal beendet er aber seinen Bachelor in Poli­tik­wis­sen­schaften.

Hass­nach­richten im Post­fach

Anders als viele seiner Kolleg*innen veröf­fent­licht Julius seine Texte und Tweets unter seinem Klar­namen. Hass­nach­richten finden so einen leichten Weg in sein Post­fach. Ich wünschte, du würdest verge­wal­tigt werden“, schrieb ihm jemand per Mail. In einer Twitter-Kommen­tar­spalte tauchten Fotos von ihm auf. Wenn private Daten wie Adresse und Mobil­nummer veröf­fent­licht werden, bringt Julius das zur Anzeige. Das kam bereits mehr­mals vor. Wenn ich Drohungen nicht nur virtuell, sondern zum Beispiel im Brief­kasten erhalten würde, dann würde ich meinen aktu­ellen Job wahr­schein­lich über­denken.“

Was neu für ihn war: Eine Hass­welle aus einer linken Gruppe aus Berlin, nachdem er über ein gewalt­ver­herr­li­chendes Video berichtet hat. Ansonsten würden 90 Prozent der Hass­nach­richten, die ihn errei­chen, von rechts kommen.

Bei linken Demos bekommt er sonst viel Lob für seine jour­na­lis­ti­sche Arbeit. Später am Nach­mittag kommt ein Schul­freund von Julius auf ihn zu: Toll, was du machst“, sagt er und meint es auch so. Das merkt man ihm an. Die Reak­tionen auf Julius und seine Arbeit könnten unter­schied­li­cher kaum sein.


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