Ich war schon immer ein Rebell”

Datum
12. April 2023
Autor*in
Johanna Warszawa
Redaktion
politikorange
Themen
#Ukraine23 #Gen Z
Artikel-Johanna-Ukraine-Moritz Heck

Artikel-Johanna-Ukraine-Moritz Heck

by Moritz Heck
Nox ist selbst­be­wusst, queer, rebel­lisch und aus der Ukraine. Als queere Person ist dey beson­ders gefährdet im Krieg.

Es ist Feier­abend in Berlin. Leute strömen aus allen Rich­tungen und versu­chen dem einset­zenden Regen zu entkommen. Sie spannen ihre Regen­schirme auf und fluchen über Autofahrer*innen. Inmitten dieser Menschen­masse sitzt Nox vor einem Café auf einem hell­blauen Plas­tik­stuhl.

Nox trägt eine schwarze Hose und einen schwarzen langen Mantel. Deren lockige Haare sind schul­ter­lang und um den Hals hängen Kopf­hörer. Nox Ohren schmü­cken zwei Kron­korken-Ohrringe. Auf einem ein Busen, auf dem anderen eine Vulva gezeichnet.

Nox wirkt selbst­be­wusst. Deren Blick scheint zu sagen: I don´t give a shit!“, deren Haltung ist stolz. Typisch Berliner*in könnte man denken. Selbst­be­wusst, poli­tisch und queer.

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Nox von der Seite. Auf dem Ohrring ist eine Vulva zu sehen. Foto: Jugendpresse Deutschland e.V. / Moritz Heck.

Zuge­zogen unter beson­deren Umständen Doch das stimmt nicht. Nox ist zuge­zogen, oder eher geflüchtet. Nox kommt aus der Ukraine. Dey ist im Donbass geboren und dann mit den russi­schen Angriffen 2014 mit der Familie nach Kiew geflohen. Ende Februar musste dey vor den Bomben aus Kiyv fliehen. Es war so gefähr­lich dort. Zuerst sind wir nach Winnyzja geflohen. Das ist eine Stadt im Westen der Ukraine. Dann haben wir uns dazu entschieden, dass es sicherer für mich und meine Mutter wäre zu fliehen.“

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Die Umhängetasche von Nox, auf ihr steht der neue Wohnort: Berlin. Foto: Jugendpresse Deutschland e.V. / Moritz Heck

Ein Rebell in Kiew In Kiew ist Nox aufge­wachsen und hat dessen queere Iden­tität entdeckt. Nox ist bise­xuell und nicht­binär. Dey benutzt gender­neu­trale Pronomen.

Das erste Mal, als ich reali­siert habe, dass ich bise­xuell bin, da war ich glaube ich elf oder zwölf Jahre. Ich erin­nere mich nicht mehr so genau”, erzählt Nox. Da bin ich übri­gens auch zum Akti­vismus gekommen, also LGBTQ und Frau­en­rechte. Ich habe versucht, alles zu entde­cken. Ich habe einfach über alles wie besessen gelesen und dann bin ich von alleine über das Geschlecht: non-binary gestol­pert und gedacht: Das bin ich!“

Das ist also Nox: Weder männ­lich noch weib­lich, sondern nicht­binär. Die Eltern reagierten zuerst skep­tisch. Sie haben gedacht: Das ist nur eine Phase!“, erzählt Nox, halb ernst, halb scherz­haft. Aber ich habe viele Jahre damit verbracht, mit ihnen zu disku­tieren und sie umzu­er­ziehen.” Anfangs seien sie noch sehr homof­eind­lich gewesen, mitt­ler­weile hätten sie Nox Sexua­lität akzep­tiert. Nur mein Geschlecht verstehen sie, glaube ich nicht. Ich war halt schon immer ein Rebell”, sagt Nox stolz.

Zwischen Kiew und Berlin gäbe es sehr große Unter­schiede in der queeren-Szene. In Nox Heimat sei sie vor allem im Unter­grund tätig. Die Gesell­schaft ist sehr konser­vativ und die LGBTQ Szene wird immer noch unter­drückt“, erklärt Nox. Dennoch fühlt dey sich in der Szene wohl. Die Commu­nity ist wie so eine Art Flucht, weil jeder einfach nett zuein­ander ist. Es ist einfach ange­nehm dort zu sein.“ Dey liebt die rebel­li­sche Atmo­sphäre und geht gerne in die Cafés, die in der queeren Szene bekannt sind. Nox versteckt sich nicht, erklärt jedem, der es wissen möchte, deren Iden­tität.

Irgend­wann steigt Nox bei Fridays for Future ein. Erst geht Nox nur zu den Demos, ruft mit den anderen die Sprech­chöre und fühlt sich wieder einmal wohl, etwas verän­dern zu wollen. Als der Krieg anfängt, bringt Nox sich aktiver in die Bewe­gung ein und gestaltet Insta­gram Post für die Bewe­gung. Durch den Krieg hat sich die Bewe­gung vor Ort verän­dert. Statt Demos wird huma­ni­tärer Hilfe für die Ukraine orga­ni­siert.

In Berlin ist es anders. In der queeren Szene fehle der kämp­fe­ri­sche Spirit aus der Ukraine. Es ist logisch, dass wenn eine Unter­grund­be­we­gung akzep­tiert wird, das Rebel­li­sche verloren geht. Trotzdem fühle ich mich hier immer noch sicherer, weil ich nicht für meine Iden­tität kämpfen muss.“

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Nox vor einem Gebäude in Berlin. Foto: Jugendpresse Deutschland e.V. / Moritz Heck

Nox trinkt einen Schluck vom Eistee. Der kalte Tee scheint dey zurück­zu­bringen in die Gegen­wart. Nach Berlin. Hier gibt es keinen Krieg und keine Bomben. Das einzige ärger­liche an dieser Stadt ist momentan der Regen, der nicht aufhören will und die Kälte, die trotz des Früh­lings bis in die Knochen geht.

Die Heimat vermisst Nox sehr. Kiew hat so einen großen Platz in meinem Herzen, Es ist der Ort wo ich aufge­wachsen bin und ich liebe einfach alles daran.“

Während die Bomben in deren Heimat­land fallen, sitzt Nox in Berlin, zählt die Tage bis Ostern, dann fährt dey zurück nach Kiew und besucht die Familie. Mach Abends die Taschen­lampe von deinem Handy an, wenn du durch die Straßen läufst”, sagte deren Vater an Weih­nachten in Kiew zu Nox. Sonst sehen dich die Autos nicht. Die Stra­ßen­lampen leuchten nicht wegen dem Strom­aus­fall.“ Also geht Nox mit deren Taschen­lampe durch die Straßen, besucht alte Freunde und hofft, eines Tages wieder in Kiew zu leben.

Fliehen und Ankommen Die Flucht von Nox und deren Mutter hat zwei Tage gedauert. In Polen haben sie einen kurzen Zwischen­stopp gemacht, dann nach Berlin. Die Schwester wohnte schon hier.

Zuerst war es echt schwierig, weil sie in einer Einzim­mer­woh­nung lebte und unsere Mutter immer noch mit uns gewohnt hat, aber jetzt leben meine Schwester und ich in einer neuen Wohnung und wir haben getrennte Zimmer.“ Die Mutter ging nach ein paar Monaten wieder zurück in die Ukraine. Sie hat meinen Vater vermisst und sie hat ja auch einen Job dort“, erzählt Nox.

Das neue Zuhause ist unge­wohnt. Nox muss sich zuerst an die Stadt gewöhnen. Hier in Berlin versuche ich zu über­leben”, dey lacht auf, es ist einfach schwer ein Hobby als Geflüch­tete zu haben. Das meiste meiner Energie geht einfach verloren und ich muss mich aufs Lernen konzen­trieren.“ Nox geht auf eine inter­na­tio­nale Schule, die durch ein Stipen­dium finan­ziert wird. Ich habe sie einfach über­zeugt mit meinem Charme“, lacht Nox und streicht sich spie­le­risch durchs Haar.

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Die LGBTQ und die Ukraine Flagge auf einer Glasscheibe. Foto: Jugendpresse Deutschland e.V. / Moritz Heck

Anmer­kung der Redak­tion: Da die Protagonist*in non-binary ist, wird in diesem Artikel das gender­neu­trale Pronome dey benutzt. 


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