Zwei­feln ist gut, ihn zu säen nicht

Datum
07. März 2021
Autor*in
Nils Hipp
Redaktion
politikorange
Themen
#nofake 2021 #Politik
Die Illustration zeigt die Erdkugel mit einer FFP2 Maske auf und drei blauen Fragezeichen schräg rechts über der Erde. Der Hintergrund ist pastellgelb.

Die Illustration zeigt die Erdkugel mit einer FFP2 Maske auf und drei blauen Fragezeichen schräg rechts über der Erde. Der Hintergrund ist pastellgelb.

Die globale Corona-Pandemie stimmt viele ratlos. / Foto: cromaconceptovisual / Pixabay

Echsen­men­schen, Illu­mi­naten und geheime Eliten. Verschwö­rungs­my­then haben Hoch­kon­junktur. Über den Umgang mit ihnen, Skepsis, Miss­trauen und Zweifel. Ein Text von Nils Hipp.

Eine schwere Zeit für uns alle

Hohe Zahlen von Corona-Toten im Radio, im Fern­sehen und in den Sozialen Medien. Alles was irgendwie Spaß macht, was uns mensch­lich macht, wird auf einmal gefähr­lich und unso­li­da­risch. Wir sind sozial isoliert, hilflos und viel­leicht sogar verzwei­felt. Manche müssen Angst um ihre Exis­tenz haben, der Staat versucht finan­ziell gegen die Krise zu halten und muss einen Mittelweg zwischen dem mensch­li­chen Verlangen nach Frei­heit und dem Schutz der Gesell­schaft finden. Es gibt berech­tigte Kritik an der Art und Weise der Maßnahmen, den finan­zi­ellen Hilfen und den Stra­te­gien im Umgang mit der Krise, beispiels­weise von den Initia­tiven Zero­Covid“ oder NoCovid“. Wieder andere, die sich nicht mitge­nommen oder verstanden fühlen, gehen auf die Straße, vermi­schen Kritik mit Hass und demons­trieren gegen eine angeb­liche Welt­ver­schwö­rung.

Verschwö­rung: Geheime Absprache von einer Gruppe Menschen, ein bestimmtes Ziel im Bereich des Macht­er­werbs oder des Macht­er­halts mit bestimmten Mitteln errei­chen zu wollen.

Verschwö­rungs­hy­po­these: Verschwö­rung als eine mögliche Ursache eines Sach­ver­halts, fragt auch nach anderen Ursa­chen.

Verschwö­rungs­ideo­logie: Ideen und Vorstel­lungen sind Ausdruck eines Welt­bildes, keine einzelnen Erzäh­lungen.

Verschwö­rungs­my­thos: Bezieht sich auf fiktive Gruppen als Übel­täter“

Amadeu Antonio Stif­tung

Krisen und Verschwö­rungen

Warum hängen Krisen und Verschwö­rungs­er­zäh­lungen zusammen? Die Antwort ist simpel wie unbe­frie­di­gend: Wir sehnen uns nach einfa­chen Erklä­rungen, nach lösbaren Problemen und nach Feind­bil­dern. Sie machen die Welt um uns herum greifbar, erklärbar und verständ­lich.

Es ist viel sexyer Corona als geheime Verschwö­rung, als poli­ti­sches Mittel oder als aufge­bauschte Grippe zu bezeichnen. Wenn das Virus ein poli­ti­sches Problem ist, gibt es eine poli­ti­sche Lösung. Wenn es geheime Gruppen gibt, die das Welt­ge­schehen steuern, sind es Menschen mit einer geheimen Agenda, gegen die man vorgehen kann. Man fühlt sich also nicht so hilflos. Oder es handelt sich um fantas­ti­sche über­mäch­tige Wesen, die alles lenken, Medien und Wissen­schaft mani­pu­lieren und das zugunsten eines absolut bösen Plans. Dann ist man viel­leicht als Indi­vi­duum hilflos, sieht sich aber in einer sehr narziss­ti­schen und komfor­ta­blen Posi­tion. Im Gegen­satz zu all den anderen Schlaf-Schafen“ ist man wissend, man ist beson­ders. Und ist es nicht ein zutiefst mensch­li­ches Bedürfnis, sich im Ange­sicht eines so über­mäch­tigen und unsicht­baren Problems, wie einer Pandemie, wichtig zu fühlen?

Quer­denken-Demos Bericht 20.11.20 I.

Vermut­lich hätte ich mich mit vielen auf der Quer­denken-Demo am 20.11.2020 vor dem Gedenkort Memo­rium Nürn­berger Prozesse“ zivi­li­siert unter­halten können, wären die Fronten nicht so verhärtet gewesen. Jedoch war weder von mir noch von jenen, die auf der Quer­denken-Seite standen, irgend­eine Bereit­schaft dazu erkennbar.

Ihr Stei­ne­werfer habt ja keine Argu­mente, gekauft seid ihr alle, ihr Links­fa­schisten“, rief ein Mann mit über­di­men­sio­nalem Holz­schild, das die Aufschrift Das GRUND­GE­SETZ ist TOT“ zierte, mir und meiner Demons­tra­ti­ons­be­glei­tung hinterher, als wir an ihm vorbei­liefen. Sicher, ich hätte ihm gerne einen Batzen RKI-Forschungs­er­geb­nisse hinge­knallt und mit verschränkten Armen zuge­textet, warum das, was er und seine Mitde­mons­trie­renden gerade tun, aus meiner Sicht zutiefst verwerf­lich ist: sich mit Rechts­extremen verbünden, eine Infek­ti­ons­ge­fahr für die gesamte Gesell­schaft darstellen und die Opfer der Shoah für ihre poli­ti­schen Zwecke miss­brau­chen. Aber ich habe es nicht getan, ich habe an diesem Tag keine Diskus­sion mit selbst­er­nannten Querdenker*innen geführt.

Reale Verschwö­rungen und ihre Konse­quenzen

Die Geschichte tut nicht viel für jene, die im Allge­meinen gegen die Exis­tenz von größeren Verschwö­rungen argu­men­tieren. Egal ob Water­gate, die NSA-Affäre oder fast alles, was im Kalten Krieg ablief. Die Geschichte hat gezeigt, dass Menschen in der Regel gut daran tun, Regie­rende und ihr Handeln zu hinter­fragen, kritisch zu sehen und sich einzu­ge­stehen, auch die Motive des Handelns nicht immer im Detail zu kennen.

Hierbei ist jedoch die Art und Weise immer entschei­dend: Zu sugge­rieren, es gäbe keine kriti­sche Ausein­an­der­set­zung mit dem Thema Corona und den Maßnahmen der Regie­rung, ist falsch. Es gibt nur eben keinerlei Beweise oder auch nur Indi­zien dafür, dass dieser Virus nicht genauso real und gefähr­lich ist, wie die Politik es ihrem Handeln zugrunde legt. Pauschal von der Wissen­schaft“ oder den Medien“ zu spre­chen, zeichnet darüber hinaus ein homo­genes Bild, das so nicht vorhanden ist. Eine diffe­ren­zierte Ausein­an­der­set­zung findet statt und wird auch weiterhin statt­finden. Unsere Demo­kratie funk­tio­niert, das Grund­ge­setz ist alles andere als tot. Es gibt viele Fälle, in denen das Bundes­ver­fas­sungs­ge­richt Maßnahmen aufge­hoben oder aufge­weicht hat, nachdem Klagen einge­gangen waren.

Das Bundes­ver­fas­sungs­ge­richt entschied im April, dass eine Kund­ge­bung in Stutt­gart nicht pauschal von den Behörden verboten werden dürfe. Viel­mehr sei genau zu prüfen, unter welchen Auflagen diese statt­finden könne.“ In der Folge wurde die Kund­ge­bung unter strengen Hygie­ne­maß­nahmen zuge­lassen.

Es gibt einen sehr entschei­denden Unter­schied zwischen berech­tigter, sach­li­cher Kritik und dem in Fragen verpackten Menschen­hass, der Dämo­ni­sie­rung von Gruppen und dem Befeuern der eigenen poli­ti­schen Agenda mit Hetze, Hass und bewusster Spal­tung.

Wichtig ist nicht nur der Ton oder die Inten­tion, sondern auch die Betrach­tung der Realität. Es ist vermut­lich eine gute Regel, all das, was Rechts­extreme, Neo-Nazis und Iden­ti­täre befür­worten, kritisch zu sehen oder gänz­lich abzu­lehnen. Man muss sich bewusst machen, dass Popu­lismus ─ unab­hängig vom Thema ─ alles für die eigenen Zwecke nutzen kann. Popu­lismus muss Zwie­spalt und Hass säen, um zu über­leben. Er labt sich an den Problemen, an den empfun­denen Fehlern der Regie­renden. Er verwan­delt Unsi­cher­heiten in ziel­ge­rich­teten Hass. Egal, wie sehr man sich von der Politik im Stich gelassen fühlt, wie verzwei­felt man ist: Mit Rechts­extremen zu marschieren, ist immer zutiefst verwerf­lich. Unter Reichs­kriegs­flaggen hat noch niemand etwas zum demo­kra­ti­schen Diskurs beigetragen.

Quer­denken Demo Bericht 20.11.20 II.

Inter­es­sant war, dass ich das Gefühl hatte, bereits auf dem Weg zur Demo, in der U‑Bahn, fest­stellen zu können, wer zu welcher Kund­ge­bung möchte. Manchmal war es offen­sicht­lich, manchmal versteckt. Von einschlä­giger rechts­extremer Mode über Reichs­flaggen-Woll­mützen und Fahnen mit Frie­den­tauben ergab sich in der U‑Bahn ein Konglo­merat an angst­ein­flö­ßenden durch­trai­nierten Neo-Nazis, masken­ver­wei­gernden Rentner*innen und Menschen, die ober­fläch­lich eher an die Hippies der 70er Jahre erin­nerten. Mit Frie­dens­sym­bolik und geba­tiktem Shirt, stehen sie neben Schränken in Leder­ja­cken, die die Aufschrift Wodans Erben Germania“ zieren.

Gewalt und Hass, Frieden und Liebe ─ gemeinsam gegen eine angeb­liche Diktatur, gegen eine angeb­lich gekaufte Bericht­erstat­tung und zur Rettung eines angeb­lich toten Grund­ge­setzes. Die Anliegen und Über­zeu­gungen halten zwar keiner logi­schen Prüfung stand, sind aber abge­sehen von einer Infek­ti­ons­ge­fahr eher unbe­denk­lich, mag man denken. Denkt man auch zunächst, wenn man seinen Blick über die Erstan­kömm­linge der Schwurbler*innen-Demo schweifen lässt. Alles ergibt ein trau­riges Bild, alle irgendwie beson­ders, alle irgendwie harmlos und verloren. Bis dann zwischen all den Dread­locks tragenden mittel­alten Menschen, Fami­lien und Rentner*innen ein kahl rasierter Mann auftaucht, der Bomber­jacke und Bundes­wehr­stiefel trägt, in seiner rechten Hand eine Kette, die zu dem musku­lösen Nacken einer Bull­dogge führt. Sie sieht mindes­tens genauso wütend aus wie ihr Halter.“

Diskurs und Verständnis

Die Diskus­sion mit tatsäch­li­chen Verschwörungsideolog*innen ist aus einem Grund beson­ders frus­trie­rend. Die Erkenntnis, dass es so vieles gäbe, das tatsäch­lich erfor­schens­wert und zu hinter­fragen wäre. Aber eben auf Grund­lage von Fakten, Wissen­schaft und Mensch­lich­keit.

Ohne nun unnötig staats­tra­gend zu klingen, dürfen wir eines nie vergessen. Jene, die in unserem Land gewählt werden, um Entschei­dungen zu treffen, sind Menschen. Sie sind fehlbar, sie müssen abwägen und entscheiden. Auch wenn uns diese Entschei­dungen manchmal wider­streben, dürfen wir niemals jene, die sie treffen, entmensch­li­chen. Drohungen, Gewalt und Hass sind defi­nitiv nicht die Mittel einer sach­li­chen Kritik.

Viele Dinge mögen nicht so sein, wie sie scheinen. Regie­rende haben sicher auch andere Motive als jene, die sie in die Medien hinein­tragen. Das nicht anzu­zwei­feln, wäre naiv. Nur darf man es sich selbst nicht so einfach machen. Nur weil etwas logisch klingt und das eigene Selbst­bild bestä­tigt, ist es das noch lange nicht. Das ist eine sehr ernüch­ternde Erkenntnis. Wir müssen uns einge­stehen, vieles nicht zu verstehen. Wer so tut, als wäre er im Besitz aller Antworten auf jede Frage, leidet entweder an starker Selbst­über­schät­zung oder lügt.

Es ist gut und wichtig, Bewe­gungen wie Quer­denken als das anzu­pran­gern, was sie sind und aufs schärfste zu verur­teilen. Als unso­li­da­ri­sche Brut­stätte von Menschen­hass und absurder Verschwö­rungs­ideo­logie. Jedoch dürfen wir dadurch nicht ehrliche Fragen, Unsi­cher­heiten und Skepsis, im Keim ersti­cken. Das hilft weder dem Diskurs, noch der Demo­kratie.


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