Reise in eine andere Welt

Datum
16. Februar 2016
Autor*in
Inga Gloekler
Redaktion
politikorange
Thema
#ZukunftsTour 2016
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In die Welt der Märchen wurde das Publikum bei einer etwas anderen Rahmen­ver­an­staltung der Zukunfts­tour in Jena mitge­nommen. Ein Angebot, das die Chance mit sich brachte, die Themen Flucht, Migra­tion und inter­kul­tu­relle Verstän­di­gung aus einem anderen Blick­winkel zu erleben.

Geräusch­ku­lisse: Wüsten­land­schaft

Es ist ange­nehm warm, der Holz­boden strahlt Gebor­gen­heit aus, das Licht ist gedämpft, einige bunte Strahler erleuchten den Bühnen­hin­ter­grund. Trotz des hohen Raums fühlt man sich zwischen der über­schau­baren Zahl an Zuschauer*innen wohl. Es wird still. Nach einem langen Tag zwischen den 300 lärmenden und aufge­regt durch­ein­ander redenden Schüler*innen des Nach­hal­tig­keits­kon­gresses tut das gut. Langsam beginnen die beiden Musiker Kay Kalytta (Multi­per­cus­sio­nist) und Klaus Wegener (Saxo­phon; Klari­nette) ihren Instru­menten faszi­nie­rende Töne zu entlo­cken. Ein Rauschen erfüllt den Raum, Gras wiegt sich im Wind, von irgendwo her klap­pert und zischelt es, viel­leicht eine Schlange oder ein anderes Tier im Unter­grund, ein tiefes Brummen im Hinter­grund. Da liegt eine geschäf­tige Stadt in der Umge­bung und langsam tauchen dumpfe Laute auf, die Sohlen einiger Kamele kommen auf feinem Sand näher. Allein durch die urigen Klänge entsteht eine beein­dru­ckende Kulisse. Die Künstler nehmen uns mit auf eine aben­teu­er­liche Reise, heraus aus dem tristen Gewer­be­ge­biet in Jena, hinein in unbe­kannte, aber aufre­gend klin­gende Gebiete irgendwo auf dem afri­ka­ni­schen Konti­nent.

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Geräuschkulisse: Wüstenlandschaft. Foto: Inga Glökler

Der Kamel­treiber

Und dann fängt Antje Horn mit ihrer klaren Stimme an zu erzählen, von einem Kamel­treiber auf seinem Kamel der sich früh morgens an die Arbeit machte. Als er an einem Garten voller Pfir­siche vorbei ritt, schnappte sich sein Leit­kamel kurzer­hand einen Pfir­sich vom Baum. Das machte den Besitzer des Gartens, der alles gesehen hatte, so wütend, dass er einen Stein nach dem Kamel schmiss und es so heftig traf, dass es tot zu Boden ging. Das machte den Kamel­treiber sehr zornig und im Affekt warf er den Stein zurück. Unglück­li­cher­weise traf er den Garten­be­sitzer so, dass dieser eben­falls tot umfiel. Der Kamel­treiber wollte schnell fliehen, aber die Söhne des Garten­be­sit­zers hatten bemerkt was geschehen war und über­wäl­tigten ihn. Er sagte, es tue ihm leid und es sei keine Absicht gewesen, er sei nur so wütend über den Tod seines besten Kamels gewesen und er würde ihnen eine hohe Summe Blut­geld zahlen, wenn sie ihn nur am Leben ließen. Aber sie brachten ihn zum Haus des Rich­ters in der Stadt und forderten seinen Tod. Nachdem dieser nochmal nach­ge­fragt hatte, ob die Söhne das Blut­geld nicht doch akzep­tieren wollten und sie verneinten, sprach er den Kamel­treiber schuldig. Als der Henker seine Messer bereits wetzte, bat der Verur­teilte um Aufschub, da er noch etwas Wich­tiges zu erle­digen hatte. Die Menge auf dem Dorf­platz empörte sich über seine Bitte. Doch der Richter bot ihm an er könne drei Tage Aufschub erhalten, wenn ein anderer so lange seinen Platz einnehmen würde. Keiner wollte einem Mörder vertrauen und sein eigenes Leben riskieren. Alle bezwei­felten, dass der Schul­dige jemals wieder­kehren würde. Doch dann trat ein alter gebrech­li­cher Mann aus der Menge und erklärte sich bereit, den Platz des Kamel­trei­bers einzu­nehmen bis der wieder­kommen würde. Der schnappte sich sein schnellstes Kamel und ritt davon.

Urmuster aller Märchen: Der Sieg des Guten über das Böse

Die Schrift­stel­lerin Christa Wolf legt allen Märchen ein Urmuster“ zugrunde: die Über­zeu­gung vom unver­meid­li­chen Sieg des Guten über das Böse.“ Es spielt keine Rolle, ob ein Märchen afri­ka­nisch ist und in der Wüste spielt oder euro­pä­isch erzählt wird und im dunklen Wald seine Kulisse hat – die Botschaft bleibt immer ähnlich. Die Botschaft, oftmals eine von Gerech­tig­keit und Tole­ranz, ist es auch, die bleibt, wenn ein Märchen auf Wander­schaft geht. Es wird von Gene­ra­tion zu Gene­ra­tion weiter­ge­geben und verbindet so die Menschen. Oftmals werden die Geschichten aber auch in andere Kultur­kreise gebracht und durch die dortige Erzähl­weise beein­flusst. Kristin Wardetzky, eine bekannte Märchen­for­scherin, nennt Märchen Pioniere der Migra­tion“, sie werden in fremden Kulturen heimisch, nehmen Neues auf und berei­chern durch ihre ursprüng­liche Art.

Nach dem dritten Tag kam der Kamel­treiber zurück. Zwar sehr spät, aber er kam zurück und hatte sein Wort gehalten. Es wurde nun also alles vorbe­reitet um seine Hinrich­tung zu voll­ziehen. Während­dessen wird der alte Mann gefragt, warum er das getan habe? Er antwortet, dass er aus einer Zeit kommt, in der man dem Wort eines Mannes glauben kann. Und hätte der Kamel­treiber sich nicht daran gehalten, hätte er in solch einer Welt, in der das Wort eines Mannes nichts mehr wert ist, nicht weiter­leben wollen. Das bringt den Richter und die Menschen­menge zum Nach­denken. Schließ­lich hat der Kamel­treiber zwar einen Mann getötet, wie er beteuert unab­sicht­lich, aber er hat auch sein Wort gehalten und den Alten nicht einfach an seiner Stelle sterben lassen. Der Richter belohnt diese Ehrlich­keit und spricht den Kamel­treiber frei, dieser zahlt den Söhnen Blut­geld und darf leben. Alle Gerech­tig­keit ist ohne Barm­her­zig­keit nichts wert“, sagt der Richter und lädt die Stadt ein an diesem glück­li­chen Tag ein Fest zu feiern.

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Antje Horn erzählt von Gut und Böse. Foto: Inga Glökler

Ende gut – alles gut?

Nicht ganz so glück­lich war an diesem Abend der Initiator der Veran­stal­tung, Dr. Martin Straub vom Lese-Zeichen Verein Jena. Er hätte sich gewünscht, das auch Teilnehmer*innen des Nach­hal­tig­keits­kon­gresses am Abend noch einmal den Weg zur Imagi­nata finden um die beein­dru­ckende Perfor­mance der beiden Musiker und der Erzäh­lerin, sowie die Botschaft um die Geschichten herum, zu erleben. Die lautete: Gerade in der jetzigen Zeit, in der immer mehr Flücht­linge aus anderen Kultur­kreisen nach Deutsch­land kommen, ist gegen­sei­tiges Verständnis beson­ders wichtig. Märchen vermit­teln meist eine ähnliche Werte­vor­stel­lung und haben, egal aus welchem Kultur­kreis sie stammen, vieles gemeinsam. Mit dem Blick­winkel der Märchen­ge­schichten, einer gene­ra­tio­nen­über­grei­fenden Lite­ra­tur­gat­tung, soll das Verständnis für einander geför­dert werden.

Die Schein­werfer leuchten blau und grün, der Raum ist jetzt recht dunkel. Im trüben Licht wirkt Antje Horn in ihrer grünen Jacke selbst wie Treibgut und nimmt das Publikum mit in die Unter­was­ser­welt. Sie erzählt von den Aben­teuern des kleinen Teufels Asmo­dius. Nachdem der durch einen Trick in eine Flasche gelockt wurde um die Bewohner Kapstadts vor ihm zu retten, wird er von einem Scheich in den Ozean geworfen. Die Töne der Instru­mente sind gedämpft, das Rauschen der Meeres­wogen wird nur durch die genervte Stimme des kleinen Asmo­dius in seiner mit Kupfer umman­telten Flasche gestört. Plötz­lich wird es glei­ßend hell; ein Fischer hat die Flasche aus dem Wasser gezogen. Der will solch eine Kreatur aber nicht behalten und wirft seinen Fang wieder ins Meer. Irgend­wann gibt es einen lauten Knall, Asmo­dius hat es geschafft sich zu befreien, dank einer Languste, um die er sich von nun an kümmert. Getreu dem Motto – Ende gut alles gut“ ist der Teufel nach seiner Unter­was­ser­reise besänf­tigt und das Publikum um viele Geschichten reicher.


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