Raus in die Welt

Datum
29. September 2015
Autor*in
Lisa Pausch
Redaktion
politikorange
Thema
#ZukunftsTour 2016
beitrag_weltwaerts

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Brasi­lien, Indien oder Papua-Neuguinea – Alltag adé. Über 20 Schüler*innen der Fach­ober­schule aus Nürn­berg erfahren, wie globales Lernen“ funk­tio­nieren kann.

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Gemeinsam Lernen Foto: Lisa Pausch

In Schwellen- und Entwick­lungs­län­dern über den eigenen Teller­rand schauen und erleben, wie Menschen leben, die oft nicht die glei­chen Chancen haben wie wir“, so erklärt Eva Schuster von der Eine Welt-Station Nürn­berg die Idee von welt­wärts und dem globalen Lernen. Im Kamin­zimmer des Prinz-Carl-Palais, dem Amts­sitz des Baye­ri­schen Minis­ter­prä­si­denten, begleiten Work­shops und Kurz­vor­träge das Programm der Zukunfts­Tour. Doch weder ein gemüt­li­cher Kamin, noch Decken und Tee erwarten die Besu­cher, statt­dessen kleine Stuhl­kreise und Zeit zum Fragen­stellen – der Stun­den­plan der Zukunfts­tour ist dicht bepackt. Eva Schuster und ihre“ vier ehema­ligen Frei­wil­ligen haben eine halbe Stunde Zeit, um den 16- und 17-jährigen Jugend­li­chen neue Impulse zu geben. Amelie, Vera, Anna und Timo sind vor Kurzem aus China, Tansania und Papua-Neuguinea zurück­ge­kommen und berichten von ihren Erfah­rungen.

Der entwick­lungs­po­li­ti­sche Frei­wil­li­gen­dienst welt­wärts wird vom Bundes­mi­nis­te­rium für wirt­schaft­liche Zusam­men­ar­beit und Entwick­lung (BMZ) finan­ziert. Seit 2007 sind rund 20.000 Frei­wil­lige im Alter von 18 bis 28 Jahren in über 80 Länder ausge­reist. Sie enga­gieren sich in einem Entwick­lungs­pro­jekt und nehmen Erfah­rungen mit, die sie ihr ganzes Leben lang begleiten.

Nur das Nötigste“

Timo

Und Internet? Timo beantwortet geduldig die Fragen besorgter Schüler*innenFoto: Lisa Pausch

Timo war als Musik­lehrer für zwölf Monate in Papua-Neuguinea. In einer Evan­ge­lis­ten­schule brachte er Lehrern Noten­lesen und Gitar­re­spielen bei. Als ursprüng­lich“ und gelassen“ habe er das Leben dort empfunden und Pünkt­lich­keit und Perfek­tio­nismus an den Nagel gehängt, erzählt er. Seine Mitbürger*innen auf Zeit lebten in selbst­ge­bauten Häusern und arbei­teten nur das Nötigste“: Eine Gesell­schaft, die einfach so glück­lich ist. Wir Deut­sche sind mit all der Arbeit glück­lich, dafür haben wir aber Burn-Out und Stress“. Ein Schüler hat Bedenken zur Sicher­heits­lage im Land, doch Timo winkt ab: Gene­rell seien die Leute gesellig und überaus freund­lich. Die Sprache habe er schnell gelernt, etwa 800 Wörter und kaum Gram­matik. Er beglei­tete die Missio­nare in die Schule und bei der Jagd, lebte in einem der luxu­riö­seren Stein­häuser mit Dusche, flie­ßend warmen Wasser und Strom. Nebenbei blieb Zeit zum Reisen, Berge besteigen und Sich-neu-Erfinden. Natür­lich hatte ich meine Aufgaben, aber da sie mir Spaß gemacht haben, hatte ich ein Jahr Ferien“.

Bezahlter Aben­teu­er­ur­laub oder sinn­voller Lern­dienst?

Für die anwe­senden Schüler*innen hört sich das nicht schlecht an: Über­nommen werden Taschen­geld, Unter­kunft, Flug­kosten, Visa­kosten, Semi­nar­kosten – ein Jahr all inclusiv. 25 Prozent der Kosten, etwa 1500 Euro sollen die Frei­wil­ligen nach Möglich­keit durch einen Unter­stüt­zer­kreis sammeln.

Der Aufent­halt ist kein reiner Aben­teu­er­ur­laub.“, betont Eva Schuster. Drei Semi­nare – während, vor und nach dem Jahr – sollen auf den Dienst vorbe­reiten und die jungen Frei­wil­ligen sensi­bi­li­sieren. Es geht auch darum, wie man sich als Deut­scher oder Weißer in einem Land des globalen Südens verhält“. In den Semi­naren geht es um kriti­sche Ausein­an­der­set­zung mit dem Weiß­sein, globale Struk­turen von Benach­tei­li­gung und die eigene Verant­wor­tung bei Bericht­erstat­tung, aber auch Refle­xion über Vorur­teile, Sorgen und Erfah­rungen der Frei­wil­ligen werden thema­ti­siert. Das Ziel ist es nicht, die Menschen in den Projekten zu belehren“, betont Eva Schuster, die Frei­wil­ligen selbst sollen lernen“.

Das BMZ stellt für Rückkehrer*innen und ihre Projekte jähr­lich über eine Million Euro zur Verfü­gung. Frei­wil­lige als Multi­pli­ka­toren, so schreibt das BMZ, sollen andere an ihrem Lern­prozeß teil­haben lassen. Sie sind Menschen, die oft ihr Leben lang eine beson­deres Inter­esse am ehema­ligen Gast­land haben. Ein besseres Verständnis und Empa­thie sind für Entschei­dungen in einer nach­hal­ti­geren Politik und Wirt­schaft von Bedeu­tung.

Vera

Vera ging weltwärts und möchte die Jugendlichen mit ihrer Begeisterung anstecken Foto: Lisa Pausch

Armut besei­tigen? Utopisch!“

Ein Multi­pli­kator soll auch Timo sein. Seine Erfah­rung habe ihn verän­dert. Man merkt, er ist poli­tisch inter­es­siert. Die langen Ausspra­chen und viele Verspre­chen für die nächsten Jahre in der Poli­ti­k­arena hält er für gutge­redet“. Er hätte sich rich­tige Diskus­sionen gewünscht: Es ist utopisch zu glauben, dass in 20 Jahren keiner mehr verhun­gert“. Timo kriti­siert die Asyl­po­litik und fordert, den zahl­rei­chen gut ausge­bil­deten Geflüch­teten den Zugang zum Arbeits­markt zu erleich­tern, damit sie hier leben und Steuern zahlen.

Was er selber für die Zukunft machen kann? Viel­leicht ein Flücht­lings­heim bauen“.

Die Schüler*innen scheinen sicht­lich angetan von Timos Erzäh­lung: Wenn man nicht weiß, was man nach der Schule machen soll, ist so ein Dienst doch ganz sinn­voll, um die Zeit zu über­brü­cken“. Die Zukunft, die hier so breit beredet wird, ist zum größten Teil ihre.

Du arm, ich reich: Von Bildern im Kopf

Das bemän­geln Kritiker von welt­wärts. Denn vom soge­nannten globalen Lernen profi­tiert größ­ten­teils die Bildungs­elite – 97 Prozent der Frei­wil­ligen sind Abiturient*innen. Um gesell­schaft­lich brei­tere Impulse zu geben, müssten verstärkt Menschen mit Behin­de­rung, Migra­ti­ons­hin­ter­grund oder Haupt­schul­ab­gänger ange­worben werden.

Es ist die Reise eines Privi­le­gierten, das Gegen­über­stellen von Wir“ und den Anderen“. Der Weiße, der sein Ansprüche für kurze Zeit herab­schraubt. Die anderen sind arm, wir sind reich – die einen sind Geber, die anderen Nehmer. Wir“ glauben zu wissen, was anderen zum Glück verhilft.

Doch wenn eine Begeg­nung mit Respekt und Demut, Geduld und Zurück­hal­tung beginnt, kann es für beide Seiten eine große Berei­che­rung sein. Viele ehema­lige Frei­wil­lige halten noch lange Zeit danach Kontakt mit Gast­fa­milie, Freunden und Bekannten. Sie bringen Musik, Gewohn­heiten und Ideen mit nach Deutsch­land und erzählen von einem Land, wie es Touristen oft nicht erleben können. Sie beginnen, Konzepte vom Wir und den Anderen aufzu­bre­chen. Unbe­kanntes nicht zu verglei­chen, sondern als Neues anzu­nehmen.

Ein Austausch über konti­nen­tale Grenzen hinweg kann für junge Menschen in einer globa­li­sierten Welt eine wert­volle und nach­hal­tige Erfah­rung sein und im besten Fall Verständnis für andere Menschen, andere Gedanken und Ange­wohn­heiten fördern. Ein Bewusst­sein für globale Zusam­men­hänge kann ein Umdenken im eigenen Handeln bewirken. Und das ist viel­leicht weitaus förder­li­cher für unsere Zukunft als jeder Brunnen, jede Spende, jeder Euro.

Zahlreich vertreten: Schüler*innen in der Politikarena

Es geht um ihre Zukunft: Jugendliche in der Politikarena Foto: Lisa Pausch


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