Poetry und Politik

Datum
13. Februar 2016
Autor*in
Inga Gloekler
Redaktion
politikorange
Thema
#ZukunftsTour 2016
Poetry-Slam

Poetry-Slam

Lisa Stehnke beim Poetry-Slam. Foto: Inga Glökler

Der Poetry-Slam in Jena steht unter dem Titel: Globa­li­sie­rung geht uns alle an“. Inga Glökler zeigt, wo sich moderne Lyrik und große Politik treffen und welche Themen beson­ders wichtig waren.

Ein Poetry Slam unter dem Motto Slam it – Globa­li­sie­rung geht uns alle an“ in der Tonhalle der Imagi­nata. Drei Poetinnen und ganz unter­schied­liche Texte zum Thema Globa­li­sie­rung. Lisa Stehnke und Elli Linn aus Jena und Ze Brisa aus Halle tragen vor, mahnen die circa fünfzig Zuhörer*innen ihr Konsum­ver­halten zu über­denken und bringen sie zum Nach­denken.

Globa­li­sie­rung, ich hasse dich!“

Ze Brisa tritt als Erste ans Mikrofon und hat einen aggres­siven Hass­brief an die Globa­li­sie­rung mitge­bracht. Diese beschimpft sie in ihren unter­schied­li­chen Formen und stellt beängs­ti­gende Vergleiche wie den zu einer Hydra, deren Köpfe man bis in die Ewig­keit abschlagen könnte“ auf. Sie spricht ganz allge­mein von der Globa­li­sie­rung – doch was bedeutet dieses allge­gen­wär­tige Wort eigent­lich? Wiki­pedia defi­niert es als den Vorgang, dass inter­na­tio­nale Verflech­tungen in vielen Berei­chen (Wirt­schaft, Politik, Kultur, Umwelt, Kommu­ni­ka­tion) zunehmen, und zwar zwischen Indi­vi­duen, Gesell­schaften, Insti­tu­tionen und Staaten.“ Dass es gerade in der Wirt­schaft einige Negativ- Beispiele gibt, Ze Brisa nennt hier Primark, dessen Arbeits­be­din­gungen frag­würdig sind, ist unum­stritten. Dass aber doch eine große Chance in der Globa­li­sie­rung liegt – gerade für Politik und Kultur‑, wird deut­lich wenn man sich die Zukunfts­charta durch­liest. 2014 vom Bundes­mi­nis­te­rium für wirt­schaft­liche Zusam­men­ar­beit und Entwick­lung veröf­fent­licht, formu­liert sie Aufgaben, Anspruch und Verant­wor­tung für EINEWELT. Es wird deut­lich, dass wir uns beim Thema Nach­hal­tig­keit nicht auf Deutsch­land beschränken können, sondern in einem globalen Kontext handeln müssen. Globa­li­sie­rung hat also nicht nur nega­tive Seiten, sondern heißt auch, dass alle zusammen etwas für eine bessere Welt tun.

Ich kann das alles nicht mehr sehen.“

Ze Brisa sagt: So geht es vielen und überall hört man es, ein welt­weites Ich gebe auf‘.“ Sie ist nicht die einzige, die diese Resi­gna­tion beklagt. Immer wieder hört man davon, dass die stän­dige Flut an Schre­ckens­nach­richten, die tägliche Bericht­erstat­tung über Umwelt­ka­ta­stro­phen, Kriege und die Lage der Flücht­linge uns alle abstumpft und das Entsetzen zum tägli­chen Begleiter wird. Davon ist auf dem Jugend­nach­hal­tig­keits­kon­gress in Jena aller­dings nichts zu spüren. Unter den Schüler*innen herrscht Taten­drang, sie wollten ihre Chance nutzen der Politik zu sagen was ihnen wichtig ist. In den Work­shops wird konzen­triert gear­beitet und eine Menge Forde­rungen stehen zur Debatte. Heraus­ge­kommen ist die Jugend-Nach­hal­tig­keits­agenda Thüringen, in der 8 konkrete, von den Jugend­li­chen ausge­wählte, Forde­rungen formu­liert wurden. Ganz beson­ders enga­giert sind die vier Vertreter*innen in der Diskus­sion mit dem Minis­ter­prä­si­denten und Staat­s­e­kretär Silber­horn am Ende der Poli­ti­k­arena. Sie wollen unbe­dingt gehört werden! Auch bei der Erar­bei­tung der Zukunfts­charta setzte das Minis­te­rium auf Dialog. Viele Bürger*innen nahmen die Möglich­keit wahr und brachten ihre Ideen mit ein. Auch Jena und die Jugend­li­chen aus Thüringen zeigen heute deut­lich, dass sie mögli­cher Resi­gna­tion ihr Inter­esse und Enga­ge­ment entge­gen­setzen können und zusammen für eine nach­hal­ti­gere Welt eintreten.

IMG_4667

Die Jugendlichen in der Diskussion mit Ministerpräsident Ramelow und Staatssekretär Silberhorn. Foto: Inga Glökler

Liebe.“

Am Ende ihres Auftritts stimmt Ze Brisa noch einmal harmo­ni­schere Töne an. Sie gibt der Liebe eine Chance. Nachdem sie zuvor von ihren Erleb­nissen mit Flücht­lingen in ihrer Rolle als Deutsch­leh­rerin erzählte, rät sie dem Publikum nun: Umarmt mehr Leute, lacht die Mensch­heit an. Und dann wird der Abgang des Ganzen viel­leicht süßer als der bishe­rige, bittere Beigeschmack.“ Um Menschen zu umarmen muss man auf sie zugehen. Dieses aufein­ander Zugehen war auch in Jena ein großes Thema. Die beiden Poli­tiker plädieren sicht­lich emotional ergriffen dafür, Flücht­linge kennen­zu­lernen und sich über die Zahlen und Daten zu infor­mieren. Es sei uner­träg­lich, welche Hass­pa­rolen verbreitet werden ohne sich mit dem Schicksal der Geflüch­teten ausein­ander gesetzt zu haben. Bodo Ramelow ist sich sicher, diese Aufgabe kann der Frei­staat Thüringen nicht diri­gieren. Eine Umar­mung, ein Schritt aufein­ander zu beginnt im Kleinen, bei jedem einzelnen, in der Schule oder in der Nach­bar­schaft.

Grenz­kon­trolle

Davon, wie sie die Globa­li­sie­rung im Kleinen erlebte und wie sie sich die Vernet­zung heute vorstellt erzählt die Jenaerin Elli Linn. Ihr gereimter Text nimmt die Zuhörer*innen zunächst mit in ihre Kind­heit nach Bran­den­burg. Erste Station: Grenz­kon­trolle an der deutsch-polni­schen Grenze nach einem ihrer zahl­rei­chen Einkäufe auf dem Polen­markt‘. Im Gepäck: Die Schild­kröte aus Grie­chen­land mit deut­schem Namen Otto.“ Auch in vielen anderen Texten berichtet Elli Linn von ihren Erleb­nissen auf dem Polen­markt, sehr früh kam sie dort in Berüh­rung mit inter­na­tio­nalem Handel. Als Kind fiel es ihr trotzdem schwer zu verstehen, was ihr Vater meinte, wenn er von der Globa­li­sie­rung sprach. Jede Erklä­rung war Fremd­wort­ge­sang und so ist es auch noch heute.“ Sie versucht es mit der Defi­ni­tion von Wiki­pedia, sucht Beispiele aus ihrem Alltag und vermag es doch nicht, eine zufrie­den­stel­lende Antwort zu finden. Am Ende zeichnet sie ein Bild von einer Erdkugel, über die eine Spinne läuft und konti­nu­ier­lich ihre Netze spinnt. Aus einem kleinen Faden spinnt sie ihre Netze und ich denke wie entsetz­lich verletz­lich sind ihre Netze.“ Um Kindern schon früh einen Zugang zu diesem komplexen Thema zu ermög­li­chen, fordern die Jugend­li­chen aus Jena Nach­hal­tig­keits­bil­dung bereits in den Grund­schulen.

Das Mädchen in Mali und du

In anderen Teilen der Welt haben Kinder nicht einmal die Chance eine Grund­schule zu besu­chen, viele von ihnen müssen bereits hart arbeiten. Mit dem Thema Kinder­ar­beit in der globa­li­sierten Welt setzt Lisa Stehnke sich ausein­ander. Das allge­meine Konsum­ver­halten beschreibt sie so: Du kannst alles haben, heute, morgen oder nächste Woche, völlig egal, du kannst alles haben, von überall auf der Welt. Ist doch super toll. Immer das güns­tigste, immer billiger als irgendwo anders und immer so wenig Geld wie möglich dafür ausgeben.“ Sie spricht damit das Publikum direkt an und zeigt die beinahe unend­li­chen Möglich­keiten des Konsums auf. Und dann gibt’s da ein Mädchen in Mali“, dessen Leben sie mit anpran­gernder Stimme darstellt. Fernab von den Eltern muss es Tag und Nacht ackern, wird geschlagen wenn es nicht schnell genug arbeitet. Die Schuld für solche grau­samen Zustände gibt Lisa auch der Globa­li­sie­rung -„weil jeder doch heute an jedem Ort produ­zieren darf. Dann geht man doch gleich in die Länder, wo man nicht auf Wider­stand trifft, weil es sich die Leute dort nicht leisten können, Wider­stand zu leisten.“ Die Zukunfts­charta formu­liert eins der Ziele für Wirt­schafts­wachstum mit Nach­hal­tig­keit und menschen­wür­diger Beschäf­ti­gung‘ wie folgt: Natio­nale und inter­na­tio­nale Politik sollte gemeinsam mit Unter­nehmen darauf abzielen, für alle Produk­ti­ons­stand­orte […] die Einhal­tung verbind­li­cher Regeln und Stan­dards zu gewähr­leisten.“ Deut­sche Politik müsse sich für die Been­di­gung der Kinder­ar­beit einsetzen und bildungs­po­li­ti­sche Maßnahmen unter­stützen. Diese Ziele klingen erstre­bens­wert und wenn die Regie­rungen und Unter­nehmen dieser Welt etwas dafür tun, kann auch jede*r einzeln*e seinen Beitrag dazu leisten.

Elfen­bein­küste klingt schön.“

Lisa Stehnke fordert dazu auf, ganz genau zu schauen, wo etwas herkommt und sich darüber zu infor­mieren wie es produ­ziert wurde. Elfen­bein­küste klingt schön, aber nicht überall, wo schön drauf­steht, ist auch schön drin.“ Wie leicht man sich täuschen lassen kann, beschreibt sie an einem Beispiel. Weil Baum­wolle vermeint­lich natür­li­cher und ökolo­gi­scher ist als Poly­ester entscheidet sich ein*e Konsument*in dafür. Dabei wird die Baum­wolle von Kinder­händen geerntet. Ein zweites Kinder­schicksal: ein zehn­jäh­riger Junge arbeitet illegal und für einen geringen Lohn, er kann froh sein zu Essen und zu Trinken zu haben, hat blutige Hände und Beine von der Arbeit. An dem preis­werten Klei­dungs­stück das am Ende der Produk­ti­ons­kette steht klebt kein Blut mehr, wie also soll man erkennen, ob es mit Kinder­ar­beit herge­stellt wurde oder nicht? Die Schüler*innen aus Thüringen haben dazu eine klare Forde­rung formu­liert: sie wollen ein unab­hän­giges und einheit­li­ches Siegel für nach­hal­tige Produk­ti­ons­stand­orte einführen.

Verän­de­rung

Lisa Stehnke sagt: Man kann sich seinen Platz in der Welt ja nun leider nicht aussu­chen“. Nein, das kann man nicht, aber man kann sich aussu­chen, wie man sich verhält und was man kauft und damit etwas verän­dern. Und das der Wille da ist, das zeigt die Zukunfts­charta, das zeigen die 17 Sustainable Deve­lo­p­ment Goals der UN und das haben ganz beson­ders die Teilnehmer*innen der Zukunfts­tour in Jena gezeigt.


Empfohlene Beiträge

Werde Teil unserer Community

Entdecke spannende Geschichten, vernetze dich mit anderen jungen Journalist:innen und gestalte die Medienlandschaft von morgen mit. Melde dich jetzt an und bleibe immer auf dem neuesten Stand.

Wehrpflicht Redaktion Gruppenbild