Nicht bloß heiße Luft

Datum
27. Oktober 2015
Autor*in
Philipp Neudert
Redaktion
politikorange
Thema
#ZukunftsTour 2016
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Klima­wandel, Ausbeu­tung, Umwelt­ver­schmut­zung – die Probleme der Welt sind groß. Dass schon kleine Verän­de­rungen zu großen Verbes­se­rungen führen können, wie das gehen soll und was sich im Großen trotzdem ändern muss, das will die Zukunfts­Tour zeigen.

Es ist kalt, wenn man die Wagen­hallen betritt. Um halb neun Uhr morgens sieht man hier seinen Atem konden­sieren. Leere Stühle, verlas­sene Stände, einsame Banner. Es ist kalt und still. Gegen neun Uhr die schlag­ar­tige Ände­rung, Menschen drängen in die Halle, in die kleinen Ausstel­lungen, in die Work­shops, die sich auf verschie­denste Weisen mit den Themen Klima­wandel, soziale Gerech­tig­keit und Nach­hal­tig­keit ausein­an­der­setzen. Über­wie­gend sind es Schul­klassen. Frei­willig sind die nicht alle hier. Viele Körper heizen die Luft auf.

Rund ein Dutzend Aussteller, allen voran das Bundes­mi­nis­te­rium für wirt­schaft­liche Zusam­men­ar­beit und Entwick­lung (BMZ) sowie die Baden-Würt­em­berg-Stif­tung und Trans­Fair e.V. nutzen die Gele­gen­heit, sich selbst, ihre Ziele und Stra­te­gien ins rechte Licht zu rücken. Auf ein über­wie­gend aus Schüler bestehendes Publikum sind sie bestens vorbe­reitet. Die Work­shop­in­halte beschränken sich auf einfach verständ­liche Zusam­men­hänge und klare Botschaften und bemühen sich dabei um Anschau­lich­keit.

Das Befüllen von Fässern

Im Work­shop Kinder­ar­beit global, Klei­der­konsum lokal – was geht mich das an? der Regio­nalen Bildungs­stelle Baden-Würt­em­berg liegt ein grünes Tuch im Bereich des Äqua­tors auf einer riesigen Welt­karte. Die Tropen seien das frucht­barste und viel­fäl­tigste Ökosystem, erfährt man. Was wächst denn in den Tropen?“ – Bananen.“ – Keine Ahnung. Früchte.“ – Hm. Kaffee?“ Das stot­ternde Frage-Antwort-Spiel, den ganzen Work­shop lang. Trotzdem, nach einiger Zeit sind die Gründe für Kinder­ar­beit beleuchtet – die Fami­lien brau­chen das Geld, es sind billige Arbeits­kräfte, ihr Körperbau ist z.B. für gefähr­liche Minen besser geeignet – die üblen Arbeits­be­din­gungen beschrieben, und die Hoch­glanz­fotos von ausge­beu­teten Kindern konnten Mitleid erregen. Jetzt geht es um Textil­ver­ar­bei­tung. Woher die Kleider stammen, sollen die Teilnehmer*innen schätzen, indem sie Stoff­bälle in das vermu­tete Land legen. Asien verschwindet unter einer Bälle­py­ra­mide. Gut!“ Die Bälle sind bunt und tragen Smiley-Gesichter. Kein Herkunfts­land darauf vermerkt.

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Stoffbälle werden auf das die Länder gelegt, in denen die Teilnehmer*innen Produktionsstätten für Textilien vermuten. Gleich wird Asien ganz bedeckt sein. Woher die Bälle stammen, ist ungewiss. Foto: Philipp Neudert

Nächste Infor­ma­tion: 26 Kilo Klei­dung, die kauft jede*r Deut­sche durch­schnitt­lich im Jahr ein. Die Indus­trie in Ländern wie Bangla­desch ist auf die billige Herstel­lung dieser Klei­dung spezia­li­siert, unter schlechten Arbeits­be­din­gungen und zu extremen Nied­rig­löhnen. Niemand hier will dafür verant­wort­lich sein. Was tun? Der Work­shop schließt mit Tips: Fair­trade- und Biokla­motten kaufen. Oder gleich Second­hand. Und grund­sätz­lich weniger kaufen und dafür länger benutzen. Klei­der­tausch­partys. Upcy­cling, beispiels­weise das Vernähen alter Jeans zu Taschen. Um Fragen wird nicht gebeten. In der Ecke steht ein Banner des BMZ, darauf ist zu lesen: Bildung ist nicht das Befüllen von Fässern, sondern das Entzünden von Flammen.“ (Hera­klit, grie­chi­scher Philo­soph.)

Armut ist auch poli­tisch

Als Nächstes ist Platz beim CHAT der WELTEN, orga­ni­siert vom EPiZ. Es geht um Flücht­linge und Flucht­ur­sa­chen. Die Teil­nehmer reprä­sen­tieren die Welt­be­völ­ke­rung und plat­zieren sich auf der riesigen Welt­karte, so wie sie meinen, dass sich die Welt­be­völ­ke­rung nach tatsäch­lich verteilt. Die Schät­zungen sind erstaun­lich gut. Anschlie­ßend wird mittels der bunten Hocker der Wohl­stand symbo­li­siert und wiederum verteilt, und erneut sind die Schät­zungen der Teilnehmer*innen ziem­lich nahe an den Fakten: In Amerika und Europa gibt es mehr, im Rest der Welt weniger Hocker als Menschen.

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CHAT der WELTEN. Die Teilnehmer*innen und bunte Hocker werden auf einer Weltkarte verteilt, um die Weltbevölkerung und den Wohlstand darzustellen. Foto: Philipp Neudert

Zuletzt geht es an die Flücht­lings­ver­tei­lung. Einige werden in Afrika, einige in den USA, der aller­größte Teil in Europa vermutet. Falsch – Asien und Afrika nehmen die meiste Flücht­linge auf, während nur ein margi­naler Teil nach Europa oder in die USA gelangt. Über­deut­lich wird die unge­rechte Vertei­lung von Reichtum und Flücht­lingen in der Welt. Das ist anschau­lich und bleibt vermut­lich bei den meisten Teil­neh­mern hängen, aber der CHAT will noch mehr – junge Menschen aus Deutsch­land mit Flücht­lingen und Experten aus anderen Ländern ins Gespräch bringen. Digital. Der Flücht­lings­ak­ti­vist Rex Osa ist jedoch physisch anwe­send und stellt sich den Fragen junger Menschen, in die er als die Poli­tiker und Sozi­al­ar­beiter von morgen“ große Hoff­nung setzt. Osa ist 2005 poli­tisch verfolgt aus Nigeria geflohen, seit Jahren genießt er poli­ti­sches Asyl in Deutsch­land, enga­giert sich für Flücht­linge und kriti­siert scharf die Rüstungs­in­dus­trie, die sich an Kriegen überall in der Welt berei­chert. Als Ursa­chen für Flucht nennt er Perspek­tiv­lo­sig­keit, Verfol­gung und Armut. Auch soge­nannte Armuts­flücht­linge sind für ihn poli­ti­sche Flücht­linge, da ihre Lage mit poli­ti­schen Entschei­dungen zusam­men­hängt, mit dem umstrit­tenen Frei­han­dels­ab­kommen EPA zwischen Afrika und EU etwa. Direkter als durch Menschen wie Osa kann man nicht über das Thema infor­miert werden. Das EPiZ versucht, was Hera­klit fordert.

Draußen essen die Menschen Kürbis­suppe aus Holztel­lern. Schüler*innen reflek­tiere den Input: Wer garan­tiert denn, dass Fair­trade nicht auch betrügt?“ Andere beschweren sich laut­stark, dass sie noch drei Stunden bleiben müssen. Drinnen beginnt die Poli­ti­k­arena.

Es wird früher und dann später Nach­mittag. Und dann steht man draußen und will ein Fazit ziehen. Durchaus inter­es­sante Ansätze sind auf der Zukunfts­Tour in Stutt­gart präsen­tiert worden. Bahn­bre­chende neue sind nicht darunter. Oft betont wird die Bedeu­tung von Aufklä­rung. Die Menschen müssen von den Möglich­keiten erfahren und von den Konse­quenzen ihres eigenen Handelns, des Konsum­ver­hal­tens beispiels­weise. Das Enga­ge­ment des Einzelnen sei gefragt. Fair­trade, Bio, Selbst­ver­pflich­tung. Gleich­zeitig sind Insti­tu­tionen wie die UN gefor­dert, verbind­liche Regeln zu formu­lieren und durch­zu­setzen. Es soll ja nicht nur heiße Luft übrig bleiben, es kommt also auf die Um- und Durch­set­zung an.

Es ist kalt, wenn man die Wagen­hallen verlässt.


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