Meißner für Quote, Bambus­be­steck und Meer

Datum
01. Oktober 2018
Autor*in
Jonas Gebauer
Redaktion
politikorange
Thema
#EPjugendforum 2019
Gesine Meißner

Gesine Meißner

Europaabgeorndete Gesine Meißner. Foto: Jan-Hendrik Blanke

Gesine Meißner (FDP) ist nicht gekommen, um ewig zu bleiben. Poli­ti­kerin ist sie, weil das Leben sie zu einer machte. Als sie gehen wollte bat Ex-Partei­chef Rösler sie, für Europa zu kandi­dieren. Im Partei­vor­stand blieb sie solange, bis eine Frau sie beerbte. Mit Kolle­gInnen anderer Frak­tion ist sie per Du und ihr Essen genießt sie mit Bambus­be­steck. Jonas Gebauer sprach mit ihr über das Meer und vieles mehr. 

Gesine Meißner

Gesine Meißner (FDP/ALDE) im Gespräch mit politikorange-Chefredakteur Jonas Gebauer (links) über die Vermüllung des Meeres: "Man kann etwas dagegen tun - das müssen wir nur machen!"  Foto: Jan-Hendrik Blanke

Guten Tag Frau Meißner. In der Debatte mit den Schü­le­rinnen und Schü­lern haben Sie gesagt, Sie benutzen Bambus­be­steck und einen wieder­ver­wert­baren Trink­be­cher. Sind Sie damit in der FDP nicht in der falschen Partei und müssten nicht eher Mitglied bei den Grünen sein? 

[lacht] Das fragen mich ganz viele. Ich kenne einige, die das auch machen, aber es sind nur wenige. Kleine Geschichte dazu: Melati Wijsen ist 17 Jahre jung und aus Bali. Als sie zwölf war, hat sie sich mit ihrer zehn­jäh­rigen Schwester etwas über­legt, um die Welt zu verbes­sern. Weil es so viel Plastik gab, haben sie es einge­sam­melt. Inzwi­schen hat sie es auf Bali geschafft, dass es dort nur noch wenig Plastik gibt. Ich habe sie einge­laden und sie hat mir das Besteck gezeigt. Da habe ich meins aus der Tasche geholt. Viele wissen nicht, dass es so etwas gibt. Deshalb werde ich es zu Weih­nachten verschenken. Das ist eine Sache, die man viel mehr wissen muss. Auch mit dem Becher. Ich bin viel unter­wegs und da liegt es auf der Hand: Saft oder Kaffee. Da hab ich mir gesagt: Ich nehme diesen durch­sich­tigen Becher mit und lasse ihn mir auffüllen.

Sie haben ursprüng­lich mehrere Berufe gehabt und sind dann in die Politik gekommen. Erst ging es in den Landtag, schließ­lich ins Euro­päi­sche Parla­ment. Wie sind Sie poli­tisch geworden und von der Berufs­welt in die Berufs­po­litik gekommen?

Mein Vater war Poli­tiker und ich habe gedacht, Politik ist gar nichts für mich. Das ist was, was gerade Mädchen oder Frauen oft denken, die sich sozial enga­gieren – so wie ich. Dennoch denken sie, es handelt sich dabei nicht um Politik. Das ist es aber auch. Ich habe unter­schied­liche Berufe gemacht, weil ich viel­seitig bin. Ich bin Hotel­kauf­frau, ich bin sogar spani­scher Barmann…

Nicht Barfrau?

Tatsäch­lich Barmann. Ich habe ein Zerti­fikat und war die einzige Frau, die da war.

Das ist span­nend. Wie ging es weiter?

Ich war auch Berufs­schul­leh­rerin, war aber nie in der Schule, weil ich in der Erwach­se­nen­bil­dung tätig war. Dort bin ich gleich stell­ver­tre­tende Direk­torin geworden und habe irgend­wann begonnen, mich auch direkt poli­tisch zu enga­gieren. Aus der Politik wurde ich dann ein halbes Jahr über­zeugt, zu kandi­dieren. Ich hatte nichts gegen Land­tage, aber ich hatte ganz andere Dinge vor. Zum Beispiel habe ich mit Lang­zeit­ar­beits­losen gear­beitet, da habe ich fast nichts verdient. Ich habe Manage­ment-Semi­nare gemacht, da habe ich gut verdient. Nebenbei habe ich meine Kinder versorgt, einen Mann habe ich auch. [lacht]

Dann ging es in den Landtag und ich bin wieder­ge­wählt worden. Da ticke ich auch wieder grün‘, denn ich wollte eigent­lich nach zwei Peri­oden wieder raus. Ich finde nämlich nichts schlimmer, als Poli­tiker, die Dienst nach Vorschrift machen. Ich finde, wenn man Demo­kratie liebt – und das tue ich – dann muss man einfach für die Politik brennen und darf nicht früh Feier­abend machen, sondern muss viel machen. Deswegen wollte ich 2013 eigent­lich raus. Doch dann kam damals Philipp Rösler [Anm. d. Red.: ehema­liger Landes­vor­sit­zender der FDP in Nieder­sachsen, später Vize­kanzler und Partei­vor­sit­zender] 2008 und sagte: Ich brauch dich in Europa. Da habe ich gesagt: Sag mal spinnst du? Ich hatte gerade für den Landtag kandi­diert und hatte 14 Tage Zeit, mich zu entscheiden. Meine Kinder sagten Klar, super Scho­ko­lade in Brüssel‘, mein Mann sagte, ich spreche viele Spra­chen. Ich habe es gemacht und nicht bereut. Inzwi­schen bin ich dort auch schon wieder in der zweiten Periode. Aber ich trete nicht wieder an. Demnächst mache ich ehren­amt­lich Ozean­ret­tung.

Sie waren Bundes­vor­sit­zende der Libe­ralen Frauen. Was würden Sie jungen Frauen mit auf den Weg geben? Denn es wird häufig gesagt Wir brau­chen mehr Frauen und junge Menschen in der Politik‘ – häufig jedoch von Männern, die mindes­tens 50 Jahre alt sind und ihr Amt für den Nach­wuchs oder Frauen nicht räumen würden. Welchen Tipp haben Sie da? 

Erst einmal müssen sich junge Frauen klar­ma­chen, dass sie Inter­essen haben, die in der Politik am besten durch­zu­setzen sind. Wenn sie für etwas brennen‘, ist es meist etwas, was sich poli­tisch besser regeln lässt. Da kommen Mädchen irgendwie weniger drauf als Jungs – das ist eben so. Auch deswegen, weil Mädchen und auch Frauen es oftmals blöd finden, wie es in der Politik abläuft. Da wird viel gefochten, da geht es um Stra­te­gien, um Abspra­chen am Telefon. Ich kenne viele Frauen, die das nicht gut finden. Viele Männer sind da schmerz­frei, wenn es darum geht, das Gleiche wie der Vorgänger immer wieder zu sagen – Haupt­sache man redet. Frauen finden so etwas doof. Frauen machen das anders, das muss man sich klar machen.

Ich bin deshalb auch schon lange für eine Quote – das ist auch nicht typisch für die FDP. Oft wird gesagt, wir hätten nicht genug Frauen. Es gibt in jeder Partei genug Frauen, auch an der Basis. Die Grünen und Die Linke haben die Quote und deshalb hat man sich dort daran gewöhnt, dass es eben auch gute Poli­ti­ke­rinnen gibt. Ich darf mich nicht beschweren, schließ­lich wurde ich immer direkt gewählt. Aber bei uns ist es so, dass es viele Frauen gibt, die raus gemobbt werden und das ist einfach falsch!

Sie waren auch mal im Bundes­vor­stand der FDP

Und wäre auch noch drin, wenn ich gewollt hätte. Aber ich wollte nicht mehr und statt­dessen Jüngere ranlassen. Ich habe auch darauf bestanden, dass wenn ich nicht mehr da bin, eine Frau aus Nieder­sachsen nach­kommt. Ich hatte eine Periode länger gemacht, weil vorher nur‘ ein Mann gekommen wäre. Ich habe nichts gegen Männer, aber unserem Landes­vor­sit­zenden habe ich mal abge­rungen, wenn drei aus Nieder­sachsen im Bundes­vor­stand sind, ist immer eine Frau dabei. Das war ganz lange ich und erst als ich sicher war, es kommt eine Frau nach, habe ich aufge­hört.

Ich möchte noch einmal zurück auf Ihr Herzens­thema Meer‘ kommen. Was sind die Aufgaben, die in Ihrer neuen Posi­tion nun auf Sie warten? 

Ich bin sehr gerne am Wasser, an der Nordsee, und ich habe mich immer dafür inter­es­siert. Ich wollte Ozea­no­gra­phie studieren, kam aber vom Dorf und da haben alle gesagt Mädchen mach etwas vernünf­tiges, damit verdienst du kein Geld‘. Ich habe im Euro­pa­par­la­ment gemerkt, dass es diese Inte­grierte Meerespo­litik gibt. Das Meer wird von den Menschen gebraucht. Wir haben den blauen Planeten, aus dem Meer kommen Ener­gien und Nahrungs­mittel, Handel findet übers Meer statt und gleich­zeitig ist das Meer in einem immer schlech­terem Zustand – das müssen wir ändern. Das finde ich wichtig und habe deshalb diese Meeres­gruppe [Anm. d. Red.: Searica] gegründet. Ich bin inzwi­schen als Präsi­dentin der Gruppe inter­na­tional bekannt und werde auch zu inter­na­tio­nalen Treffen einge­laden. Deswegen bin ich nun Sonder­bot­schaf­terin für Meerespo­litik des Euro­päi­schen Parla­ments.

Wie aber wird Ihre Arbeit dann auch effektiv in der Politik umge­setzt? Gibt es da sicht­bare Erfolge? 

Dieser Titel ist eine Sache, die Aufmerk­sam­keit erregt. Ansonsten mache ich mit meiner Gruppe jeden Monat mindes­tens eine Veran­stal­tung mit bis zu 200 Personen. Da kommen sowohl Green­peace, als auch die Schiffs­bauer, Poli­tiker und Wissen­schaftler. Das hat sich sehr bekannt gemacht, wodurch auch ich immer bekannter geworden bin. Dadurch konnte ich auch immer mehr Menschen mitziehen, Tiemo [Anm. d. Red.: Tiemo Wölken (SPD/S&D), MdEP aus Nieder­sachsen] ist einer der Aktiv­posten. Wir haben die Gesetz­ge­bung beein­flusst, auch wenn es mir zuerst nicht so vor kam. Mein Büro hat 25 Ände­rungs­an­träge geschrieben, die alle Meeres­bezug hatten. Ich habe Tiemo und Abge­ord­nete anderer Frak­tionen unter­schreiben lassen und dadurch haben wir das alles gewonnen. Das ist ein Trick, weil dann die Frak­tionen auch dafür stimmen, wenn ihre einzelnen Mitglieder so stimmen.

Ansonsten ist es so, dass auch die UNO dieses Thema entdeckt hat, von 2020 bis 2030 eine Dekade für den Ozean macht und damit unter anderem in Schulen geht. Vom Auswär­tigen Amt bin ich als deut­sche Expertin vorge­schlagen worden. Ob ich gewählt werde, weiß ich nicht. Das ist ein Auswahl­ver­fahren. Ich habe gesagt, ich mache alles, was das Thema irgendwie nach vorne bringt und erzähle deswegen auch furchtbar gerne darüber. Viele denken immer noch, der blaue Planet sei Quatsch, aber bei der wach­senden Welt­be­völ­ke­rung werden wir das Meer unwei­ger­lich brau­chen. Jeder zweite Atemzug, den wir atmen, kommt aus dem Meer. Das produ­ziert Sauer­stoff, bindet CO2. Es gibt bereits viele Verän­de­rungen, der Golf­strom verlang­samt sich. Ich könnte darüber stun­den­lang reden. Es sing ganz viele Sachen in Gange, die wirk­lich bedroh­lich sind. Aber man kann etwas dagegen tun – das müssen wir nur machen!

Sie Duzen Tiemo Wölken. Versteht man sich als Abge­ord­nete aus Nieder­sachsen da unter­ein­ander sehr gut, auch unab­hängig von den Frak­tionen?

Ja! Ich pflege auch engen Kontakt zu Abge­ord­neten aus anderen Frak­tionen. Aber Tiemo und ich sind nicht nur beide im Umwelt­aus­schuss, sondern auch maritim unter­wegs und verstehen uns sehr gut. Er ist noch gar nicht solange Abge­ord­neter und könnte mein Sohn sein [lacht]. Wir machen viel zusammen. Gestern habe ich Vertreter von Ospar getroffen. Da konnte Tiemo nicht, war aber durch sein Büro vertreten.

Ansonsten ist es auch so, das ist das tolle am Euro­pa­par­la­ment, dass man auch über Frak­ti­ons­grenzen hinweg ganz eigen­ar­tige Freund­schaften entwi­ckelt. Ich habe eine finni­sche Freundin, die ist bei den Linken. Die ist auch keine echte Linke, finde ich. Die hat mir sogar mal Ringel­so­cken geschenkt. Sie war mal Verkehrs­mi­nis­terin in Finn­land, ist sehr prag­ma­tisch und lustig. Wir mögen uns einfach und stimmen sogar gele­gent­lich zusammen ab oder haben auch schon einmal gemein­same Ände­rungs­an­träge im Verkehrs­aus­schuss einge­bracht.

Vielen Dank für das Gespräch.


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