Ist die Zeit der Jugend­kultur vorbei?

Datum
13. Oktober 2019
Autor*in
Jan Hendrik Blanke
Redaktion
politikorange
Thema
#jungunddigital 2019
IMG_1437

IMG_1437

Was ist los mit der heutigen Jugend­kultur? Weder 68er-ähnliche Bewe­gungen, noch gesell­schaft­liche Revo­lu­tion scheinen diese Jugend zu prägen: Die Jugend­kultur verschwindet mehr und mehr. Aber ist das wirk­lich so? Jan Hendrik Blanke versucht, ein Bild seiner Gene­ra­tion zu zeichnen.

 1968 gab es Straßen voller Studie­renden, die sich gegen eine konser­va­tive Gesell­schaft erhebten. Mitt­ler­weile gibt es sie wieder, zum Beispiel bei Fridays for Future. Aller­dings nicht ganz in dem Maße wie 1968. Was hat sich in der Jugend­kultur eigent­lich verän­dert, dass nicht mehr alle jungen Menschen auf der Welt für das Klima demons­trieren? Ist die Zeit der Jugend­kultur vorbei oder…

…braucht es nur neue Begriffe?

Der Begriff Jugend­kultur“ stammt von dem Pädagogen Gustav Wyneken und beschreibt das Entstehen einer eigenen jugend­li­chen Subkultur“, eine, die abweicht und ihr Zusam­men­leben nach anderen Regeln struk­tu­riert als die Leit­ge­sell­schaft“. Eine Subkultur defi­niert sich dadurch, dass sie nach eigenen sozialen Regeln funk­tio­niert und sich ihre Anhän­ge­rinnen und Anhän­gern durch Erschei­nungs­bild, Klei­dung und Acces­soires von anderen abgrenzt.

Die Suche nach dem Selbst

Der Wunsch für die Bildung einer Sub‑, bezie­hungs­weise einer Jugend­kultur, entsteht aus dem mensch­li­chen Wunsch nach Zuge­hö­rig­keit und Veror­tung des Selbst. Beson­ders Jugend­liche haben sich in der Vergan­gen­heit unter­ein­ander soli­da­ri­siert und eine eigene Subkultur gebildet: Die Jugend­kultur. Es sind junge Menschen auf der Suche nach eigenen Lebens­kon­zepten. Sie versu­chen offen tradi­tio­nelle Welt­bilder der vorherr­schenden Gesell­schaft zu prüfen, Aspekte in ihr eigenes Lebens­kon­zept zu inte­grieren und neue Wege zu finden. Dieser Prozess beginnt meis­tens während der Pubertät, in der junge Menschen beginnen, ihren eigenen Weg außer­halb der Familie zu gehen und das eigene Welt­bild zu finden.

Die Offen­heit, die junge Menschen auf der Suche nach Welt­bil­dern zeigen, wird durch das aktu­elle ökono­mi­sche Umfeld sogar noch größer. Durch Indus­tria­li­sie­rung und Globa­li­sie­rung wurden Prozesse in der Wirt­schaft stark beschleu­nigt. Dass bestimmte Berufs­gruppen und damit verbunden gesamte soziale Milieus in 20 Jahren nicht mehr, oder nur noch in Fernost exis­tieren werden, gehört heute zum Alltag. Der Mensch muss sich an diese neuen flexi­bleren Lebens­be­din­gungen anpassen und mit kogni­tiver Offen­heit reagieren. Faktoren, die vor 50 Jahren das Leben bestimmt haben, wie Wohnort, Beruf oder die Fanzu­ge­hö­rig­keit zu einem Fußball-Club werden in diesem Zuge hinter­fragt und die Lebens­rea­lität entspre­chend neu geordnet. Somit ist Offen­heit eine Tugend der modernen Gesell­schaft. Flexi­blere Lebens­um­stände sind auch mit flexi­bleren Welt­bil­dern verbunden, da diese oft mit der durch den Beruf erlange Erfah­rung korre­lieren. Die so neu zusam­men­ge­setzten Welt­bilder stammen aus unter­schied­li­chen, pluralen Erfah­rungen.

Digi­tale Geschmacks­al­lianz

Die zuneh­mende Offen­heit junger Menschen gegen­über plura­lis­ti­schen Lebens­kon­zepten wurde durch die Digi­ta­li­sie­rung ergänzt. Sie ermög­lichte Jugend­li­chen, das Bedürfnis nach Zuge­hö­rig­keit virtuell und jeder­zeit zu befrie­digen. Wer früher noch Punk war, um gegen gesell­schaft­liche Struk­turen zu rebel­lieren, musste einen großen Aufwand auf sich nehmen und alle Regeln, das Auftreten wie auch die Klei­dung des Milieus über­nehmen, um dazu zu gehören. Ein großer Aufwand.

In digi­talen Medien kann sich jeder Mensch unter­schied­lich darstellen. Ohne das Leben massiv zu verän­dern, könnte jeder Punk sein, wenn er oder sie es will. Ein paar Insta­gram-Fotos sind schon genug. Das ermög­licht Menschen die Über­nahme verschie­dener Rollen in verschie­denen Subge­sell­schaften. So kann man etwa Öko- und SUV-Fahrer sein. Das schafft eine noch nie dage­we­sene Form der Plura­lität. Durch die Kombi­na­ti­ons­mög­lich­keiten von Rollen und dem Zusam­men­schluss in einer Person, bewegt sich das Indi­vi­duum nicht mehr in einer Subkultur, sondern in digi­talen Geschmacks­al­li­anzen, findet Prof. Dr. Franz Josef Röll von der Hoch­schule Darm­stadt. Die Alli­anzen sind nur noch aufgrund des gemein­samen Inter­esses mitein­ander verbunden und bilden keine einheit­liche Sub- oder Jugend­kultur mehr. Die gleich­zeitig gestie­gene gesamt­ge­sell­schaft­liche Offen­heit akzep­tiert diese Plura­lität und die aus ihr resul­tie­renden Wider­sprüche.

Betrachtet man Krite­rien wie gemein­same Regeln, Habitus oder Klei­dung­stil, so ist die Jugend­kultur verschwunden. Jedoch hat dadurch nicht das alters­spe­zi­fi­sche Zusam­men­leben junger Menschen aufge­hört. Die Jugend­kultur hat sich zur Bildung von Jugend­ge­schmacks-Alli­anzen verschoben. Viel­leicht ist das ein passender Begriff um zu beschreiben, wie junge Menschen heute zusammen leben.


Empfohlene Beiträge

Werde Teil unserer Community

Entdecke spannende Geschichten, vernetze dich mit anderen jungen Journalist:innen und gestalte die Medienlandschaft von morgen mit. Melde dich jetzt an und bleibe immer auf dem neuesten Stand.

Wehrpflicht Redaktion Gruppenbild