Künst­liche Intel­li­genz, Big Data und der Gedan­ken­stream in meinem Kopf

Datum
27. Mai 2019
Autor*in
Zita Hille
Redaktion
politikorange
Thema
#jungunddigital 2019
Sophie Schoen_weibliche Sexualität_20190409_LukasBruess_Artikel_JMWS_02

Sophie Schoen_weibliche Sexualität_20190409_LukasBruess_Artikel_JMWS_02

Welche Daten sollen andere von uns haben dürfen? I Bild: Jugendpresse Deutschland / Sophie Schön

Du bist, was du klickst. – Dass unsere Daten wert­voll sind, wissen die meisten. Was genau man damit aber alles anstellen kann, ist nicht jedem bewusst. Zeit, sich mit den Folgen ausein­an­der­zu­setzen, findet Zita Hille.

Vor kurzem sah ich auf Youtube die Doku­men­ta­tion Modern Stal­king – Das Expe­ri­ment: Wie privat ist dein Leben im Internet?“ von Y‑Kollektiv. Ein Jour­na­list wurde dabei begleitet, wie er Passanten auf der Straße nach ihrem Vor- und Nach­namen fragte und in den folgenden Wochen versuchte, so viel wie möglich über diese Menschen heraus­zu­finden. Zunächst suchte er im Internet – Stan­dard, dachte ich mir. Wie oft habe ich selbst schon irgend­welche Schwärme gegoo­gelt oder einfach Leute, die mich inter­es­siert haben. Meis­tens habe ich dann etwas über sie heraus­ge­funden und kam mir dabei vor wie eine Stal­kerin. Der Reporter des Y‑Kollektivs über­schritt bewusst die Grenzen des gewöhn­li­chen“ Stal­kings im Internet. Er fand die Adressen der Personen heraus, wühlte in deren Müll herum, warf sogar einen Blick in ihre Autos und stieß tatsäch­lich auf wich­tige und vor allem private Daten – alles Daten, die niemanden etwas angehen, außer den Menschen selbst. Und all das fand er ledig­lich durch den Namen. Namen, die jeder mit Leich­tig­keit heraus­finden kann. Ich fand es scho­ckie­rend, wie einfach es doch ist, sensible und persön­liche Daten über jemand voll­kommen Fremden heraus­zu­finden. Aller­dings gibt man diese Daten in gewisser Weise selbst preis, postet leicht­sinnig etwas und denkt sich, das würde schon passen. Groß­un­ter­nehmen wären dumm, diese Infor­ma­tionen und Daten­sätze dann nicht für ihre eigenen Zwecke zu nutzen – das heißt Systeme zu entwerfen, wie sie die Daten am besten auswerten und ihr Angebot durch diese Erkennt­nisse zu perso­na­li­sieren und für sich zu verbes­sern. Kann man verstehen. Jung und Digital Um genau dieses Thema ging es auch beim zweiten Veran­stal­tungs­teil der Reihe Jung und Digital“ des Landes­ju­gend­rings NRW am 22. Mai in Essen. Big Data, Künst­liche Intel­li­genz – alles Maschinen, die lernen. Daten, die gespei­chert werden. Unter­nehmen, die uns ausnutzen. Ist das denn wirk­lich so? Katha­rina Nocun, Netz­ak­ti­vistin und Blog­gerin, berich­tete während des Vortrags von der Recherche zu ihrem Buch Die Daten, die ich rief“. Sie fragte unter anderem bei Amazon oder Netflix die Daten­sätze an, die die jewei­ligen Groß­un­ter­nehmen von ihr besitzen. Dabei fand sie heraus, dass Amazon anhand ihres Click­streams, also durch Klicks, die sie auf der Seite von Amazon getä­tigt hatte, eine Art Spur“ nach­ver­folgen könne. Diese spei­chere Amazon und mache damit fast ihr gesamtes Leben rekon­stru­ierbar: Wann sie sich wo befand, sei es im Urlaub, zu Hause, bei ihren Eltern oder aber auch ihre aktu­ellen Inter­essen, wie lange sie sich ein Produkt ange­schaut hatte und vieles Weiteres. Irgendwie gruselig. Und durch genau dieses Konzept, die Samm­lung wert­voller Daten, ist es Amazon möglich, Werbung auf ihre Kunden anzu­passen. Nocun behauptet, Amazon sei bereits so weit, dass es in der Lage sei, Menschen auszu­tricksen: Eine schwan­gere Frau bekommt dann zum Beispiel in der Werbung aufgrund ihrer vorher getä­tigten Gesuche Schwan­ger­schafts­mode oder Baby­pro­dukte ange­zeigt, daneben aber auch bewusst plat­zierte Wein­wer­bung, damit der Verdacht gar nicht erst aufkomme, Amazon würde Werbung auf sie abstimmen. Ganz schön bril­lant! Doch ist die Lösung dann einfach nichts mehr bei Amazon zu bestellen? Vermut­lich. Zuge­ge­be­ner­maßen werden uns genug Alter­na­tiven geboten: Der gute alte Super­markt nämlich oder der Buch­laden um die Ecke. Ebenso gibt es Inter­net­seiten, welche von sich behaupten, Daten nicht zu spei­chern. Ich persön­lich bestelle nach wie vor trotzdem bei Amazon – vor allem, wenn es schnell gehen muss. Verzicht muss nicht sein, aber was vorhanden sein muss, ist das Bewusst­sein und ein damit verbun­dener verant­wor­tungs­voller Umgang mit Platt­formen großer und vernetzter Unter­nehmen.
IMG_9407

Unser Medienverhalten kann viel über uns aussagen. I Bild: Jugendpresse Deutschland / Nour Alabras

Du bist, was du klickst Auch Netflix sei aber nicht ohne: Nocun erzählt, ihr wurde eine Excel-Tabelle zuge­schickt, in der Daten fest­ge­halten wurden, die darüber Auskunft geben, wann sie sich ein Video anschaute, wie lange sie auf welcher Seri­en­an­zeige verweilte, wie oft sie sich etwas ansah, an welchen Stellen sie stoppte und welche Szenen sie sich häufiger ansah. Kann das nicht unglaub­lich viel über persön­liche Präfe­renzen und damit über einen selbst aussagen? Darüber mache ich mir während des Vortrags viele Gedanken. Wenn jemand wüsste, wonach ich im Internet so suche, google, recher­chiere und mich aber nicht persön­lich kennen würde… Was würde die Person denken, wer hinter diesen Klicks steckt? Auf Youtube schaue ich mir gern Dokus über extreme Themen an: Impf­gegner, Amok­läufe, Krank­heiten, Demos von Rechts­extremen, Feti­sche – scho­ckie­rende und außer­ge­wöhn­liche Dinge eben. Vermut­lich würde man denken, hinter meinen Klicks steckt eine Hobby-Psycho­login alias Psycho­pathin alias komplett Gestörte. Und genau da liegt meiner Meinung nach das Problem. Maschinen können intel­li­gent sein, sind es aber noch nicht in dem Maße wie Menschen. Krea­ti­vität, Gefühle, Einfühl­sam­keit, Emotio­na­lität – das lässt sich durch Algo­rithmen nicht konstru­ieren. Noten­ge­bung durch Algo­rithmen? Dr. Andreas Bischof berich­tete, eben­falls am 22. Mai in Essen, über ein Projekt aus China, von welchem er gehört hatte. Hierbei ging es darum, dass Kameras gebaut wurden, welche alle paar Sekunden von Gesich­tern verschie­dener Schüler und Schü­le­rinnen in einer Schul­klasse Aufnahmen machen. Ein Sensor erkennt den aktu­ellen Gesichts­aus­druck des Kindes und ordnet ihn mit Hilfe von bestimmten Algo­rithmen einer von fünf verschie­denen Kate­go­rien zu – jede Kate­gorie steht für eine Stim­mung, zum Beispiel fröhlich/​motiviert oder traurig/​demotiviert. Anhand der Ergeb­nisse seien Lehrende in der Lage, Feed­back der jewei­ligen Stunde zu empfangen und zudem anhand des Feed­backs Noten zu vergeben, ganz getreu dem Motto Wer hat aufge­passt und wer nicht?“. Der Grund­ge­danke dieses Systems ist zwar nicht schlecht, ich finde das aber trotzdem falsch. Das Ziel ist ja nicht, dass die Kinder lernen, sich den Kameras anzu­passen und Schlupf­lö­cher zu finden, wie sie trotz der Lange­weile einen fröh­li­chen Gesichts­aus­druck trai­nieren, um eine gute Note zu bekommen. Lernen wird dadurch nicht wirk­lich geför­dert. Grund­sätz­lich sind Algo­rithmen mit Sicher­heit nütz­lich und ich finde auf jeden Fall faszi­nie­rend, wie schnell sich die Technik entwi­ckelt. Künst­liche Intel­li­genz ist eine unglaub­lich inter­es­sante Sache und wird sich in den nächsten Jahren rasant weiter­ent­wi­ckeln. Kinder werden noch besser mit Technik umgehen können als jemals zuvor, da das ganze Schul­system nicht nur maßgeb­lich durch KI beein­flusst, sondern auch darauf basieren wird: Smarte Geräte in der Schule, keine schweren Schul­bü­cher mehr, die man mit sich herum­schleppen muss, viel­leicht auch neue Schul­fä­cher wie Program­mieren. Das alles können wir vermut­lich gar nicht verhin­dern und das finde ich auch gut so. Maschinen vs. Menschen – who’s gonna win? Als ich jedoch vor ein paar Wochen zu einem Seminar in der Uni ging, bei der mir (als Jour­na­lis­mus­stu­dentin) erzählt wurde, dass unser Beruf bald von Maschinen abge­löst werden soll, da wurde mir bewusst: Damit bin ich nicht einver­standen. Das Schreiben ist für mich eine Kunst. Und Kunst entsteht aus Krea­ti­vität, die man nicht durch tech­ni­sche Abläufe ersetzen kann. Natür­lich haben Berichte einen bestimmten Aufbau: Im ersten Satz alle W‑Fragen beant­worten, also Ort, Zeit, Person und so weiter. Diese Dinge kann man sicher­lich program­mieren und es würde auch ein sinn­voller Text dabei heraus­kommen. Aber es gibt nicht nur Berichte und guter Jour­na­lismus geht nur hand­ge­macht. Das glaube ich zumin­dest zum jetzigen Zeit­punkt– mal sehen, wie sich die Welt noch entwi­ckelt. Grund­sätz­lich ist also klar: Irgendwie ist man selbst dafür verant­wort­lich, wenn man im Internet gefunden wird und wenn man Seiten benutzt, die deine Daten spei­chern und sie zu ihrem eigenen Vorteil verwenden oder wie man mit KI umgeht. Jedoch hoffe ich, dass uns Menschen mit krea­ti­veren Berufen noch lange erhalten bleiben. Eben­falls erstaun­lich fand ich, mich während dieses Gedan­ken­pro­zesses zu beob­achten: Irgendwie komme ich mir konser­vativ vor, ganz anders, als in meinem eigent­li­chen Leben. Als hätte ich Respekt vor Verän­de­rung, als würde ich alles bewahren wollen. Aber mal sehen, was mich erwartet – drum herum komme ich da wahr­schein­lich sowieso nicht.

Empfohlene Beiträge

Werde Teil unserer Community

Entdecke spannende Geschichten, vernetze dich mit anderen jungen Journalist:innen und gestalte die Medienlandschaft von morgen mit. Melde dich jetzt an und bleibe immer auf dem neuesten Stand.

Wehrpflicht Redaktion Gruppenbild