Gehen Sie nicht einfach wortlos vorbei.“

Datum
05. Dezember 2015
Autor*in
Darline Jonasson
Redaktion
politikorange
Thema
#Jugendforum Stadtentwickliung 2015
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Im Jahr 2008 wurden in Potsdam Wohnungen für 24 Flücht­linge gesucht. 2015 sollen schon 2065 Flücht­linge bis Ende des Jahres in der Stadt unter­ge­bracht werden. Jörg Bind­heim, der seit einem Jahr Flücht­lings­ko­or­di­nator der Stadt Potsdam ist, stand uns im Rahmen des 8. Jugend­fo­rums Frage und Antwort.

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Offene Ohren für Nachfragen hatte Jörg Bindheim nicht nur während der Diskussion, sondern auch für ein Interview mit politikorange-Reporterin Darline. (Foto: Benedikt Bungarten)

Sie haben vor Ihrer Arbeit als Flücht­lings­ko­or­di­nator im Jobcenter gear­beitet. Wie sind Sie an das Amt als Flücht­lings­ko­or­di­nator gekommen?

Ich habe Sozio­logie mit dem Schwer­punkt Entwick­lungs­po­litik Schwarz­afrika studiert, war dann lange in Simbabwe, der Elfen­bein­küste und nebenbei noch ein Semester in Nica­ragua. Vor einem Jahr haben mich die Kollegen aus der Stadt­ver­wal­tung ange­fragt und gesagt: Hier ist Bedarf da. Wir sehen, dass eine größere Menge von Menschen wahr­schein­lich nach Potsdam kommt. Die Aufgabe, das zu koor­di­nieren, geht über die perso­nellen Möglich­keiten des vorhan­denen Perso­nals im Bereich Soziales hinaus.“ Auf die Frage, ob ich mir das beruf­lich vorstellen könne meinte ich: Na klar.“

Die Geflüch­teten in Potsdam haben die Möglich­keit sich mit Betreuern über ihre Wünsche und Erfah­rungen bezüg­lich der neuen Situa­tion zu unter­halten. Wird dieses Angebot wahr­ge­nommen?

Noch zu wenig. Wir haben vor, in den Heimen Beiräte zu gründen, in denen die Flücht­linge selber vertreten sind. Was wir in Potsdam schon haben ist der soge­nannte Migran­ten­beirat. Bei jeder Wahl der Stadt­ver­ord­neten findet eine zweite Wahl statt, bei welcher alle Menschen mit nicht-deut­schem Pass wählen dürfen. Der Migran­ten­beirat ist ein Gremium, bestehend aus acht Mitglie­dern, die in allen wesent­li­chen Ausschüssen vertreten sind und somit mitbe­stimmen und Stel­lung­nahmen abgeben, wo neue Stand­orte entstehen sollen. Da sind bisher noch zu wenige Geflüch­tete selbst drin. Primär kümmern sich die Menschen, wenn sie gerade nach Deutsch­land gekommen sind, darum, Deutsch zu lernen.

Besteht der Tages­ab­lauf der Flücht­linge zum größten Teil aus Deutsch­un­ter­richt, oder gibt es andere Inte­gra­ti­ons­pro­gramme?

Deutsch­kurse gibt es, ja. So etwas wie Programme sind momentan noch im Entste­hungs­pro­zess. Es geht zunächst darum zu wissen, was die Menschen über­haupt mitbringen. Und die bringen sehr viel mit. Das Problem ist nur, dass sie es nicht nach­weisen können. Viele Menschen, die über das Mittel­meer oder die Balkan­route gekommen sind, haben ihre Papiere gar nicht mitge­nommen oder unter­wegs verloren. Die müssen dann erst einmal einen Prozess durch­laufen, in welchem sie nach­weisen, welche Quali­fi­ka­tionen sie haben. Sollten die Geflüch­teten noch ein Stück Papier bei sich tragen, muss auch geprüft werden, ob dies auch den deut­schen Vorstel­lungen des jewei­ligen Berufs entspricht. Hier­nach kann man über­legen, wie der Flücht­ling zu einem in Deutsch­land aner­kannten Zerti­fikat kommen kann. Das ist ein langer Prozess, bei welchem wir noch ganz am Anfang stehen.

Sie haben heute den Teil­neh­mern des Jugend­fo­rums Stadt­ent­wick­lung einiges über die Entwick­lung Pots­dams hinsicht­lich der stark gestie­genen Flücht­lings­zahlen erzählt. Was erhoffen Sie sich vom Jugend­forum?

Zunächst einmal finde ich es toll, dass sich Jugend­liche mit dem Thema hier ausein­ander setzen. Die Teil­nehmer kommen aus verschie­denen Bundes­län­dern hierher und bringen alle ihre Ideen mit. Wie wird etwas in anderen Bundes­län­dern und Städten gemacht? Das erfahren sie hier. Wenn die Jugend­li­chen im Laufe des Jugend­fo­rums auf funk­tio­nie­rende Struk­turen aus anderen Gegenden stoßen, können sie sich hier Ideen von anderen abschauen, mitnehmen und in heimi­sche Struk­turen einspeisen.

Was möchten Sie jedem mitgeben, hinsicht­lich des Kontaktes zu Flücht­lingen?

Welcome Refu­gees“, möchte ich jedem mitgeben. Begrüßen Sie Leute. Reden Sie mit den Leuten. Gehen Sie nicht einfach wortlos vorbei, sondern versu­chen Sie so normal wie möglich Kontakt aufzu­nehmen. Das sind keine Menschen, die irgend­welche Defi­zite haben. Das sind Menschen wie Du und Ich, die sich in der Fremd­sprache nicht richtig ausdrü­cken können, aber die wie Nach­barn behan­delt werden möchten. In Potsdam gibt es eine tolle Initia­tive, die heißt Einla­dungs­in­stitut“. Die vermit­teln Leute, die sich gegen­seitig zum Essen einladen. Also erst der Deut­sche den Flücht­ling und dann der Flücht­ling den Deut­schen. Das finde ich eine gelun­gene Art von Kontakt­her­stel­lung. Ich saß letz­tens in der Stra­ßen­bahn und dann stiegen zehn unbe­glei­tete, minder­jäh­rige Flücht­linge ein. Die waren zwar begleitet, aber so heißen die nun mal. Der eine setzte sich neben mich und schaute mich grin­send an und fragte: Guten Tag, wie geht’s?“ Man sollte dann nicht betroffen weg gucken, sondern sagen: Mir geht’s gut!“ Einfach mit den Leuten spre­chen. Das ist unheim­lich wichtig für die Leute.


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