Ehe für alle – Sind wir wirk­lich alle gleich­be­rech­tigt?

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Quelle: Sharon McCutcheon, unsplash.com

Im Juni 2017 feierte die LGBTIQ*-Community einen großen Erfolg – der Deut­sche Bundestag verab­schiedet das Gesetz zur Ehe für alle. Doch auch über drei Jahre später herrscht noch keine Gleich­be­rech­ti­gung. poli­ti­ko­range-Repor­terin Lisa Grefer berichtet.

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Gleichgeschlechtliche Paare fordern eine gesetzliche Gleichstellung in allen Lebensbereichen. I Quelle: Sharon McCutcheon/ unsplash

Heute vor drei Jahren hat der Bundestag die #Ehefür­alle geöffnet. Und siehe da: Das Abend­land ist nicht unter­ge­gangen. Deutsch­land ist schlichtweg ein Stück glück­li­cher geworden“, twit­terte Bundes­tags­ab­ge­ord­neter Sven Lehmann (Bündnis 90/​Die Grünen) zum Jahrestag der Eheöff­nung am 30. Juni 2020. Doch lange hat es gedauert, um an diesen Punkt zu gelangen. Schon dreißig Jahre zuvor hatten der Schwu­len­ver­band in Deutsch­land (heute Lesben- und Schwu­len­ver­band Deutsch­land, kurz: LSVB) in Zusam­men­ar­beit mit der Bundes­ar­beits­ge­mein­schaft für schwule Juristen einen Geset­zes­ent­wurf für die Eheschlie­ßung von Personen glei­chen Geschlechts entwi­ckelt. Dafür erfuhren sie aller­dings wenig Zustim­mung in der Politik. Der dama­lige baye­ri­sche Innen­mi­nister Edmund Stoiber (CSU) ließ 1991 verlauten: Wenn ich über steuer- und erbrecht­liche Aner­ken­nung von homo­se­xu­ellen Paaren disku­tiere, dann kann ich gleich über Teufels­an­be­tung disku­tieren.“

Aktion Stan­desamt“ lenkt den Blick der Repu­blik auf die Rechte Homo­se­xu­eller

Am 19. August 1992 bean­tragten etwa 250 lesbi­sche und Schwule Paare in rund hundert Gemeinden in Deutsch­land das Aufgebot. Aller­dings stand männ­liche Homo­se­xua­lität zu diesem Zeit­punkt gemäß §175 StGB noch unter Strafe und die Stan­des­ämter verwei­gerten den Teil­neh­menden* ihre Forde­rung. Ein Paar aus Nürn­berg fühlte sich in seiner Eheschlie­ßungs­frei­heit gemäß Artikel 6 Absatz 1 verletzt und legte eine Verfas­sungs­be­schwerde beim Bundes­ver­fas­sungs­ge­richt ein. Die Klage wurde mit der Begrün­dung, dass die Geschlechts­ver­schie­den­heit zu den prägenden Merk­malen der Ehe“ gehöre, abge­wiesen. Was aber ganz inter­es­sant ist, ist dass man diese Entschei­dung auch durchaus ein biss­chen anders lesen kann. Das Bundes­ver­fas­sungs­ge­richt lässt nämlich erkennen, dass dieses Verständnis von Ehe einem gesell­schaft­li­chen Wandel unter­worfen ist“, erklärt Dipl. Jur. Dana Valen­tiner. Voll­zieht sich dieser Umschwung, so könnte man in Zukunft zu einem anderen Urteil kommen.

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Vor drei Jahren verabschiedete der Deutsche Bundestag das Gesetz zur Ehe für alle. Quelle: Maico Pereira/ unsplash

Rechte statt Strafen – Einge­tra­gene Lebens­part­ner­schaft und Ehe für alle

Nachdem §175 bereits 1968 in der DDR aus den Gesetz­bü­chern gestri­chen wurden, zog die BRD 1994 in Folge der Anglei­chung von ost- und west­deut­schem Straf­recht nach. Sieben Jahre später freute sich die LGBTIQ*-Community über die Verab­schie­dung des neuen Lebens­part­ner­schafts­ge­setzes. Volker Beck, damals Abge­ord­neter im Deut­schen Bundestag (Bündnis 90/​Die Grünen), bezeich­nete den Verzicht auf den Ehe-Begriff“ 1999 als ein Angebot an die Konser­va­tiven und die Kirchen“, mit dem man eine Minder­heit von Diskri­mi­nie­rung befreien“ wollte, Dazu dient die einge­tra­gene Part­ner­schaft. Denn Liebe verdient Respekt.“

Im Verlauf des Junis 2017 stimmten mit Bündnis 90/​Die Grünen, FDP und SPD alle poten­zi­ellen Koali­ti­ons­partner der CDU/CSU auf ihren jewei­ligen Partei­tagen für die Eheöff­nung als eine Bedin­gung für die Aufnahme von Koali­ti­ons­ver­hand­lungen. Die Unions­par­teien gerieten unter erheb­li­chen Hand­lungs­zwang, sodass bereits am Morgen des 30. Juni im Bundestag eine emotio­nale Debatte über die Eheöff­nung statt­fand. Es geht um Liebe! Sie haben es in der Hand. Folgen Sie Ihrem Gewissen: Trauen Sie sich, trauen Sie uns“, appel­lierte der LSVB in einem offenen Brief an alle Abge­ord­neten des Deut­schen Bundes­tags. Mit 393 von 630 mögli­chen Ja-Stimmen erreichte das Gesetz die erfor­der­liche Mehr­heit. Die Ehe für alle war offi­ziell.

Forde­rung: abso­lute Gleich­stel­lung in allen Berei­chen des Lebens!

Die glei­chen Rechte wie hete­ro­ge­schlecht­liche Paare haben gleich­ge­schlecht­liche Paare aktuell aber noch nicht. Der größte Kritik­punkt von LGBTIQ-Aktivist*innen liegt im Abstam­mungs­recht. Im Gespräch mit unserer Redak­tion äußert sich anonym eine werdende Mutter: Wir erwarten unser erstes Kind, sind verhei­ratet, aber meine Frau muss das Kind erst nach mehreren diskri­mi­nie­renden Prüfungen durch das Jugendamt adop­tieren. Es wird getestet, ob sie als Mutter geeignet ist. Welche Hetero-Familie muss diesen Test bestehen?“

Weitere Betrof­fene berichten Ähnli­ches. Rein recht­lich hat meine Frau momentan kein Rechte an unserem Sohn, darf nichts entscheiden und könnte ihn verlieren, sollte mir plötz­lich etwas zustoßen. Das Adop­ti­ons­ver­fahren dauert nun bereits vier Monate, diese Woche fand endlich der Haus­be­such durch das Jugendamt statt. Wann die Gerichts­ver­hand­lung sein wird, kann niemand sagen“, erzählt Frauke Schwarte (Name von der Redak­tion geän­dert). Im Rahmen des Adop­ti­ons­ver­fahren müssen wir alles offen­legen, damit Jugendamt und Fami­li­en­ge­richt darüber entscheiden können, ob unser Sohn von meiner Frau adop­tiert werden kann.“ Aller­dings seien die Jugend­ämter über­lastet. Es werden eben auch Kapa­zi­täten mit diesen Haus­be­su­chen bei uns blockiert“, zwei Stunden war die Dame da. Ich weiß nicht, wie lange Haus­be­suche bei Problem­fa­mi­lien“ dauern. Sowas lässt mich dann nur noch wütender werden“, berichtet Schwarte weiter.

Dana Valen­tiner meint: An diesen abstam­mungs­recht­li­chen Vorschriften kann vor dem Hinter­grund der Öffnung der Ehe und auch vor dem Hinter­grund, dass wir die Entschei­dung vom Bundes­ver­fas­sungs­ge­richt zur dritten Option haben, nicht mehr fest­ge­halten werden. (…) Das Abstam­mungs­recht muss refor­miert werden. Und der Gesetz­geber hat sich sehr bewusst dafür entschieden, dass nicht zu machen. Über die Gründe kann man jetzt nur speku­lieren. Ein Grund ist sicher auch, dass sich im Abstam­mungs­recht noch ganz viele andere Fragen stellen zu sozialer Eltern­schaft.“ Daher solle wohl eine größere Reform ange­gangen werden“.

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In manchen Teilen der Welt werden Menschen noch immer aufgrund ihrer sexuellen Orientierung verfolgt. Quelle: ilga.org

Ein Blick über die Landes­grenzen hinaus

Befasst man sich mit der Lage im Ausland, fällt schnell auf, dass Diskri­mi­nie­rung aufgrund der sexu­ellen Orien­tie­rung vor allem in Afrika und im Nahen Osten zu finden ist. Wie eine Karte der ILGA (Inter­na­tional Lesbian, Gay, Bise­xual, Trans and Intersex Asso­cia­tion) zeigt, droht nicht hete­ro­ge­schlecht­li­chen Menschen in insge­samt zwölf Ländern, darunter beispiels­weise dem Iran und dem Sudan, nach wie vor die Todes­strafe. In 56 Ländern müssen sie mit Haft­strafen rechnen. Ledig­lich in elf Länder werden sie durch die Verfas­sung geschützt.

Däne­mark – Es war eine Pioniertat“

1989 führte Däne­mark als erstes Land welt­weit eine Einge­tra­gene Lebens­part­ner­schaft ein. Die einzige Voraus­set­zung an die Paare war, dass zumin­dest einer der beiden däni­scher Staats­bürger ist und seinen Wohn­sitz in Däne­mark hat. Die längste einge­tra­gene Part­ner­schaft eines homo­se­xu­ellen Paares besteht zwischen Ivan Larsen und Ove Carlsen. Rück­bli­ckend sagt ersterer der Nach­rich­ten­agentur AFP ihr Handeln sei eine Pioniertat“ gewesen. 2012 wurde die einge­tra­gene Part­ner­schaft durch die Ehe ersetzt. Erst fünf Jahre später zog Deutsch­land nach.

Schweiz – eines der Schluss­lichter West­eu­ropas

Nach Frank­reich, Öster­reich, Spanien und weiteren euro­päi­schen Staaten zieht nun auch die Schweiz nach. Am 11. Juni 2020 beschloss die große Parla­ments­kammer die Ehe für alle. Bislang war ledig­lich eine Einge­tra­gene Part­ner­schaft möglich gewesen. Aller­dings plant die Natio­nal­kon­ser­va­tive Partei EDU ein Refe­rendum dagegen zu ergreifen. Die kleine Kammer stimmt voraus­sicht­lich im Herbst dieses Jahres über das Geset­zes­vor­haben ab.

Für mehr Infor­ma­tionen zum Thema Adop­tion empfiehlt Dana Valen­tiner den Podcast Gay Mom Talking – Folge 20: Eine Familie geht vor Gericht.


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