Die Meta­ebene des fairen Handels

Datum
22. September 2015
Autor*in
Fritz Beise
Redaktion
politikorange
Thema
#ZukunftsTour 2016
Beitragsbild Methling

Beitragsbild Methling

Sich für fair gehan­delte und herge­stellte Produkten einzu­setzen, verdient ausge­zeichnet zu werden. Doch ein Preis für faires Handeln muss viel breiter verstanden werden. Die Rede vom Rosto­cker Ober­bür­ger­meister Roland Meth­ling hat in diesem Punkt über­rascht. Ein Kommentar

Buffet

Auch eine Veranstaltung, die die Stadt Frankfurt/Main für die Initiative "FairTrade und Islam" würdigt, kann sich Hackfleisch aus Schwein nicht verkneifen. // Foto: Fritz Beise

Eine Preis­ver­lei­hung entzündet häufig ein Feuer­werk der trivialen Worte. Viele Reden werden gehalten, doch wenig gesagt. Selbst­be­weih­räu­che­rung heißt hier das Stich­wort. Personen oder Orga­ni­sa­tionen bekommen Preise für ihr angeb­li­ches Enga­ge­ment oder für ihren Plan, bald was gegen X oder für Y unter­nehmen zu wollen. Wenn nun in der Hanse­stadt Rostock, die zwei Jahre zuvor Haupt­stadt des fairen Handels wurde, eine eben solche Auszeich­nung weiter­ge­reicht wird, sind solche Reden eigent­lich zu erwarten. Doch es kam anders.

Die Idee, in Zukunft die Menschen in den Produk­ti­ons­stätten in aller Welt an den Gewinnen ange­messen zu betei­ligen, wird in diesem Jahr in Europa beson­ders unter­füt­tert. Über die soge­nannte Balkan­route reisen seit Wochen Flüch­tende aus den arabi­schen Ländern, vor allem Syrien, nach Europa. Zuvor versuchten Afrikaner*innen vergeb­lich über das Mittel­meer nach Europa zu gelangen: Europa schot­tete sich ab. Wirt­schafts­flücht­ling ist ein heißer Kandidat auf das Unwort des Jahres 2015.

Viele der Reden stellten diesen Zusam­men­hang heraus. Man wird sich bewusst, dass unser Wohl­stand die Armut vieler anderer bedeutet. Die Arro­ganz und Igno­ranz von Indus­trie­na­tionen und ihrer Konzerne sorgt dafür, dass sie endlich ihre Konse­quenzen spüren. Die Menschen wollen ins gelobte Land“ nach Europa. Von Staats­se­kretär Silber­horn bis Rosto­cker Ober­bür­ger­meister Roland Meth­ling brachten alle das Thema Fair­Trade mit den momen­tanen Geflüch­teten in Verbin­dung. Und gerade letzt­ge­nannter Bürger­meister über­raschte mit seiner Rede umfas­send.

Vom Saulus zum Paulus?

Ein Bürger­meister, der den Inten­danten des Volks­thea­ters, Sewan Latchi­nian, kündigen wollte, weil dieser öffent­lich einen ungüns­tigen Vergleich der Kultur­po­litik in Meck­len­burg-Vorpom­mern mit IS-Kämp­fern zog und sich gegen das Spar­diktat wehrte. Das Theater und seine Finan­zie­rung war im Grunde die letzten zwölf Monate durch­gängig weit mehr als lokales Stadt­ge­spräch und Meth­ling als Sparer und Kürzer zumeist der Böse“. Ein Bürger­meister, dessen ihn unter­stüt­zende Partei, die Unab­hän­gigen Bürger für Rostock (UFR), bei der letzten Bürger­schafts­wahl ungünstig auffiel, da ihre Mitglieder nach NDR-Recher­chen offenbar enge Kontakte in rechte Kreise unter­halten. Ein Bürger­meister, der zwar seit 2005 im Amt sitzt, dessen Image aber in der Bürger­schaft selten positiv ist. Doch gerade dieser Bürger­meister entfernt sich von seinem Skript, um auf Aktu­elles zu spre­chen zu kommen.

Seit dem 8. September kommen unre­gel­mäßig Geflüch­tete am Rosto­cker Bahnhof an. Meth­ling hat früh davon erfahren, doch die Verwal­tung ist behäbig. Die Stadt braucht Zeit, um zu erwa­chen.“ Doch er und damit auch die Geflüch­teten haben Glück. In Rostock exis­tiert ein gut vernetzter Bevöl­ke­rungs­teil aus Enga­gierten, die ehren­amt­lich Geflüch­tete am Bahnhof mit Essen und Klei­dung begrüßen und verpflegen, die sie zur Fähre oder bis nach Skan­di­na­vien begleiten; oder in Rostock in der Notun­ter­kunft betreuen. Die Anzahl der Ankom­menden wird immer größer und es wird eine Koor­di­na­ti­ons­stelle benö­tigt, die in der Park­straße 6 ihre Räum­lich­keiten findet. Ein offi­zi­elles Netz­werk mit dem Namen Rostock hilft entstand.

Methling

Oberbürgermeister Methling hält sich noch an sein Skript. // Foto: Fritz Beise

Meht­ling spricht in seiner, nun freien Rede von Wir“, man weiß nicht so recht, wer genau damit gemeint sein soll. Will er sich selbst profi­lieren, obwohl die wirk­liche Arbeit ganz andere machen? Man vermisst die spezi­fi­sche Erwäh­nung der Ehren­amt­li­chen. Der Bürger­meister spricht in seiner gewohnt bedachten Wort­wahl. Doch seine Stimme unter­scheidet sich von der, eines able­senden Redners. Zwischen­durch bebt sie ein wenig und man hat das Gefühl Roland Meth­ling muss sich zusam­men­reißen, keine Träne zu verdrü­cken. Der Gedanke an einen emotio­nalen Roland Meth­ling wirkt surreal, doch er ist es wirk­lich.

Die Stadt­ver­wal­tung versucht, zu lernen.“

Er betont das völlig andere Bild, dass Rostock im Vergleich zum August 1992 in Lich­ten­hagen zeige. Die Hilfs­be­reit­schaft und das Mitein­ander gegen­über Menschen, wie Sie und ich,“ stünden klar im Vorder­grund. Er möchte, dass nicht nur in Rostock sondern euro­pa­weit die Maxime gelte: Kommt her, lasst uns zusammen leben, lasst uns zusammen arbeiten.“ Der Zusam­men­hang zum Fair­Trade-Gedanken findet immer wieder seine punk­tu­ellen Erwäh­nungen.

Dann endlich: Das Lob, der Dank, die Erwäh­nung. Die Ehren­amt­li­chen des Netz­werks Rostock hilft. Sie verdienten Respekt“ und hätten Vorbild­wir­kung“, heißt es in Meth­lings Laudatio. Die Stadt­ver­wal­tung versuche, vom Netz­werk zu lernen. Ein Satz, der wie ein Armuts­zeugnis der deut­schen Büro­kratie stehen bleibt. Wenn wir mit der Volks­hoch­schule einen Deutsch­kurs für die Leute anbieten wollen, dauert es Wochen, bis er zu Stande kommt. Die Menschen kommen am Freitag an und befinden sich, dank Ihnen, am Samstag in einer Gruppe, um Deutsch zu lernen.“

Im Publikum sitzt Sara. Sie ist Teil dieses Netz­werks Rostock hilft, heute aber eigent­lich für die Rosto­cker Fair­Trade-Bewe­gung anwe­send. Kurz vor der Veran­stal­tung hat sie im Gespräch erzählt, dass sie sich nach der Koor­di­na­ti­ons­stelle sehnt, nach der Arbeit für die Refu­gees. Sie hält sich ständig auf dem Laufenden. Guckt auf’s Handy. Wie geht’s den Geflüch­teten, was ist gerade zu tun? Diese Veran­stal­tung ist ihr eigent­lich zu trivial. Zu viele Worte, zu wenig Taten.

Meth­ling nennt plötz­lich ihren Namen. Er möchte ihr stell­ver­tre­tend für die über 250 Ehren­amt­li­chen Blumen über­rei­chen. Damit hat sie nicht gerechnet. Niemand hat das erwartet, nicht von diesem Bürger­meister. Völlig unvor­be­reitet möchte sie ein paar Worte finden. Alles, was einen Foto­ap­parat besitzt, stürmt nach vorn. Alle spüren, dass sich hier etwas beson­deres abspielt. Sara betont entschlossen, dass sie dieses Danke­schön und die Blumen nur stell­ver­tre­tend für die Leute annehme, die uner­müd­lich und rund um die Uhr im Einsatz sind. Ein kurzes Plädoyer für das Menschen­recht auf Frei­zü­gig­keit bringt sie noch unter. Für mehr ist sie einfach zu perplex.

Blumen

Geschenke für die Preisträger*innen. Einer der Blumensträuße ging an Sara und damit an Rostock hilft. // Foto: Fritz Beise

Im Nach­hinein ärgert sich Sara ein biss­chen, dass sie nicht noch etwas zur Betei­li­gung der Antifa gesagt hat. Denn deren Image in Deutsch­land ist schlecht. Krawall­ma­cher, Stei­ne­schmeißer. Mehr haben Journalist*innenund weite Teile der Bevöl­ke­rung meist nicht für die Antifa übrig. Sara hätte gern, auch gegen­über OB Meth­ling, das Mitwirken dieser Grup­pie­rung heraus­ge­stellt, um zu zeigen, wofür die Antifa in ihren Augen eigent­lich steht.

Fairer Handel heißt auch, fair zu handeln

Als Roland Meth­ling seine über­ra­schend gute Rede beendet, muss man das erst einmal sacken lassen. Ein Bürger­meister, der von einer relativ rechten Frak­tion unter­stützt wird, hält ein Plädoyer auf die Frei­zü­gig­keit, auf die Mensch­lich­keit, ohne Ressen­ti­ments. Und er bedankt sich indi­rekt bei Menschen, die von vielen seines Unter­stüt­zungs­kreises norma­ler­weise als links­extreme Spinner oder Gutmen­schen belei­digt werden würden. Das bringt das einfache Welt­bild von sortierten gut und böse-Klas­si­fi­zie­rungen gehörig ins Wanken.

Pult

Das Redepult. Die Aufschrift war wie geschaffen für Methlings Rede. // Foto: Fritz Beise

Im Inter­view mit unsbe­richtet er von den Plänen mit dem Netz­werk. In den nächsten Tagen soll die Arbeit in kommu­nale Hände über­gehen. Verwal­tungs­mit­glieder werden dann frei­willig und verpflich­tend“ die Koor­di­na­tion, die Begrü­ßung und die Betreuung über­nehmen. Viele der Ehren­amt­li­chen werden nur schweren Herzens ihre Aufgabe abgeben wollen, das hat das Netz­werk auch heute klar­ge­stellt. Auch auf die Kontakte des Netz­werkes zu Übersetzer*innen wird die Verwal­tung weiter ange­wiesen sein. Warum wird ihnen nicht eine Stelle in der Verwal­tung ange­boten? Die Exper­tise hätten sie, die Leiden­schaft erst recht.

Fairer Handel sollte eben nicht nur auf Produk­tion und Geschäfts­treiben bezogen werden. Es heißt auch, fair zu handeln; im allge­meinen Sinne. Dabei geht es nicht allein um den Lohn von kolum­bia­ni­schen Kleinbauer*innen, sondern auch um den Umgang mit Bürger­kriegs­ge­flüch­teten, mit Waffen­lie­fe­rungen in Krisen­ge­biete und letzt­end­lich um die Bezie­hung eines Bürger­meis­ters zu seinen Bürger*innen und den nötigen Respekt für deren Taten. Das scheint Roland Meth­ling verstanden zu haben.


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