Der Drache Klima­wandel

Datum
05. November 2015
Autor*in
Philipp Neudert
Redaktion
politikorange
Thema
#ZukunftsTour 2016
goetheschiller

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Es ist leicht, Heraus­for­de­rungen wie den Klima­wandel als reines Natur­phä­nomen zu betrachten: Zu viele Klima­gase, zu wenige Regen­wälder, also wird es heißer und der Ozean größer. Das klingt viel­leicht nicht ange­nehm, aber zumin­dest verständ­lich. Es steckt mehr dahinter. Auch eine große Chance. Ein Essay von Philipp Neudert.

Bunte Flyer auf dem Tisch. Ein Kind, das einen Globus umarmt. EINEWELT – Unsere Verant­wor­tung. Meilen­steine der Nach­hal­tig­keits­po­litik. Eine Straße, ein Wäld­chen, sanfter Morgen­nebel, den das Sonnen­licht vergoldet. Kein Auto auf der Straße – ist das die Lösung? Weiter­blät­tern. Pflänz­chen in Wüsten­land­schaften, glück­liche Afrikaner*innen bei der Arbeit, Sonnen­un­ter­gänge, so geht es weiter – die Bilder verspre­chen Hoff­nung oder wollen ins Herz schneiden. Aber das fällt ihnen immer schwerer – weil die Adres­saten sich an die von der Arbeit nieder­ge­drückten Kinder­ge­sichter, die bren­nenden Regen­wälder und vergif­teten Flüsse gewöhnt haben. Seit Jahr­zehnten statt­fin­dende Aufklä­rungs­kam­pa­gnen, Arte-Dokus und Plakate über Bahn­höfen haben Häss­lich­keit und Zerstö­rung zur stan­dar­di­sierten Ikone gemacht. Fantasie, Fern­sehen und Plakate verschwimmen zu einem unklaren Bilder­brei. Stets erschallen die Forde­rungen: BRING DICH EIN. Oder: Bewegen Sie etwas mit ihrer Geld­an­lage. Sei einfach mal ein guter Mensch, denn wenn du nicht anfängst, fängt viel­leicht niemand an. Und dann sind nicht alle zusammen schuld – sondern du.

Verant­wor­tung?

Klima­schutz, Umwelt­schutz, sozialer Ausgleich – überall schieben sich große Politik, NGOs und kleine Privat­per­sonen gegen­seitig die Verant­wor­tung zu. Post­wen­dend. Nicht, dass während­dessen gar nichts getan würde. Aber alle sind sich einig, dass das noch lange nicht genug ist. Wer den Rest bis hin zu diesem Genug leisten soll, ist die Preis­frage. Ja, alles hat seinen Preis, und wer soll den bezahlen? Alle, die heute leben, oder alle, die morgen leben – oder viel­leicht endlich dieje­nigen, die aus der massiven Ausbeu­tung bisher am meisten Nutzen gezogen haben?

Bedroht und zerstört

Wir alle sind bedroht. Wissen wir. Wenn wir weiter­ma­chen wie jetzt, zerstören wir Land, Menschen, ganze Zivi­li­sa­tionen. Wissen wir. Verän­derte Natur­ge­walt, Fluten, Dürren, Deser­ti­fi­ka­tion – unser Lebens­stil vernichtet Lebens­grund­lage. Wissen wir. Auf Armut folgt Insta­bi­lität, wissen wir, auf Insta­bi­lität Kriege. Wissen wir, wissen wir alles! Und was jetzt? – Es wird schlimmer werden, natür­lich. Wir kennen die wissen­schaft­li­chen Fakten, die Prognosen, natür­lich. Und die Angst, die kennen wir auch. Natür­lich. Aber eben auch das Gefühl, im Super­markt zu stehen und nicht verzichten zu können, allem Fort­schritt zum Trotz muss das täglich Brot her, und oben­drauf der tägliche Luxus. Wozu mach ich mir den ganzen Stress? Die auf dem Balkon gezo­gene Peter­silie reicht nicht über den Winter! Und was bleibt von einer auf Arbeit und Konsum ausge­rich­teten Gesell­schaft, wenn man ihr den Konsum wegnimmt?

Die am häufigsten postu­lierte Antwort: Alles halb so schlimm, viele kleine Schritte in die rich­tige Rich­tung werden Großes bewirken. Wir müssen nicht plötz­lich auf alles verzichten, damit andere auch leben können und die Welt nicht unter­geht. Wir können die Fern­reisen, die Whirl­pool­wannen und die Unter­hal­tungs­elek­tronik schon behalten – wir müssen nur alles anders herstellen! Erneu­er­bare Ener­gien, nach­hal­tige Produk­tion, schöne Verspre­chen. Anti­these: Wenige Länder, die durch rück­sichts­loses Wirt­schaften sehr reich und mächtig geworden sind, stellen jetzt einen Klima­wandel fest, der nur durch den Verzicht der vielen ärmeren Länder auf mehr Wohl­stand gestoppt werden kann – so wird Klima­schutz zur größten repres­siven Maßnahme aller Zeiten!

Die Wahr­heit liegt irgendwo dazwi­schen.

Das Dilemma der Großen…

Die große Politik steckt in einem Dilemma: Es ist kein Konsens in Sicht, wie man die Klima­ret­tung betreiben soll. Also kann man einer­seits auf eigene Faust das Klima zu retten versu­chen; damit begibt man sich aber in Gefahr, das eigene Land wirt­schaft­lich ins Hinter­treffen geraten zu lassen. Der große Knall scheint kurz bevor­zu­stehen. Ande­rer­seits kann man die eigene Wirt­schaft mehr oder weniger gut auf der Basis von massivem Ressour­cen­ver­brauch und Wachstum weiter­peit­schen. Aber dann geht das Klima früher oder später flöten, mit allen daraus entste­henden Kosten. Und Kosten, die lassen Regie­rungen hell­hörig und spontan legis­lativ werden.

Am besten wäre natür­lich, die große Politik fände gemein­same Regeln, wie man die Emis­sionen verrin­gern, den Handel fair und die Produk­tion nach­haltig gestalten kann. Aber das alles hat man nun auch tausendmal gehört und passiert ist wieder nichts. Die Hinder­nisse sind ja auch massiv: sehr unter­schied­liche natio­nal­staat­liche Inter­essen, sehr unter­schied­liche Meinungen, welche Maßnahmen nun wichtig sind und welche nicht, und eine neoli­be­rale Deutungs­ho­heit, die jeder Einschrän­kung von Handel oder Produk­tion reflex­hafte Watschen verpasst.

…und ihr Hilferuf nach den Kleinen

In dieser verfah­renen Lage ruft die große Politik die vielen kleinen Menschen zur Hilfe: Wenn wir alle gemeinsam was tun, jeder ein biss­chen, dann können wir schon viel errei­chen. Das ist das Credo. Und wenn Jeder-macht-ein-biss­chen nur heißt, dass man sich über Face­book und Twitter bei Textil­her­stel­lern über die Produk­ti­ons­be­din­gungen beschwert, na und? Ist doch soziales Enga­ge­ment! Die Stra­tegie hat natür­lich Vorteile. Vor allem kostet sie erst einmal nichts und schmei­chelt dem Einzelnen: Du, genau du hast die Macht, die Welt zu verän­dern! – Und es ist auch nicht gesagt, dass das Enga­ge­ment vieler nichts bewirkt. Trotzdem bleibt es schi­zo­phren zu glauben, ein biss­chen Zivil­ge­sell­schaft könne dem Treiben im Namen jener größten Macht, mit der wir unsere Erde teilen, Einhalt gebieten – der Gier. Wenn das Land durch den Klima­wandel knapp wird, könnte ein Land­be­sitzer denken, dann wird mein Land umso wert­voller. Solange es eben nicht über­flutet wird. Lösung: Hoch­ebenen kaufen, einzäunen und poli­ti­schen Akti­vismus gegen Einwan­derer betreiben!

Was tun?

Erstmal müssen wir uns von ein paar bequemen, aber gefähr­li­chen Illu­sionen befreien. Erstens, dass wir einfach weiter­ma­chen könnten wie bisher und nur ein biss­chen mehr Geld für grüne Energie und Dämm­stoffe in Hand nehmen müssten, und dann wird das schon. Nein, ohne Verzicht wird es nicht gehen, und verzichten kann nur das obere Drittel der Welt­be­völ­ke­rung und ganz beson­ders die obere Prozent dieses oberen Drit­tels. Wir werden uns wohl davon verab­schieden müssen, für drei­zehn Euro mit Ryanair nach Mallorca fliegen zu können, davon verab­schieden, zum Preis eines McDo­nald’s-Menüs Klei­der­schränke von Primark-Textil­schrott zu erwerben, und uns vor allem von der Annahme befreien, jeder Mensch habe Anspruch auf einen fahr­baren komfor­ta­blen Sicher­heits­raum aus Blech. Aus der Traum vom unend­li­chen Fort­schritt! Zumin­dest bis wir einige Planeten finden, welche die uns fehlenden Ressourcen ersetzen, oder die wunder­bare Wissen­schaft Möglich­keiten findet, die Endlich­keit zu über­winden. Das wäre sowieso der bequemste Ausweg: Darauf vertrauen, dass die Wissen­schaft schon Wege findet, quasi unbe­grenzt Energie bereit­zu­stellen, Wohl­stand einfach weiter zu vermehren und gesell­schaft­liche Probleme daher unan­ge­tastet zu lassen. Damit würden wir aber eine Chance vergeben. Auch das ist ein Credo.

Die große Chance…

Das inein­ander verzahnte und verwor­rene Problem­knäul, in dem sich unge­rechte Vertei­lung, durch endliche Ressourcen begrenztes Wirt­schafts­wachstum und die aus dem rück­sichts­losem Verbrauch dieser Ressourcen herrüh­renden Umwelt­pro­blemen und der Klima­wandel vermi­schen – das ist nämlich nicht nur ganz schlimm und gefähr­lich und zum Verzwei­feln. Sondern auch eine Chance.

Wir nähern uns gerade einer jener Abzwei­gungen in der Welt­ge­schichte, diese Momente, in denen notge­drungen defi­ni­tive Entschei­dungen von größter Wirkungs­macht getroffen werden. Heraus­for­de­rungen wie der Klima­wandel verun­mög­li­chen einen Viel­leicht-aber-viel­leicht-auch-nicht-Kurs. Entschei­dungen müssen her und werden notge­drungen gefällt. Auch durch Nicht­han­deln. Entweder schaffen wir es gegen den Klima­wandel anzu­kommen oder wir schaffen es nicht. Entweder kommt die inter­na­tio­nale Quer­front gegen die Selbst­zer­stö­rung unserer Welt an oder nicht. Entweder fallen wir ins frühe zwan­zigste Jahr­hun­dert zurück und folgen natio­nalen Simpli­zismen, die letzt­end­lich in einer Kata­strophe enden müssen. Oder wir schaffen endlich den Sprung in eine nicht nur wirt­schaft­liche, sondern auch poli­ti­sche Globa­li­sie­rung, eine echte und nicht nur symbol­hafte symbio­ti­sche Union der Völker zu etwas, für das man diesen großen Begriff die Mensch­heit endlich beden­kenlos verwenden kann. Zum Wohle aller. Ja, ein biss­chen Utopismus ist ange­bracht. Zeiten des Umbruchs fordern auch mal große Worte und Ideen, und wir leben in Zeiten des Umbruchs, ob wir es wahr­haben wollen oder nicht: Die Welt mitsamt ihrer fragilen Ordnung kann und wird nicht bleiben, wie sie ist! Um Heraus­for­de­rung der Dimen­sion eines Klima­wan­dels zu bewäl­tigen, werden gemein­samen Entschei­dungen und Aktionen kommen müssen, von einer Qualität, die effi­zient zusam­men­schweißt. Platt gesagt: Wenn wir als Mensch­heit die Gefahr des Klima­wan­dels über­wunden haben werden, wird die Welt eine weitaus bessere sein als jetzt. Alle Menschen werden Brüder.“ Der Klima­wandel ist der Drache, durch den Sieg­fried erst zeigen kann, dass er ein Held ist.


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