Bezahl­karte für Geflüch­tete: Symbol­po­litik statt Lösung – Geflüch­teten-Akti­vist Arif Haidary im Inter­view 

Datum
21. Februar 2025
Autor*in
Jonas Lukasch
Redaktion
politikorange
Themen
#Interview #BTW2025
BildInterviewBayern

BildInterviewBayern

Seit einiger Zeit bekommen Geflüch­tete nach der Ankunft in Deutsch­land ihre Sozi­al­leis­tungen nicht mehr in Form von Bargeld von der Regie­rung, sondern erhalten den Groß­teil des Geldes in Form von Guthaben auf einer Bezahl­karte. Aller­dings erschwert diese Rege­lung an vielen Stellen den Alltag für Geflüch­tete, wie Arif Haidary Poli­ti­ko­range-Redak­teur Jonas im Inter­view erklärt. 

lukasch2

© Arif Haidary

Arif Haidary kam vor 9 Jahren aus Afgha­ni­stan nach München und enga­giert sich seitdem stark für Geflüch­tete. Er ist stell­ver­tre­tender Vorsit­zender im Migra­ti­ons­beirat München, Mitbe­gründer der MUT-Partei, und hat Konzerte in Flücht­lings­un­ter­künften orga­ni­siert und viele weiter Projekte in der Flüch­lings­hilfe umge­setzt. 

Seit Mai gilt ja das neue Bezahl­kar­ten­system für Geflüch­tete. Was hat sich damit konkret geän­dert? 

Früher haben die Geflüch­teten nach ihrer Ankunft in Deutsch­land Bargeld bekommen, nun wurde dieses Bargeld größ­ten­teils durch eine Bezahl­karte ersetzt. Die Menschen kriegen nur noch 50 Euro Bargeld pro Monat. Das schränkt deren Leben stark ein, da es immer noch nicht überall möglich ist, mit Karte zu bezahlen. 

Warum hat die Regie­rung die Rege­lung trotz der Kritik auf den Weg gebracht?

Die Politik dachte, damit bekämpft sie die Schleu­ser­kri­mi­na­lität. Aber ich persön­lich habe noch nie Schleuser*innen gesehen, die mit Raten­zah­lungen arbeiten. Einige Politiker*innen behaupten außerdem, die Geflüch­teten würden das meiste Geld nach Hause schi­cken. Die Realität sieht anders aus: wenn man in Deutsch­land ankommt, kümmert man sich erst einmal um die Finan­zie­rung von lebens­not­wen­digen Dingen hier vor Ort, beson­ders München ist ja nicht gerade billig. Nach einiger Zeit hier im Land schi­cken die Menschen dann viel­leicht mal 50 Euro in die Heimat – meiner Meinung nach ist das auch deren gutes Recht. Ich finde, diese Maßnahme gehört zu einer popu­lis­ti­schen Politik der Regie­rungen in Bayern und Berlin, die annehmen, die Bezahl­karte sei eine einfache Problem­lö­sung. 

Um Geflüch­teten mit der Bezahl­karte ein wenig mehr Flexi­bi­lität zu ermög­li­chen, gibt es jetzt in München eine neue Aktion der Initia­tive OFFEN! München“ in Koope­ra­tion mit vielen anderen Orga­ni­sa­tionen und Verei­ni­gungen, bei der es um den Tausch von Gutscheinen gegen Bargeld geht. Wie genau funk­tio­niert das?

Geflüch­tete kaufen zuerst mit der Bezahl­karte in einem Discounter Super­markt an der Kasse einen Gutschein. Den geben sie dann ab an einer der teil­neh­menden Tausch­stellen in der Stadt. Dort kriegen sie dafür 50 Euro Bargeld, teils auch etwas mehr. Menschen aus der Zivil­ge­sell­schaft können dann wiederum einen Gutschein von uns kaufen. So entsteht für niemanden ein Wert­ver­lust, und privi­le­gierte Bürger*innen können Soli­da­rität zeigen für alle, die es schwerer haben.

Wie groß ist die Nach­frage bis jetzt? 

Bis jetzt läuft es ganz gut, wir mussten teil­weise sogar die Öffnungs­zeiten verlän­gern, weil der Ansturm so groß war.

Bild2InterviewBayern

© Arif Haidary

Habt ihr Angst, die Politik könnte eure Aktion versu­chen zu stoppen? Schließ­lich wird eine Geset­zes­re­ge­lung damit ein wenig umgangen“ 

Es ist nicht illegal, Gutscheine zu kaufen und zu tauschen. Wir werden es sowieso kaum schaffen, einen flächen­de­ckenden Tausch in Bayern zu ermög­li­chen. Uns ist es auch wichtig, mit der Kampagne ein Signal zu senden: Geflüch­tete kommen nicht wegen der Sozi­al­leis­tungen nach Deutsch­land, sondern weil sie drin­gend Schutz suchen. 

Welche Aktionen gibt es noch von OFFEN! München“?

In den ca. 2 Jahren, in denen es die Kampagne gibt, haben wir viele Demos orga­ni­siert und mehrere andere Kampa­gnen gestartet. Wir versu­chen einfach, einen alter­na­tiven Weg für die Politik aufzu­zeigen, wie humaner mit Geflüch­teten umge­gangen werden kann. Außerdem verbinden wir Kritik an der aktu­ellen Migra­ti­ons­po­litik der Regie­rung mit konstruk­tiven Verbes­se­rungs­vor­schlägen. Wir sind beispiels­weise für ein gutes Sozi­al­system, offene Grenzen und eine Ausbil­dungs- sowie Arbeits­er­laubnis für Geflüch­tete, damit sie lang­fristig eine Perspek­tive in Deutsch­land haben. 

Gibt es bei dir noch neue Ziele und Projekte, die du in Zukunft geplant hast? 

Auf jeden Fall will ich weiter im Migra­ti­ons­beirat arbeiten und dort Druck auf die lokale Politik ausüben. Denn Geflüch­tete sind auch Menschen, die als solche wahr­ge­nommen werden wollen. Viel­leicht können wir irgend­wann den falschen Narra­tiven, die über Geflüch­tete exis­tieren, ein Ende setzen, und mehr die gute Seite von Migra­tion zeigen. 


Empfohlene Beiträge

Werde Teil unserer Community

Entdecke spannende Geschichten, vernetze dich mit anderen jungen Journalist:innen und gestalte die Medienlandschaft von morgen mit. Melde dich jetzt an und bleibe immer auf dem neuesten Stand.

Wehrpflicht Redaktion Gruppenbild