Wir müssen das schaffen“

Datum
15. September 2017
Autor*in
Betül Mis
Redaktion
politikorange
Thema
#poBTW17
Misbah Khan Foto: Privat

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Misbahn Khan ist für Bündnis 90/​Die Grüne Direkt­kan­di­datin für den Wahl­kreis Neustadt-Speyer und die GRÜNE JUGEND Kandi­datin für die rhein­land-pfäl­zi­sche Bundes­tags­liste. Mit 27 Jahren gehört sie zu den Jung­spunten in der Politik. Betül Mis hat sie unter­and­erem zu ihrere Moti­vatin und der Flücht­lings­po­litik inter­viewt.

Misbah Khan Foto: Privat

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Welche Heraus­for­de­rungen stehen Sie in der Politik immer wieder gegen­über?  Grund­sätz­lich ist es immer eine poli­ti­sche Heraus­for­de­rung, gegen emotio­nale und gefühlte Wahr­heiten zu argu­men­tieren. Das ist nun mein 10. Wahl­kampf und dabei merke ich zuneh­mend, dass die fakten­ba­sierte Politik immer mehr an Gewich­tung verliert. Oft kann man das bei popu­lis­ti­schen Argu­men­ta­tionen beob­achten, die eklige und nicht fakten­ba­sierte Behaup­tungen ausdrü­cken. Und genau diese gefühlten Ängste nutzen rechts­ori­en­tierte Parteien. Toll finde ich kleine Erfolgs­er­leb­nisse. Wenn ich im Dialog mit Menschen, zum Beispiel am Wahl­kampf­stand, von einem posi­tiven Welt­bild über­zeugen kann und sie mit einer Über­zeu­gung Ich wähle Grün, oder demo­kra­tisch“ raus­gehen. Also, wenn ich zufrie­den­stel­lend, über­zeu­gend argu­men­tieren kann.  Mit 19 haben Sie begonnen, sich poli­tisch bei Bündnis 90/​Die Grünen zu enga­gieren. Was war damals Ihre Moti­va­tion und was hat sich geän­dert?  Ich war schon als Jugend­liche poli­tisch inter­es­siert. Ich hatte schon immer einen Scharf­sinn für globale Unge­rech­tig­keiten, weil ich Groß­el­tern und Eltern aus Paki­stan habe. Ich reiste nach Paki­stan, ich wurde dort geboren und kenn dort das starke Gefälle zwischen Arm und Reich. Mir stellte sich immer die Frage, wo stehe ich, was will ich machen? Will ich mich mit den Umständen zufrie­den­geben? Nein. Ich wollte meinen Beitrag zur Verän­de­rung leisten, und zwar in einer Partei. Für die Grünen habe ich mich entschieden, weil ich ihre Werte toll fand. Ich hatte das Gefühl, das sei die einzige Partei, die nicht unter­scheidet zwischen Politik das, was national gedacht ist und der Politik, die den Rest der Welt betrifft. Eine Partei, die an eine große Schick­sals­ge­mein­schaft glaubt und so global denkt. Haben sie ein noch lebendes Vorbild in der poli­ti­schen Land­schaft?  Ich finde Gregor Gisy gut, und zwar wegen der Art und Weise, wie er Politik macht und seine Politik kommu­ni­ziert. Sein Humor ist nicht immer intel­lek­tuell hoch­ge­sto­chen, sondern einfach und flapsig formu­liert aber auf den Punkt gebracht. Diese Kommu­ni­ka­tion finde ich anspre­chend. Auf Ihrer Webseite schreiben Sie: Gesell­schaft­liche Diskri­mi­nie­rung von Minder­heiten sind in unserer Gesell­schaft nicht etwa über­wunden oder ein Rand­phä­nomen, sondern ein struk­tu­relles Problem, das wir tagtäg­lich aufs Neue angehen müssen.“ Welche Lösungs­an­sätze schlagen Sie vor? Struk­tu­reller Diskri­mi­nie­rung kann nicht mit einem kleinen Ansatz begegnen. Es bedarf verschie­dener Ansätze, beispiels­weise durch poli­ti­schen Bildung, oder der Reprä­sen­ta­tion einer offenen Gesell­schaft durch die Vertreter in Politik, oder durch ange­sto­ßene Diskurse, die das Klima von Offen­heit wider­spie­geln. Man kann an vielen Schrauben drehen, weil Diskri­mi­nie­rung ein Quer­schnitt­schema und keine Bereichs­po­litik ist. Man muss also in jedem Bereich und in jede Insti­tu­tion schauen, wo man etwas machen kann, um das Gesamt­klima zu verbes­sern. Diese Prozesse können durch die Basis ange­stoßen werden, also durch die Zivil­ge­sell­schaft, durch eine Gruppe von Akti­visten oder beson­ders von oben, durch eine Politik, die sich klar gegen die Diskri­mi­nie­rung von Minder­heiten ausspricht. Sie setzen sich für eine koope­ra­tive und ursa­chen­be­kämp­fende Entwick­lungs­zu­sam­men­ar­beit mit dem Globalen Süden ein. Diese soll sich an der Lebens­rea­lität vor Ort orien­tieren, anstatt Lebens­kon­zepte des Globalen Nordens aufzu­stülpen. In Deutsch­land werden entwick­lungs­po­li­ti­sche Frei­wil­li­gen­dienste nach dem Abitur immer popu­lärer. Hier steht für viele aber eher die die Entwick­lung der Persön­lich­keit statt dem Helfen im Vorder­grund. Welche Chancen und Risiken sehen Sie in den entwick­lungs­po­li­ti­schen Frei­wil­li­gen­diensten?  Es kommt grund­sätz­lich auf das Angebot an. So ein entwick­lungs­po­li­ti­scher Frei­wil­li­gen­dienst kann hilf­reich sein und ist nicht per se schlecht. Wenn das aber ein Angebot für einen 19-jährigen Abitu­ri­enten ist, der drei Monate Zeit hat, um schnell seine Vita aufzu­pimpen, dann sehe ich das kritisch. Das Ganze ist struk­tu­rell schon schwierig, weil Jugend­liche mit einer Erwar­tungs­hal­tung in ein ihnen fremdes Land reisen, um dort zu helfen. Sie betreuen Kinder und sind gar keine Pädagogen. Dabei bauen sie Bindungen mit Kinder auf und sind nach drei Monaten wieder weg. Das ist eine Art von Hilfe, die nicht nach­haltig ist. Man kann dabei viel­leicht seine eigenen Privi­le­gien als weißer Euro­päer reflek­tieren und sich globalen Problem­lagen bewusst werden. Jedoch sollte man sich genau bewusst sein, welche Projekte man da unter­stützt und ob man nicht mehr Schaden verur­sacht, als, dass man hilft. Zu der Flücht­lings­de­batte sagte die Bundes­kanz­lerin Angela Merkel am 31. August 2015 Wir schaffen das“. Damit wollte Sie für eine offenen Gesell­schaft ein Zeichen setzen. Hätten Sie damals auch Wir schaffen das gesagt“?  Ich hätte gesagt: Wir müssen das schaffen“. Für mich gab es gar keine Alter­na­tive, und wieso hätten wir es nicht schaffen sollen. Es gab hundert­tau­send Menschen, die von Leid, Not, Krieg und Verge­wal­ti­gung unter anderem bedroht waren, ihre Heimat verloren und keinen Besitz mehr hatten. Und schuld sind wiederum auch wir als Rüstungs­expor­teur und ziehen unseren Gewinn aus deren Leid, aus diesen hundert­tau­send Menschen, die mit einem legi­timen Recht auf Asyl zu uns kommen. Ja, es ist ein enormer verwal­tungs­tech­ni­scher Aufwand und es kostet Über­stunden, diese Menschen hier aufzu­nehmen. Aber, das ist alles machbar. Ich würde sagen, jede Über­stunde, die aufge­wendet wird, damit ein Mensch gerettet wird, dessen Leben von Krieg bedroht ist, ist es dem wert. Die Alter­na­tive wäre gewesen: Man nimmt diese Menschen nicht auf und wartet, wie die fast alle anderen 27 EU-Länder, auf eine Lösung, auf die man sich einigt. Und dabei wären diese leidenden Menschen alle gestorben. Ich arbei­tete selbst in einer Verwal­tung und habe gesehen, welche Arbeit dieser Akt verlangte. Aber die reine Mensch­lich­keit verlangt eigent­lich zu sagen: Wir sind eines der reichsten Länder der Welt, wir sind eines der reichsten Länder Europas, auch unsere Zivil­ge­sell­schaft ist in der Lage diese Menschen aufzu­nehmen.“ Prozen­tual auf die Gemeinden herunter gerechnet waren das ja auch gar nicht so viele Flücht­linge gewesen, denn die Nach­bar­länder der Kriegs­ge­biete haben unver­hält­nis­mäßig mehr geleistet. Unsere Tatkraft war also machbar und absolut notwenig. Mich ärgert die Diskus­sion über die Ober­grenze sehr. Es gibt schlichtweg ein Grund­recht auf Asly, und damit ist es für mich schon nicht verhan­delbar. Man nehme sich eine fiktive Zahl, zum Beispiel 10.000 und sagt offen­sicht­lich, dass das 10001. Kind in Aleppo bleiben und sterben muss. Das ist keine Art und Weise, in der Politik im 21.Jahrhundert gemacht werden kann. Die Entwick­lung der globalen Flücht­lings­si­tua­tion ist natür­lich sehr schwer kalku­lierbar. Ich muss auch sagen, dass die Behaup­tung, 2015 kämen die Flücht­linge so über­ra­schend haltlos ist. Der UNHCR hat Jahre vorher schon ange­kün­digt, dass ihnen das Geld ausgeht und sie bald keine Grund­be­dürf­nisse mehr gewähr­leisten können. Was könnte man noch machen? Ein Lösungs­an­satz, um die Situa­tion besser planbar zu machen, wäre, die örtliche Finan­zie­rung des UNHCR zu unter­stützen. Darüber hinaus, kann und muss man viel gegen den Klima­wandel tun, um keine Klima­flücht­linge zu verur­sa­chen, die maßgeb­lich durch den globalen Norden kommen. Darüber hinaus möchte ich fest­halten: Migra­tion ist eine ganz normal mensch­liche Entwick­lung. Es ist ganz normal, dass Menschen von A nach B reisen und sich irgendwo anders nieder­lassen. Dieser zivi­li­sa­to­ri­scher Austausch hat Kulturen immer voran­ge­bracht. Das gab es schon immer. Aber das Ganze als bedroh­lich darzu­stellen, darin liegt das Problem. Man kann die Anzahl der Flücht­linge und unvor­aus­seh­bare Ereig­nisse, die Flucht verur­sa­chen werden nicht voraus­sagen, aber man kann bekannte Symptome, wie den Klima­wandel, die Kriegs­för­de­rung unter­binden, den UNHCR nicht fördern, um mögliche Flucht­be­we­gungen zu beein­flussen Welche poli­ti­sche Entschei­dung der letzten Legis­la­tur­pe­riode kriti­sieren Sie? Was mich mehr ärgert als das Handeln von Politik ist das Nicht­han­deln von Politik. Die Politik hätte viel machen können, um den Diesel Skandal zu verhin­dern, aber statt­dessen disku­tiert man jahre­lang über eine Auslän­der­maut. In der Land­wirt­schaft stellt man fest, dass es viele Probleme durch Glyphosat-Vergif­tung und die Subven­tio­nie­rung von Agrar­in­dus­trie gibt. Beim Klima­wandel hätte man viele Ansätze nutzen können, um den CO2-Ausstoß zu redu­zieren. Auch nach der Wir-Schaffen-Das-Diskus­sion hätte man viel machen können, zum Beispiel den eigenen Stand­punkt vertei­digen. Merkel hat aber ganz schnell durch den Druck aus ihrer Partei heraus nicht entspre­chend ihrer Worte gehan­delt. Welche Errun­gen­schaft der letzten Legis­la­tur­pe­riode finden Sie gut?  Ganz klar die Ehe für Alle“. Auch wenn es stra­te­gisch kalku­lierbar war und ganz im Macht­in­ter­esse von Merkel, war diese Entschei­dung noch während ihrer Legis­latur durch­zu­setzen und sie so nicht zum Wahl­kampf­thema gegen sie zu machen. Auch wenn diese Errun­gen­schaft nicht Merkels Errun­gen­schaft ist. Es war allein Volker Beck von den Grünen, der diese Entschei­dung durch­ge­rungen hat. Diese Entschei­dung war notwendig für Politik im 21. Jahr­hun­dert. Was wünschen Sie sich für die Bundes­tags­wahlen 2017? Das aller wich­tigste. Bitte wählt am 24. September demo­kra­tisch. Lasst euch in einer Welt der Komple­xität nicht von einfa­chen Antworten der Rechts­po­pu­listen verleiten.

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