Wie weit darf man gehen? – Klima­ak­ti­vismus an den Grenzen der Lega­lität

Datum
10. November 2020
Autor*in
Larissa
Redaktion
politikorange
Themen
#greenjournalism 2020 #Klima
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Foto: Ende Gelände / Flickr

Die Klima­be­we­gung ist breit gefä­chert: so unter­schied­lich wie die einzelnen Orga­ni­sa­tionen sind auch die Protest­formen und nicht alle liegen im Rahmen der geltenden Gesetze. poli­ti­ko­range-Redak­teurin Larissa hat sich gefragt, was Menschen dazu bewegt, für den Klima­schutz sogar recht­liche Konse­quenzen in Kauf zu nehmen.

Ende Gelände in Jänschwalde 2020, Quelle: Flickr

Ende Gelände in Jänschwalde 2020, Quelle: Flickr

Sina Reisch war von 2018 bis 2019 Pres­se­spre­cherin bei Ende Gelände und ist bis heute eines der Gesichter der Bewe­gung. Ende Gelände selbst bezeichnet sich als Bündnis für Aktionen des zivilen Unge­hor­sams und orga­ni­siert jedes Jahr eine Massen­blo­ckade in deut­schen Braun­koh­le­re­vieren. Einzelne Orts­gruppen gelten als links­extre­mis­tisch“ und werden vom Verfas­sungs­schutz beob­achtet, wodurch die wenigsten Aktivist*innen dort mit Klar­namen auftreten. Sina Reisch hingegen tritt ohne Pseud­onym auf. Ich habe mit ihr über ihren Akti­vismus, Radi­ka­lität im Klima­schutz und die Frage, was sie bereit ist, für eine vermeint­lich bessere Welt zu tun, gespro­chen.

Wie bist du zum Klima­schutz gekommen?

Ich war erst links, dann kam das Klimathema. Schon in der Schul­zeit habe ich mich poli­ti­siert und bin dann bei meinem Studium in Passau in einem linken Zentrum aktiv gewesen. Da fing ich an, mich mit Menschen­rechten ausein­an­der­zu­setzen und habe auch meinen ersten zivilen Unge­horsam begangen, als wir Geflüch­tete auf der Straße getroffen und in WGs vermit­telt haben, um ihnen Zuflucht zu gewähren.

Warum bist du bei Ende Gelände? Was glaubst du, was die Bewe­gung für den Klima­schutz schaffen kann?

Ich möchte dort, wo die Unge­rech­tig­keit entsteht, versu­chen, sie zu verhin­dern und an die Orte der Zerstö­rung gehen. Was wir bei Ende Gelände, glaube ich, ganz gut klar gemacht haben, ist, dass es nicht allein um den Klima­schutz geht, sondern um Klima­ge­rech­tig­keit. Nur auf physi­ka­li­scher Ebene über Klima­ver­än­de­rungen zu reden, ist schön und gut, aber das alles findet ja nicht im luft­leeren Raum statt, sondern in einer Gesell­schaft. Und in dieser betrifft der Klima­wandel die Menschen unter­schied­lich stark. Eine Klima­schutz­be­we­gung, die sich nicht auch gegen Rassismus und gegen das Patri­ar­chat posi­tio­niert, wird schei­tern. Mit Aktionen des zivilen Unge­hor­sams leisten wir bei Ende Gelände einen Beitrag dazu, den Diskurs über die Unge­rech­tig­keiten dieser Welt anzu­fa­chen.

Wird ziviler Unge­horsam denn dadurch legi­ti­miert? Warum hast du dich für diese Protest­form entschieden?

Ich würde heute sagen, ich habe meinen ersten zivilen Unge­horsam begangen als ich den Begriff noch über­haupt nicht kannte. Ich glaube, man braucht keine große poli­ti­sche Theorie, um sich dafür zu entscheiden. Wenn man sieht, dass irgendwo eine Unge­rech­tig­keit passiert, dann handelt man einfach nach dem eigenen Gewissen. Der Kampf gegen die Klima­krise ist ein Kampf um Leben und Tod und wir [in Deutsch­land] haben es im globalen Vergleich noch recht ange­nehm. Schon jetzt sterben welt­weit tausende Menschen aufgrund des menschen­ge­machten Klima­wan­dels. Ange­sichts dessen finde ich unsere Blockaden noch recht harmlos.

Als poli­tisch linker Mensch möchte man doch für die Demo­kratie eintreten, oder? Ist es somit nicht deine Aufgabe, den Staat zu beschützen, anstatt sich gegen ihn zu stellen?

Für mich wird die Demo­kratie nicht durch den Staat verkör­pert, ich würde das ganz weit ausein­an­der­halten. Ich als linker Mensch schütze die Demo­kratie vor dem Staat. Es ist absolut unde­mo­kra­tisch, dass einzelne Konzerne das Eigentum an fossilen Ressourcen haben und allein darüber entscheiden dürfen, diese zu verbrennen. Ein Staat, der das begüns­tigt hebelt die Demo­kratie aus.

Trotzdem hat der Staat fest­ge­legt, dass jeder Mensch Privat­ei­gentum besitzen darf. Viele Felder und Gebiete, die Ende Gelände blockiert, sind jedoch Privat­ei­gentum. Handelt ihr dann nicht unde­mo­kra­tisch, wenn ihr den Rechts­staat miss­achtet und besetzt?

Die Macht von einzelnen Unter­nehmen nimmt immer mehr zu und die Staaten wehren sich nicht dagegen. Ich denke, es ist unde­mo­kra­tisch, wenn das Eigentum an Produk­ti­ons­mit­teln an einer Stelle ange­häuft und nicht demo­kra­tisch verwaltet wird. Ein Staat, der das nicht zulässt und das begüns­tigt ist anti­de­mo­kra­tisch. Für eine klima­ge­rechte Zukunft brau­chen wir Struk­turen, die einen verant­wor­tungs­vol­leren Umgang mit unserem Planeten begüns­tigen. Aber derzeit hat eher der indus­tri­elle Groß­bauer Erfolg als der mit soli­da­ri­scher Land­wirt­schaft.

Wie weit darf man denn für den Klima­schutz gehen?

Wie weit darf man gegen den Klima­schutz gehen? Was erlauben wir Konzernen welt­weit zu tun, um uns unsere Lebens­grund­lage zu nehmen?

Sina Reisch, Pressesprecherin von Ende Gelände 2019, Foto: Georg Kurz

Sina Reisch, Pressesprecherin von Ende Gelände 2019, Foto: Georg Kurz

Hast du denn eine persön­liche Grenze? Wie weit würdest du gehen?

Ich denke in verschie­denen Situa­tionen auf der Welt würde ich verschie­dene Dinge tun. Wenn eine Person z.B. nicht gerade in Deutsch­land geboren wäre, sondern in Kurdi­stan und der IS vor ihr stünde, wäre es völlig legitim, dass sie zur Waffe greift und sich vertei­digt. Finde ich, hier in Deutsch­land ist das gerade ein ange­brachtes Akti­ons­mittel? Naja, ich würde sagen hier macht Kohle­ta­gebau besetzen mehr Sinn. Das ist sehr situativ zu bewerten.

Warum leis­test du zivilen Unge­horsam? Brau­chen wir diese Radi­ka­lität beim Klima­schutz?

Das sind alles Privi­le­gien, die sich die Gene­ra­tionen vor uns, hart erkämpft haben. Das Mitbe­stim­mungs­recht haben wir nicht einfach so. Ohne Radi­ka­lität kommt man nirgend­wohin. Radi­ka­lität kommt ja von dem latei­ni­schen Wort radix“ (Wurzel) wie Radies­chen. Ich sage immer gerne, ich bin so radikal wie ein Radies­chen, weil ich nach der Ursache der Probleme frage. Wir müssen immer fragen, wo die Ursache ist und dann für syste­mi­sche stru­kut­relle Verän­de­rungen kämpfen. Das ist radikal-sein“ für mich und ohne die, geht Klima­schutz meiner Meinung nach nicht.

Du trittst als eine der wenigen Menschen bei Ende Gelände öffent­lich unter Klar­namen auf. Hast du keine Angst, dass dir das im späteren Berufs­alltag zur Last fallen kann?

Wie gesagt, ich widme dem Kampf für mehr Klima­ge­rech­tig­keit mein Leben. Ich möchte, dass meine kleine Nichte und mein kleiner Neffe in einer lebens­werten Welt aufwachsen und dass kann ich mir ange­sichts der Klima­krise gerade kaum vorstelle. Jeder Beruf, den ich habe, muss damit kompa­tibel sein, dass ich mich für die Zukunft des Planeten einsetze. Damit will ich nicht sagen, dass alle mit Klar­namen spre­chen sollen. Andere möchten lieber mit Pseud­onym spre­chen und haben dafür auch gute Gründe. In manchen poli­ti­schen Berei­chen ist Anony­mität wich­tiger, z.B. in der anti­fa­schis­ti­schen Recher­che­ar­beit. Manche wollen auch aus fami­liären, beruf­li­chen, oder anderen persön­li­chen Gründen ihre Politik nicht mit ihrem echten Namen verbinden. Es ist wichtig, die persön­liche Entschei­dung zu unter­stützen. Mir geht es besser mit dem Klar­namen, weil ich sonst das Gefühl hätte, mich zu verste­cken. Ich will mit allem was ich bin für meine poli­ti­sche Haltung einstehen.

Und zum Abschluss: Was war ein prägendes Ereignis in deiner Zeit als Klima­akt­vistin?

Ich bin mit dem Bewusst­sein aufge­wachsen, dass es die Klima­krise gibt und dass es große Unge­rech­tig­keiten auf der Welt gibt, aber dass ich nichts daran ändern kann. Mir wurde also auch immer diese Alter­na­tiv­lo­sig­keit mitver­mit­telt. Und dann kommst du in eine Bewe­gung, in der Kollek­ti­vität groß­ge­schrieben wird und bei der dir Menschen sagen, nein es ist nicht alter­na­tivlos und wir können was bewegen, wenn wir uns nur gemeinsam orga­ni­sieren. Und das zu erleben fand ich mega krass. Bevor ich 2017 zum ersten Mal bei einer Blockade von Ende Gelände dabei war, wurde mir immer von diesem krassen Gefühl erzählt, dass man hat, wenn man auf den Kohle­bahnen sitzt und ich habe das anfangs noch abgetan und nur gedacht, dass das bestimmt ganz cool wird, aber nichts Groß­ar­tiges an sich hat.Und dann saß ich auf dieser Schiene und dachte, ja, krass wir bewirken gerade wirk­lich etwas. Da vorne steht der Kohle­trans­porter und der kommt nicht vorbei. Wir sind alle mitein­ander hier, wir sind so viele Leute, die daran glauben, die Verän­de­rung dieser Welt noch in eine posi­tive Rich­tung zu lenken.

Dieser Artikel entstand im Rahmen des Projekts ‚#green­jour­na­lism – Klima­schutz und Jour­na­lismus‘, welches geför­dert wurde durch den Jugend-Demo­kra­tie­fonds Berlin.

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