Stell´ dir vor, du entschei­dest dich für eine Abtrei­bung – und dein*e Ärzt*in weiß nicht, wie das geht

Datum
19. Mai 2023
Autor*in
Lisa Schmachtenberger
Redaktion
politikorange
Themen
#JPT23 #Politik
Elisa Habermann

Elisa Habermann

Elisa Habermann setzt sich für eine bessere Lehre über Abtreibungen an Universitäten ein. @jugendpressedeutschland e.V. / Andrea Schon
Schwan­ger­schafts­ab­brüche sind der am häufigsten vorge­nom­mene gynä­ko­lo­gi­sche Eingriff in Deutsch­land – trotzdem wird im Studium kaum darüber aufge­klärt. Medical Students for Choice“ wollen das ändern.

Elisa Habermann

Elisa Habermann setzt sich für eine bessere Lehre über Abtreibungen an Universitäten ein. Foto: Jugendpresse Deutschland e.V. / Andrea Schon

Wenn wir über sexu­elle Selbst­be­stim­mung spre­chen, geht es oft um Consent, verschie­dene Bezie­hungs­mo­delle oder Arten der Verhü­tung. Zu sexu­eller Selbst­be­stim­mung gehört es aber auch, dass Frauen das Recht haben, unter bestimmten Bedin­gungen eine Schwan­ger­schaft früh­zeitig abzu­bre­chen.
Pro Jahr entscheiden sich rund 100.000 Frauen in Deutsch­land, ihre Schwan­ger­schaft früh­zeitig abzu­bre­chen. Schwan­ger­schafts­ab­brüche sind damit der am häufigsten vorge­nom­mene medi­zi­ni­sche Eingriff – werden aber im Medi­zin­stu­dium wenig bis gar nicht behan­delt. Es gibt zwar Lehre an Univer­si­täten, aller­dings beschränkt sie sich nur auf recht­liche, ethi­sche und poli­ti­sche Aspekte des Schwan­ger­schafts­ab­bru­ches. Die medi­zi­ni­sche Seite wird so gut wie gar nicht erwähnt“, erklärt Elisa Haber­mann. Auf den Jugend­Po­li­tik­Tagen leitet sie die Arbeits­gruppe My Body, my Choice – (sexu­elle) Selbst­be­stim­mung geht uns alle an!“, in der die Teilnehmer*innen sich unter anderem mit repro­duk­tiver Gerech­tig­keit, sexua­li­sierter Gewalt und Schwan­ger­schafts­ab­brü­chen beschäf­tigen.

Für mehr Selbst­be­stim­mung

Neben ihrem Medi­zin­stu­dium an der Charité in Berlin enga­giert sich Elisa bei Medical Students for Choice“. Gemeinsamt mit ihren Kommiliton*innen setzt sie sich für verpflich­tende Lehre an Univer­si­täten über Schwan­ger­schafts­ab­brüche und für einen leich­teren Zugang zu Ärzt*innen, die diesen Eingriff durch­führen, ein. Im Gespräch mit der poli­ti­ko­range-Redak­tion erzählt sie: Ich war auf der Suche nach einem femi­nis­ti­schen oder links­po­li­ti­schen Enga­ge­ment und habe mir verschie­dene Gruppen ange­schaut. Für Medical Students for Choice“ habe ich am meisten Leiden­schaft entwi­ckelt.“

Nach ihrem Studium will Elisa selbst als Gynä­ko­login arbeiten – der Einsatz für einen besseren Zugang zu Schwan­ger­schafts­ab­brü­chen ist für sie auch deswegen beson­ders wichtig. Wie man seine Familie planen möchte, wie viele Kinder man will, wann man Kinder will und ob man über­haupt Kinder will – das sind grund­le­gende Fragen, die Frauen und alle Personen mit Uterus betreffen und extrem rele­vant für den Verlauf des Lebens und die Zufrie­den­heit und Selbst­be­stim­mung der Person sind.“

Wohin mit Para­graf 218?

Der erste Schritt, die Abschaf­fung des Werbe­ver­bots für Abtrei­bungen, ist bereits geschafft. Für Elisa und ihre Kommiliton*innen ist der Kampf aber noch nicht vorbei: Sie fordern die Straf­frei­heit von Abtrei­bungen, die ersatz­lose Strei­chung des Para­grafen 218. Das will auch die Bundes­re­gie­rung und hat deswegen eine Kommis­sion einbe­rufen, die sich damit beschäf­tigen soll, wie die Rege­lungen für einen Schwan­ger­schafts­ab­bruch außer­halb des Straf­ge­setz­bu­ches umge­setzt werden können.

Von einer Geset­zes­än­de­rung erhofft sich Elisa Haber­mann viel: Der Para­graf 218 muss abge­schafft werden. Das ist die Grund­lage für die Stig­ma­ti­sie­rung von Schwan­ger­schafts­ab­brü­chen.“ Doch auch, wenn Schwan­ger­schafts­ab­brüche künftig nicht mehr strafbar sind – es gibt viel zu wenig Ärzt*innen, die in ihren Praxen den Eingriff durch­führen. Das liegt einer­seits an der mangelnden Ausbil­dung im Studium, ande­rer­seits ist das Stigma, mit dem die Mediziner*innen konfron­tiert werden, noch immer hoch. So genannte Lebens­schützer“ protes­tieren vor Arzt­praxen und Bera­tungs­stellen und bedrohen Frauen und Ärzt*innen, die sich offen zu Schwan­ger­schafts­ab­brü­chen bekennen. Deswegen sind neben Geset­zes­än­de­rungen auch Verän­de­rungen im gesell­schaft­li­chen Diskurs wichtig, wie Elisa erklärt: Ich habe das Gefühl, dass Formate zum Schwan­ger­schafts­ab­bruch häufig Pro-Contra-Formate sind, bei denen Personen einge­laden sind, die eine sehr starke pro-life-Meinung vertreten – und das ist in unserer Gesell­schaft ein Rand­phä­nomen. Die meisten Menschen sind pro choice und deswegen sollte auch im öffent­li­chen Diskurs ein rich­tiges Meinungs­ab­bild statt­finden. “

Es heißt, die radi­kalste Entschei­dung, die ein Mensch treffen kann, ist, sich für oder gegen ein Kind zu entscheiden. Genau aus diesem Grund braucht es, wenn es um Schwan­ger­schafts­ab­brüche geht, eine ausrei­chende Versor­gungs­lage – durch genug Praxen, die den Eingriff durch­führen und verpflich­tende Lehre an Univer­si­täten. Bis dahin ist es noch ein langer Weg, aber Elisa und ihre Kommiliton*innen werden sich weiter für mehr Selbst­be­stim­mungen einsetzten.


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