Wahlen für Wohnungs- und Obdach­lose: Demo­kratie mit Hinder­nissen

Datum
05. März 2025
Autor*in
Paul Frigger
Redaktion
politikorange
Thema
#BüWGHH25
Wahlbenachrichtigungen erreichen nicht jede*n. 
© Andreas Lischka / Pixabay

Wahlbenachrichtigungen erreichen nicht jede*n. © Andreas Lischka / Pixabay

Für viele selbst­ver­ständ­lich, für andere eine Heraus­for­de­rung: Das Wählen für Wohnungs- und Obdach­lose ist voller Barrieren, die an der Lebens­rea­lität der Straße vorbei­gehen.

Das Recht zu wählen, ist eines der höchsten unserer Demo­kratie. So wird das Nicht-Wählen oft als unde­mo­kra­tisch und falsch verur­teilt. Viele vergessen dabei, dass manchen Menschen das Wählen nicht allzu einfach gemacht wird. So zum Beispiel Wohnungs- und Obdach­losen. Denn Menschen auf der Straße oder ohne eigenen Wohn­sitz müssen Probleme verschie­dener Art über­winden, um über­haupt wählen zu können. Von einer Gleich­heit beim Wählen kann hier nicht die Rede sein. 

Von fehlenden Melde­adressen bis zum Geld für das Ticket 

Die wohl offen­sicht­lichste Hürde ist die der Melde­adresse. Da Wohnungs- und Obdach­lose meist keine einge­tra­gene Adresse haben, müssen die Wahl­un­ter­lagen bereits 21 Tage vor der Wahl bean­tragt werden. Doch zuvor muss die Infor­ma­tion, wie gewählt werden kann, erst einmal Betrof­fene errei­chen. In Hamburg sind die Hürden zum Wählen noch vergleichs­weise niedrig. So werden Antrags­for­mu­lare an Wahl­dienst­stellen, Über­nach­tungs­ein­rich­tungen und Notun­ter­künften verteilt. Betrof­fene können sich noch am Wahltag selbst im Wähler­ver­zeichnis regis­trieren lassen. Im starken Kontrast dazu steht das Wahl­recht von Sachsen, Rhein­land-Pfalz und dem Saar­land. Hier sind Obdach- und Wohnungs­lose noch immer von Wahlen auf Kommu­nal­ebene ausge­schlossen. Dabei sind Wohnungs- und Obdach­lose vor allem von kommu­naler Politik betroffen, da hier über die öffent­liche Unter­brin­gung und die Nutzung des öffent­li­chen Raumes entschieden wird. Grund­recht auf wählen? Fehl­an­zeige. 

Paul Neupert von der Bundes­ar­beits­ge­mein­schaft Wohnungs­lo­sen­hilfe e.V., kurz BAG W, ein Dach­ver­band der verschie­denen Hilfe­sys­teme für Wohnungs- und Obdach­lose, ist Refe­rent für Doku­men­ta­tion und Statistik und damit auch zuständig für den Bereich Wahlen. Er findet, dass die vielen Hürden beson­ders für Obdach­lose ein Problem sind, da die Eigen­in­itia­tive, die von Betrof­fenen beim Wählen erwartet wird, in anderen Lebens­be­rei­chen oft fehlt. Briefe werden nicht geöffnet, Mahnungen igno­riert und Ämter gemieden. Das sei für manche Menschen machbar, aber es gebe Menschen, die das nicht einfach so können. Und diese Gruppe trifft jetzt auf ein Verfahren, wo man ihnen sagt ja, da gehst du da und da hin, dann fragst du dich durch, dann musst du einen Antrag stellen.‘ Da glaube ich, dass da einige Leute einfach sagen nee, dann gehe ich nicht wählen’ „. 

Zu den büro­kra­ti­schen Hürden kommen aber auch solche, die für den Groß­teil der Gesell­schaft oft nicht in Betracht gezogen werden. So ist eine Antrags­stel­lung nicht ein einfa­cher Gang zur Post, sondern beinhaltet Schritte, die das tägliche Leben von obdach- und wohnungs­losen Menschen erschweren. Habe ich ein aufge­la­denes Handy und Internet, um mir Infor­ma­tionen zur Wahl zu suchen? Habe ich genug Geld, um mir ein Busti­cket zum Wahl­lokal zu kaufen, wenn ich noch etwas essen muss? Kann ich meine Sachen vor dem Wahl­lokal stehen lassen, ohne dass sie geklaut werden? Und irgendwo dazwi­schen geht der Kampf ums tägliche Über­leben weiter. 

Poli­ti­sches Desin­ter­esse, aber von wem? 

Dabei habe Neupert in Gesprä­chen immer wieder gemerkt, dass auch Wohnungs- und Obdach­lose teil­weise stark poli­ti­siert seien und auch ihr Wahl­recht wahr­nehmen wollen. Es gebe aber auch Leute, die resi­gnieren, da sie keine Verbes­se­rung ihrer Situa­tion sehen und sich von der Gesell­schaft allein gelassen fühlen. Dirk Borstel von der Fach­hoch­schule Dort­mund sieht das genauso. Borstel forscht zu der poli­ti­schen Teil­habe von Obdach­losen und sagt, dass seiner Erfah­rung nach die poli­ti­schen Meinungen genauso bunt seien wie in jedem Sport­verein oder größeren Betrieb. Wohnungs- und Obdach­lo­sig­keit tauche dabei in Wahl­kämpfen als Thema eher selten auf. Parteien spre­chen die Wähler­gruppen an, die für sie wich­tiger erscheinen. Für Wahl­er­folge spielen sie keine Rolle, deswegen kümmert sich im Endef­fekt kaum jemand ernst­haft um sie“, so Borstel. 

Probleme verstehen um sie zu lösen 

Laut Borstel und Neupert sei die beste Lösung des Problems, Wohnungs- und Obdach­lo­sig­keit gänz­lich abzu­schaffen. Ob das aber realis­tisch ist, bleibt eine andere Frage. Ein großes Problem für Forscher*innen und Verbände bleiben zurzeit fehlende Daten. Bis heute ist unklar, wie viele Obdach- und Wohnungs­lose eigent­lich wählen gehen. Bis vor kurzem gab es nicht einmal klare Zahlen darüber, wie viele Obdach- und Wohnungs­lose in Deutsch­land leben. Dabei sind Daten ein wich­tiges Mittel, um Druck auf die Politik auszu­üben, und das Wählen einfa­cher zu gestalten. 

Durch die exis­tie­renden Hürden wirkt das Wählen wie eine Neben­sache, die zu dem ohnehin schon harten Alltag von obdach- und wohnungs­losen Menschen hinzu­kommt. Dabei sollte es doch jeder*m, so einfach wie möglich gemacht werden, an unserer Demo­kratie teil­zu­nehmen. So scheint es, als ob die Gesell­schaft nicht nur Obdach- und Wohnungs­lose igno­riert, sondern auch auf ihre Stimme verzichtet. 


Empfohlene Beiträge

Werde Teil unserer Community

Entdecke spannende Geschichten, vernetze dich mit anderen jungen Journalist:innen und gestalte die Medienlandschaft von morgen mit. Melde dich jetzt an und bleibe immer auf dem neuesten Stand.

Wehrpflicht Redaktion Gruppenbild