Vom Bürger­meister zum Bundes­kanzler? Wie Olaf Scholz Hamburg hinter­ließ

Datum
22. September 2021
Autor*in
Annika Dallmer-Zerbe
Redaktion
politikorange
Themen
#BTW21 #Politik
Vorschauf_OlafScholz_SPD

Vorschauf_OlafScholz_SPD

Während Olaf Scholz lange nicht als ernst­hafte Option gehand­habt wurde, rückt eine Kanz­ler­schaft aktuell in greif­bare Nähe. Doch für welche Politik steht er? Annika Dallmer-Zerbe resü­miert seine Zeit in Hamburg.

Aufmacher_Wahlplakat_Christopher Folz

Foto: Jugendpresse Deutschland / Christopher Folz

Olaf Scholz, 63 Jahre alt, in Hamburg geboren, Fach­an­walt für Arbeits­recht, verhei­ratet und kinderlos, blickt inzwi­schen auf eine längere poli­ti­sche Karriere zurück. Bereits während seiner Schul­zeit, 1975, trat er der SPD bei und begann sich bei den Jusos zu enga­gieren. Damals dem linken Flügel der SPD zuzu­ordnen, vertrat er marxis­ti­sche Ansätze und war sechs Jahre lang stell­ver­tre­tender Bundes­vor­sit­zender. Seine poli­ti­sche Rich­tung hat sich über die Zeit etwas verän­dert.

In Hamburg beklei­dete Olaf Scholz verschie­dene poli­ti­sche Ämter: 2001 war er kurze Zeit Innen­se­nator und nach verschie­denen bundes­po­li­ti­schen Ämtern von 2011 bis 2018 Erster Bürger­meister. Darüber hinaus hatte er den Vorsitz der SPD in Hamburg von April 2000 bis Juni 2004 sowie von November 2009 bis März 2018 inne.

Cum-Ex, G20 und Miss­brauch von Brech­mit­teln

Wer poli­ti­sche Spit­zen­po­si­tionen bekleidet, wird oft auch mit den Skan­dalen der Amts­zeit in Verbin­dung gebracht. So ist es auch bei Olaf Scholz. Zuerst zu nennen ist der Cum-Ex-Steu­er­skandal, der als der wohl größte Steu­er­skandal der deut­schen Geschichte gehand­habt wird: Nach mutmaß­li­chen Cum-Ex-Geschäften der Warburg Bank erließ die Hamburger Finanz­ver­wal­tung 47 Millionen Euro an zu zahlenden Steu­er­rück­zah­lungen und ließ beinahe weitere 43 Millionen Euro verjähren – hätte das Bundes­fi­nanz­mi­nis­te­rium nicht einge­griffen und die Hamburger Finanz­ver­wal­tung daran gehin­dert. Nach Berichten der ZEIT und Panorama hatte Scholz sich damals in seiner Posi­tion als Bürger­meister mit Chris­tian Olea­rius, dem Chef der Warburg-Bank getroffen. An die genauen Inhalte der Gespräche könne Scholz sich nicht mehr erin­nern, jegliche poli­ti­sche Einfluss­nahme wird von der SPD abge­stritten. Auch der aktu­elle erste Bürger­meister Hamburgs, Peter Tsch­ent­scher, ist Teil der Unter­su­chung des zustän­digen Parla­men­ta­ri­schen Unter­su­chungs­aus­schusses der Bürger­schaft; damals war er immerhin der zustän­dige Finanz­se­nator. Aufge­klärt scheint dieser Skandal noch lange nicht. Und auch die Verwick­lung von Scholz in den Wire­card-Skandal in seiner Posi­tion als Bundes­fi­nanz­mi­nister lässt aufmerk­same Bürger*innen aufhor­chen.

Zusätz­lich machte Scholz sich in seiner Rolle als Erster Bürger­meister mit der Austra­gung des G20 Gipfels in Hamburg in 2017 nicht beliebt. Das Verspre­chen, für einen gere­gelten und sicheren Ablauf des Gipfels zu sorgen, konnte nicht gehalten werden. Über 20.000 Einsatz­kräfte der Polizei waren aus ganz Deutsch­land zur Unter­stüt­zung gekommen. Doch auch sie konnten nicht die schwere Randale und Verwüs­tungen verhin­dern. Ange­zün­dete Autos, einge­schla­gene Scheiben und geplün­derte Läden waren das Ergebnis. Nach den G20-Krawallen wurden geschätzt bis zu zwölf Millionen Euro Schaden von den deut­schen Versicherer*innen begli­chen.

Eine länger in der Vergan­gen­heit liegende Affäre war der Einsatz von Brech­mit­teln bei Drogendealer*innen, den Scholz 2001 auto­ri­sierte. Hatten Drogendealer*innen selbst Drogen verschluckt, wurde ihnen zur Beweis­si­che­rung Brech­mittel verab­reicht. Viele Ärzt*innen verwei­gerten die Anwen­dung dieser Methode und der Euro­päi­sche Gerichtshof für Menschen­rechte verur­teilte im Jahr 2006 den Einsatz von Brech­mit­teln in Deutsch­land als menschen­rechts­widrig. Scholz hielt 2001 nach einem Todes­fall eines jungen Mannes, bei dem die Brech­mittel-Methode ange­wandt wurde, weiter an dieser fest.

Nächstes Ziel: Bundes­kanzler

Doch diese Vergan­gen­heit schadet Olaf Scholz scheinbar nicht beson­ders: In Umfragen steht er besser da als seine Mitkan­di­die­renden. Im ARD-Deutsch­land­TREND September 2021 würde fast die Hälfte der Befragten, 43%, Olaf Scholz als Bundes­kanzler wählen, wäre die Bundeskanzler*innenwahl eine direkte Wahl. Anna­lena Baer­bock (12%) und Armin Laschet (16%) müssen sich dort geschlagen geben. Doch was macht Scholz, den Über­ra­schungs­kan­di­daten, und die SPD so attraktiv?

Scholz und seine SPD in Hamburg bleiben beliebt

Ein Blick auf die regio­nalen Wahl­er­geb­nisse der letzten Bürger­schafts­wahl 2020 in Hamburg zeigt, dass die SPD zwar ein paar Sitze einbüßen musste, während Bündnis 90/​Die Grünen Sitze gewinnen konnten. Doch bereits vor der Wahl galt es als eine sichere Sache, dass die Koali­tion am Ende wieder rot-grün heißen würde – dieses Mal sogar mit einer Zwei­drittel Mehr­heit. Den Hamburger*innen stand der Sinn nicht nach Abwechs­lung, 67% waren im Februar 2020 zufrieden oder sehr zufrieden mit der Arbeit des Senats in Hamburg. Laut Infra­test dimap für die ARD punkten die Sozi­al­de­mo­kraten dabei mit weitem Abstand bei Wähler*innen mit mitt­lerem (Mitt­lere Reife/​Realschulabschluss) und nied­rigem formalen Bildungs­grad (Haupt-/Volks­schul­ab­schluss oder ohne Abschluss), bei wirt­schaft­lich eher zufrie­de­neren Hamburger*innen und bei Rentner*innen sogar mit abso­luter Mehr­heit. Auch einige Hamburger Genoss*innen äußern sich auf der Wahl­party 2020 positiv zu Olaf Scholz. Ihm wird von einem Teil der Partei ein großer Teil des Wahl­er­folgs in Hamburg zuge­schrieben, wird er doch norma­ler­weise kritisch von seiner eigenen Partei gesehen.

Das mag auch an seinen lokalen Erfolgen liegen: Ein konkretes Positiv-Projekt von Olaf Scholz ist beispiels­weise die Jugend­be­rufs­agentur in Hamburg-Harburg. 2012 gegründet ermög­licht die Jugend­be­rufs­agentur jungen Menschen bis 25 Jahren Unter­stüt­zung und Förde­rung beim Einstieg in das Arbeits- und Berufs­leben. So konnte die Zahl der jungen Menschen ohne Ausbil­dungs­platz von bis zu 2.000 auf ca. 10 pro Jahr redu­ziert werden. Ein weiterer Erfolg von Olaf Scholz ist das Thema Wohnungsbau. Immerhin steigen die Mieten lang­samer als in anderen Teilen Deutsch­lands, Hamburg hat keine städ­ti­schen Wohnungen verkauft und seit 2011 106.000 Wohn­ein­heiten geneh­migt, von denen mehr als 25.000 öffent­lich geför­dert sind. Darüber hinaus wurde 2011 der Drit­telmix“ beschlossen, wonach bei größeren Wohnungs­bau­pro­jekten ab 30 Wohn­ein­heiten jeweils gleich­mäßig viele geför­derte, frei finan­zierte, sowie Eigen­tums­woh­nungen gebaut werden müssen. Scholz trug eben­falls dazu bei, dass in Hamburg jedes Jahr 10.000 weitere Wohnungen gebaut werden. Tatsäch­lich spielte bei 20% der SPD-Wähler*innen das Thema Wohnen die größte Rolle für die Wahl­ent­schei­dung.

Insge­samt verfügt Olaf Scholz über eine lange Partei­ge­schichte und Regie­rungs­er­fah­rung mit einigen guten regio­nalen Ergeb­nissen. Die durch­lebten Skan­dale haben der SPD in Hamburg keine großen Einbußen beschert. Darüber hinaus steht Scholz für seine ruhige, unauf­ge­regte Art, die viele Bürger*Innen mit Stabi­lität verbinden – eine mögliche Paral­lele zu der Person und Politik von Angela Merkel. Ob die deut­sche Bevöl­ke­rung sich mit den Hamburger*innen verglei­chen lässt? Die aktu­ellen Umfra­ge­werte zumin­dest bestärken Scholz und lassen den Traum vom Kanz­leramt in greif­bare Nähe rücken. Sicher ist: Es wird eine sehr span­nende Wahl und anschlie­ßende Koali­ti­ons­bil­dung werden.


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