Menschen und ihre Wahr­heiten

Datum
09. März 2021
Autor*in
Tobias Pilz
Redaktion
politikorange
Themen
#nofake 2021 #Medien

Wahr­heit und Verschwö­rungs­glaube – was dahin­ter­steckt und wieso Menschen dafür empfäng­lich sind. poli­ti­ko­range-Autor Tobias Pilz über Wahr­heit und das Problem des Ideals der Allwis­sen­heit.

Nazi-Diktatur!“, Lügen­presse“, Denken statt folgen!“. Es sind Aussagen wie diese, die auf der ersten großen Demons­tra­tion gegen die Corona-Maßnahmen Anfang August in Berlin gefallen sind. Dabei spielten auch immer die Begriffe Wahr­heit“ und Wissen“ eine Rolle. Beson­ders in Zeiten der Corona-Pandemie sollte man deswegen die Begriffe Wahr­heit und Wissen etwas genauer anschauen und klären – denn teil­weise wird Meinung statt Wissen zum Wahren“ auser­koren und einige Menschen halten Verschwö­rungs­my­then für wahr. Doch was ist Wahr­heit über­haupt und was unter­scheidet Wissen­schaft von der eigenen Meinung?

Der Philo­soph Niko­laos Psarros erklärt im Inter­view mit poli­ti­ko­range, Wahr­heit sei kein genau defi­nier­barer Begriff. Deswegen könne er nur eine allge­meine Defi­ni­tion geben. Wahr­heit als die Über­ein­stim­mung unserer aller Bilder der Welt.“ Damit sei der grund­le­gende Konsens aller die Wahr­heit. Wenn die Mehr­heit der Wissenschaftler*innen sich einig ist, dass es das Coro­na­virus gibt, dann gilt das als wahr. Weiter ist Psarros der Ansicht, dass Mensch-Sein und die Suche nach Wahr­heit zusam­men­ge­hören. Eine weitere Perspek­tive bringt der Sozi­al­wis­sen­schaftler Alex Demi­rović ein: Wahr­heit ist ein kollek­tiver Prozess“. Es gehe darum gemein­same Über­zeu­gungen zu entwi­ckeln und gege­be­nen­falls anzu­passen. Wahr­heit hänge demnach von allen Menschen gemeinsam ab und sei nicht fest bestimmt.

Wo Wissen und Wahr­heit beginnen

Seit der Antike versu­chen Philosoph*innen nicht nur die Wahr­heit zu defi­nieren, sondern sich auch dem Begriff Wissen“ anzu­nä­hern. Platon defi­nierte Wissen als wahre, gerecht­fer­tigte Meinung“. Psarros erklärt hier: In der Antike unter­schied man zwischen lokalem (Doxa-Wissen) und wissen­schaft­li­chem Wissen (Epis­teme-Wissen). Das lokale Wissen ist auf Bedin­gungen einge­schränkt – wie zum Beispiel den Ort.“ Es sei also das Wissen, dass wir Menschen als Einzel­per­sonen haben. Wissen­schaft­li­ches Wissen ist Wissen befreit von lokalen Bedin­gungen und muss immer das Eigent­liche beschreiben“, so Psarros. Eine Allge­mein­gül­tig­keit müsse herr­schen. Um Wissen von lokalen Bedin­gungen zu befreien, gibt es wissen­schaft­liche Methoden. Psarros erklärt dazu, dass jede Wissen­schaft eine Darstel­lungs­weise an sich sei. Diese produ­ziere Thesen und Aussagen nach wissen­schafts­spe­zi­fi­schen Methoden und Regeln. Die Bedin­gung ist, dass die Aussagen der Wissen­schaft von jedem mithilfe dieser Methoden erlernbar und über­prüfbar seien.

Dagegen entsteht Meinung, wenn Menschen aus ihrem lokalen Wissen, wissen­schaft­li­ches Wissen bean­spru­chen. Wahr muss diese dann jedoch nicht sein. Psarros nennt als Beispiel die gelbe Post in Deutsch­land. Das ist lokales Wissen und wahr. Aber nur, weil in Deutsch­land die Post gelb ist, heißt es noch lange nicht, dass die Post in der ganzen Welt gelb ist.“ Als Beispiel aus dem Alltag mit Corona nennt Psarros folgendes: Wenn es kühl ist, kann man leicht einen grip­palen Infekt einfangen.“ Das sei lokales Wissen. Wissen­schaft­li­ches Wissen wäre aber: Die Erkran­kung erfolgt, weil viele Viren bei nied­ri­geren Tempe­ra­turen länger infek­tiös bleiben.“

Der Mensch und das Recht­haben

Trotz wissen­schaft­li­cher Fakten beharren Verschwörungserzähler*innen auf ihrer Meinung und meinen, Recht zu haben. Warum Menschen bei Diskus­sionen im Recht stehen wollen und ungern ihr Unrecht zugeben und was Menschen für Verschwö­rungs­er­zäh­lungen empfäng­lich macht, hat der Psycho­loge Tobias Holtz erklärt: Wenn man Recht bekommt, erfährt sowohl das eigene Denk­ver­mögen als auch der indi­vi­du­elle Lebens­ent­wurf Bestä­ti­gung. Diese Art der Genug­tuung stärkt das eigene Selbst­wert­ge­fühl, was jeder Mensch anstrebt. Wenn man nicht Recht hat, ist das ein Angriff auf das Selbst­wert­ge­fühl, weswegen viele Menschen auf Kritik negativ reagieren und belei­digt sind.“ Unser Gehirn strebe nach einem soge­nannten Kohä­renz­ge­fühl. Dies kann als Gefühl beschrieben werden, dass alles zusam­men­passt und harmo­niert. Das heißt: Wenn ich irgend­etwas sehe oder erfahre, dann versuche ich es mir zu erklären.“

Weiter erklärt Holtz, dass Verschwörungsideolog*innen das Gefühl besitzen, etwas erkannt zu haben, indem sie das gleich­zei­tige Auftreten zwei unge­wöhn­li­cher Ereig­nisse in Zusam­men­hang bringen“. Psycholog*innen spre­chen hier von Illu­so­ri­scher Korre­la­tion, die wiederum das Kohä­renz­ge­fühl des Gehirns stimu­liere. Ein neues gefähr­li­ches Virus wird entdeckt, während das 5G Netz ausge­baut wird. Daraus resul­tiert dann die falsche Schluss­fol­ge­rung: 5G verur­sacht Corona!“ Holtz und der Sozi­al­wis­sen­schaftler Demi­rović sind sich einig: Verschwörungserzähler*innen denken, sie hätten etwas Wich­tiges erkannt. Diese Erkenntnis teilen sie und verbreiten das Verschwö­rungs­denken durch die Nutzung neuer, digi­taler Platt­formen.

Eine weitere wich­tige Rolle bei der Wahr­neh­mung von Wahr­heit und Recht­haben spielen auch die soge­nannten Verfüg­bar­keits­prin­zi­pien. Dabei geht es darum, wie Menschen Infor­ma­tionen besorgen und aufnehmen. Holtz sagt dazu: Wird etwas oft gelesen, gehen wir davon aus, dass dies häufig vorkommt. Wenn in der Presse häufig über Kriege berichtet wird, könnte man meinen, wir leben in einer krie­ge­ri­schen Welt.“ Dieser Umstand gepaart mit Algo­rithmen im Internet lasse Menschen unter anderem Verschwö­rungs­my­then für wahr halten. Algo­rithmen sind darauf ausge­legt, die Infor­ma­tionen zu zeigen, die ich ohnehin als wahr annehme.“ Mit Blick auf den Messenger-Dienst Tele­gram scheint es dem Psycho­logen zum Beispiel danach, dass so oft Meldungen geteilt werden, bis die Menschen denken, dass es stimmt.“ Tobias Holtz spricht von einem Kreis­lauf: Man hat eine Meinung und infor­miert sich mit meinungs­be­stä­ti­genden Quellen, die wiederum die eigene Meinung stärken.“

Weitere Faktoren, die Menschen für Verschwö­rungs­er­zäh­lungen empfäng­lich machen, sind die Grup­pen­zu­ge­hö­rig­keit, sozi­al­psy­cho­lo­gi­sche Phäno­mene und eine Verschwö­rungs­men­ta­lität – also das Mindset, das etwas nicht stimmen kann und man Dinge sucht, die die eigene Welt­an­schauung beweisen. Ganz nach dem Sprich­wort: Wer sucht, der findet“. Wichtig hierbei ist die Kritik­re­sis­tenz der Verschwörungsideolog*innen. Der Sozi­al­wis­sen­schaftler Demi­rović sagt dazu: Der Glaube, Recht zu haben, einen tiefen Einblick in Zusam­men­hänge zu haben, der dann gar nicht mehr wirk­lich erklärt werden kann, lässt sowas wie ein verbit­tertes Fest­halten an dieser These oder dieser Einsicht zu.“ Weiter meint er, dass Verschwörungsideolog*innen ganz schnell eine Antwort zu haben glauben und wie ein Kurz­schluss verschie­dene Dinge zusam­men­führen.

Das Ideal der Allwis­sen­heit

Letzt­end­lich könne man nicht alles wissen, so Psarros. Das Problem seien die Personen, die trotzdem versu­chen, für alles einfache Erklä­rungen zu finden, indem sie Mythen Glauben schenken. Man sollte sich nicht schämen, dass man nicht alles weiß oder wissen kann. Höchs­tens muss man sich schämen, dass man es nicht zugibt. Man klickt nicht dreimal auf irgend­welche Inter­net­seiten, sondern Wahr­heits­fin­dung ist in der Regel ein sehr kompli­zierter Prozess.“

Für Demi­rović ist Wahr­heit eine Vertrau­ens­sache. So müsse man zum Beispiel der Tages­schau vertrauen, dass diese im Prozess des Erstel­lens der Beiträge durch viel Recherche und Über­prüfen von Quellen, die Wahr­heit erzählt. Für die jour­na­lis­ti­sche Arbeit gibt es ethi­sche Stan­dards, die durch den Deut­schen Pres­serat und die Landes­me­di­en­an­stalten über­prüft werden. So steht in der ersten Ziffer des Pres­se­kodex: Die Achtung vor der Wahr­heit, die Wahrung der Menschen­würde und die wahr­haf­tige Unter­rich­tung der Öffent­lich­keit sind oberste Gebote der Presse.“


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