Hanau vergeht nicht

Datum
08. März 2021
Autor*in
Pia Schirrmeister
Redaktion
politikorange
Themen
#nofake 2021 #Leben

Verschwö­rungs­denken, Rassismus und Frau­en­hass wirkten als Tatmo­tive des Anschlags in Hanau zusammen. Sie sind auch Ausdruck gesell­schaft­li­cher Verhält­nisse. Ein Text von Pia Schirr­meister.

Anläss­lich des ersten Jahres­tags des rechts­ter­ro­ris­ti­schen Anschlags von Hanau gingen am 19. Februar 2021 vieler­orts Menschen auf die Straße. Sie schlossen sich der Forde­rung Erin­ne­rung – Gerech­tig­keit – Aufklären – Konse­quenzen“ der Initia­tive 19. Februar Hanau an und gedachten den aus rassis­ti­schen Motiven ermor­deten Menschen: Mercedes Kier­pacz, Ferhat Unvar, Gökhan Gültekin, Hamza Kurtović, Said Nesar Hashemi, Sedat Gürbüz, Kaloyan Velkov, Fatih Sara­çoğlu und Vili Viorel Păun.

In einem State­ment zum Jahrestag betonen die in der Initia­tive orga­ni­sierten Ange­hö­rigen und Über­le­benden erneut, dass es sich bei dem Anschlag nicht um einen histo­ri­schen Einzel­fall handelte. Viel­mehr schließe er an eine Reihe rechter Gewalt­taten in Deutsch­land an, die durch gesell­schaft­liche Struk­turen gestützt werden – so etwa an die Anschläge von Duis­burg 1984, Mölln 1992, Wäch­ters­bach 2019 und Halle 2019. Wie die Wissen­schaft­lerin Megan Kelly vom Insti­tute for Rese­arch on Male Supre­macism darlegt, spitzten sich beim Anschlag von Hanau rassis­ti­sche und sexis­ti­sche Gesell­schafts­ver­hält­nisse zu und wirkten mit Verschwö­rungs­ideo­lo­gien zusammen.

Ideo­lo­gi­sche Verstri­ckungen

Gemeinsam mit zwei Kolle­ginnen unter­suchte Megan Kelly die medialen Reak­tionen auf den Anschlag sowie das Mani­fest des Täters, welches er vor der Tat auf seiner Inter­net­seite veröf­fent­licht hatte. In dem 24-seitigen Schreiben verbreite er sowohl rassis­ti­sche und frau­en­feind­liche Äuße­rungen als auch Verschwö­rungs­er­zäh­lungen, halten die drei Wissen­schaft­le­rinnen in ihrem Artikel auf belltower.news fest. Diese Verknüp­fung lasse sich in der extremen Rechten häufig beob­achten.

Verschwö­rungs­er­zäh­lungen, die auf anti­se­mi­ti­schen Welt­bil­dern beruhen, wirkten hier als Binde­glied zwischen rassis­ti­schen und frau­en­feind­li­chen Ideo­lo­gien. Megan Kelly erklärt: Bestimmte Perso­nen­gruppen werden als hinter­hältig und mani­pu­lativ beschrieben, als Super­mächte, die die Welt kontrol­lieren und gleich­zeitig als minder­wertig darge­stellt“. Menschen wie der Täter von Hanau, die diesen Erzäh­lungen anhängen, insze­nierten sich als geheime Wissende“, aber auch als Opfer vermeint­li­cher Verschwö­rungen.

Dennoch warnt Megan Kelly davor, jene Welt­bilder nur auf den rechten Rand“ der Gesell­schaft zu proji­zieren oder als Spin­ne­reien abzutun. Menschen sind immer gesell­schaft­lich geprägt und es gibt keine Indi­vi­duen, die nur aus sich selbst heraus handeln. Wir leben in rassis­ti­schen und sexis­ti­schen Struk­turen, die ebenso von Menschen aufrecht­erhalten werden, welche nicht als extre­mis­tisch gelten“, erläu­tert sie. Eine mediale Erzäh­lung von soge­nannten Einzeltäter*innen im Kontext rechts­ter­ro­ris­ti­scher Anschläge müsse daher vehe­ment in Frage gestellt werden, nimmt sie doch nur indi­vi­du­elles Handeln anstelle gesell­schaft­li­cher Verhält­nisse in den Blick.

Macht der Darstel­lung

Wenn der Täter ein weißer Mann ist, wird oft sofort eine psychi­sche Erkran­kung als Haupt­ur­sache für die Gewalttat herbei­ge­zogen“, legt Megan Kelly da. In jener Bericht­erstat­tung fänden rechts­extreme Motive, wenn über­haupt, erst an zweiter Stelle Erwäh­nung. So widmete sich beispiels­weise die FAZ einer post­humen psycho­lo­gi­schen Diagnose des Täters von Hanau ohne dessen rassis­ti­sche und frau­en­feind­liche Haltungen in den Blick zu nehmen.

Laut der Wissen­schaft­lerin birgt dies neben proble­ma­ti­schen Schluss­fol­ge­rungen von psychi­scher Gesund­heit auf poten­zi­elle Gewalt­be­reit­schaft zudem die Gefahr, menschen­ver­ach­tende Haltungen als psychi­sche Krank­heiten zu werten. Weiterhin könne eine solche Bericht­erstat­tung die Selbst­dar­stel­lung der Täter*innen als Opfer vermeint­li­cher Verschwö­rungen stützen und damit die Perspek­tiven der tatsäch­lich Betrof­fenen in den Hinter­grund stellen.

Kein Vergessen, kein Vergeben

Die Initia­tive 19. Februar leistet seit mehr als einem Jahr Aufklä­rungs- und Recher­che­ar­beit im Kontext des Anschlags, klagt behörd­li­ches Versagen an und orga­ni­siert Gedenk­ver­an­stal­tungen. In einem Aufruf der Initia­tive heißt es: Wir haben uns ein Verspre­chen gegeben: Nie zu vergessen und nie zu vergeben. Solange nicht lückenlos aufge­klärt wird, solange nicht endlich Konse­quenzen gezogen werden und es Gerech­tig­keit gibt, solange werden wir nicht aufhören zu kämpfen“. Nur ein entschie­denes Vorgehen gegen alltäg­li­chen Rassismus und Anti­se­mi­tismus könne weitere rechts­ter­ro­ris­ti­sche Anschläge verhin­dern. Hierbei unter­stütze neben der Teil­nahme an Kund­ge­bungen und Demons­tra­tionen unter anderem auch das Unter­zeichnen einer Peti­tion für das Einrichten eines Opfer­hilfs­fonds, sowie Spenden zur Finan­zie­rung eines Raums in Hanau.


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