Der uralte Hass brodelt wieder

Datum
08. März 2021
Autor*in
Anna Rumpf
Redaktion
politikorange
Themen
#nofake 2021 #Leben

Die Querdenken“-Bewegung hat uralte, anti­se­mi­ti­sche Verschwö­rungs­my­then wieder salon­fähig gemacht. Poli­ti­ko­range-Redak­teurin Anna Rumpf hat mit Jüd*innen darüber gespro­chen. Sie sind besorgt, aber nicht über­rascht.

Bundes­prä­si­dent Frank-Walter Stein­meier verkün­dete am 21. Februar 2021 feier­lich den Beginn des Fest­jahres 1700 Jahre jüdi­sches Leben in Deutsch­land“. Die Auftakt­ver­an­stal­tung war der Anfang einer Reihe von geplanten Festen und Veran­stal­tungen, die sich rund um die jüdi­sche Gemein­schaft in Deutsch­land drehen sollen. Die Präsi­dentin der Jüdi­schen Studie­renden Union Deutsch­land (JSUD) Anna Staro­selski nimmt das zum Anlass, die Karten auf den Tisch zu legen: Es darf keine weiteren 1700 Jahre dauern, bis jüdi­sche Menschen sich sicher fühlen, in Frei­heit ihre jüdi­sche Iden­tität auszu­leben.“ Sie betont, dass Anti­se­mi­tismus kein Problem der Vergan­gen­heit sei. Im Gegen­teil: Seit einigen Jahren beob­achten Jüd*innen besorgt eine Radi­ka­li­sie­rung anti­se­mi­ti­scher Vorfälle in Deutsch­land. Gleich­zeitig entfernt sich der Traum von Frei­heit immer weiter.

Staro­selski wuchs in einer gläu­bigen jüdi­schen Familie in Stutt­gart auf. Sie enga­gierte sich bereits im Alter von 14 Jahren poli­tisch. Heute lebt sie in Berlin und ist seit 2018 in der JSUD aktiv. Dort setzt sie sich unter anderem für ein posi­tives Narrativ des jüdi­schen Lebens und Empower­ment von Frauen ein. Obwohl die junge Jüdin mit ihren blonden Haaren und blauen Augen kein klas­si­sches Ziel anti­se­mi­ti­scher Angriffe ist, erzählt sie: Wenn man sich als jüdisch zu erkennen gibt, muss man mit Gegen­wind rechnen.“ Dieser Gegen­wind bläst meist online in Form von Hass­nach­richten und obskuren Vorwürfen.

Juna Gross­mann beschreibt ähnliche Erfah­rungen. Die Berli­nerin ist Mitte 40, seit drei Jahren bloggt sie über ihr Leben als Jüdin. Dabei fokus­siert sie sich auf ihre alltäg­li­chen Erleb­nisse und persön­li­chen Gedanken. Sie ist so häufig Hass­nach­richten ausge­setzt, dass diese ihr fast schon normal“ erscheinen. Wie Staro­selski nimmt auch sie die Radi­ka­li­sie­rung der letzten Jahre als besorg­nis­er­re­gend wahr. Der Auslöser der verschärften Situa­tion ist für sie ohne jeden Zweifel die AfD. Die Partei würde den Hass grund­sätz­lich immer mehr salon­fähig machen“, so Gross­mann. Leute sagen mitt­ler­weile Dinge, die man nicht mal denken sollte.“ Im letzten Jahr verschärfte die Pandemie diese Entwick­lung. Philipp Hecht, Ansprech­partner des Projekts Rote Karte gegen Diskri­mi­nie­rung, Rassismus und Anti­se­mi­tismus“ des Vereins Kölni­sche Gesell­schaft für Christ­lich-Jüdi­sche Zusam­men­ar­beit, beschreibt die Wirkung der Pandemie als Brand­be­schleu­niger für Anti­se­mi­tismus“.

Wo kommt der Hass auf einmal wieder her?

Anti­se­mi­tismus ist jedoch bei weitem nichts Neues. Bereits im Mittel­alter hat man jüdi­sche Menschen für die Pest verant­wort­lich gemacht und ihnen unter­stellt, sie hätten sich gegen den Rest der Bevöl­ke­rung verschworen. Lisa Geffken, Mitar­bei­terin der Amadeu Antonio Stif­tung, beschäf­tigt sich mit Verschwö­rungs­ideo­lo­gien und erklärt den Zusam­men­hang zwischen Anti­se­mi­tismus und Verschwö­rungs­er­zäh­lungen: Die Vorstel­lung einer jüdi­schen Welt­ver­schwö­rung ist die Basis­ver­schwö­rung, die die aller­meisten Verschwö­rungs­er­zäh­lungen auch heute noch prägt.“ Ob Mythen um den jüdi­schen Milli­ardär George Soros oder Q‑Anon: Die Begriffe hätten sich geän­dert, die Muster seien seit Jahr­hun­derten dieselben.

Laut Geffken seien Menschen gerade in Krisen­zeiten anfäl­liger für einfache Erklä­rungs­muster. Die soge­nannte Quer­denken Bewe­gung – ein Zusam­men­schluss von frus­trierten Bürger*innen, Impfgegner*innen, Verschwörungsideolog*innen und Personen aus dem rechts­ra­di­kalen Spek­trum – bietet den Menschen seit Beginn des Jahres 2020 genau diese simplen Erklä­rungen häufig in Form anti­se­mi­tisch geprägter Narra­tive rund um die Corona-Pandemie. Sigmount Königs­berg, der Anti­se­mi­tis­mus­be­auf­tragte der Jüdi­schen Gemeinde zu Berlin, erklärt: Zuvor unauf­fäl­lige Menschen könnten sich durch gegen­sei­tige Bestä­ti­gung schnell radi­ka­li­sieren und greifen immer mehr anti­se­mi­ti­sche Bilder auf.“ 

Es ist jedoch auch wichtig, zu diffe­ren­zieren. Nicht alle, die an einer Quer­denken-Demo teil­nehmen, sind über­zeugte Antisemit*innen. Das Problem sei jedoch, so Geffken, dass man anti­se­mi­ti­sche Stereo­type auch unbe­wusst repro­du­ziere. Entschei­dend sei das objek­tive Vorhan­den­sein anti­se­mi­ti­scher Einstel­lungen“, erläu­tert sie. Das bedeutet: Egal ob unver­blümt oder unter­be­wusst, wenn man Verschwö­rungs­er­zäh­lungen verbreitet, verbreitet man gleich­zeitig anti­se­mi­ti­sche Denk­muster. 

Jüd*innen zeigen sich besorgt gegen­über Quer­denken“

Spätes­tens seit den großen Demons­tra­tionen im August 2020 hat Quer­denken“ die gesell­schaft­liche und poli­ti­sche Aufmerk­sam­keit auf sich gezogen. JSUD-Präsi­dentin Staro­selski und Blog­gerin Gross­mann beschreiben die Bilder der Demos als erschre­ckend. Neben anti­se­mi­ti­schen Parolen und Verschwö­rungs­ideo­lo­gien sieht man auch regel­mäßig David­sterne mit den Worten unge­impft“ in der Menge aufblitzen. Sie verglei­chen damit die Markie­rung als Jüd*in durch den David­stern mit der angeb­li­chen Markie­rung“ durch das Tragen einer Maske. Die Gleich­set­zung mit Wider­stands­kämp­ferin Sophie Scholl oder Holo­caust-Opfer Anne Frank sind eben­falls häufig in der Szene zu sehen. Das geht einem sehr, sehr nah“, beschreibt Staro­selski. So eine Verfäl­schung der Geschichte ist als jüdi­sche Person uner­träg­lich zu sehen.“

Für Gross­mann ist es aller­dings keine Über­ra­schung, dass Jüd*innen von Querdenker*innen“ als Sünden­böcke für die Krise benutzt werden. Die letzten Jahr­hun­derte ließen dies erwarten. Quer­denken“ bringt aller­dings auch eine neue Dimen­sion in den Anti­se­mi­tismus. Anstatt hinter verschlos­senen Türen tragen Querdenker*innen Anti­se­mi­tismus auf die Straße und machen ihn in der Öffent­lich­keit wieder salon­fähig, erläu­tert Staro­selski. Das macht natür­lich etwas mit dem Sicher­heits­ge­fühl von jüdi­schen Menschen hier zu Lande“, so Staro­selski. Anti­se­mi­tis­mus­be­auf­tragter Königs­berg benutzt ein aussa­ge­kräf­tiges Bild, um die Verän­de­rung der Stim­mung in Deutsch­land zu beschreiben: 1945 saßen jüdi­sche Fami­lien bild­lich auf gepackten Koffern, in den 80er und 90er Jahren hat man diese Koffer ausge­packt und verstaut. Man war ange­kommen. In den letzten Jahren schauen immer mehr Menschen wieder: Wo sind die Koffer? Man holt sie noch nicht raus, aber man über­legt es schon.“

Anti­se­mi­tismus als gesamt­ge­sell­schaft­li­ches Problem

Es ist einfa­cher sich der Illu­sion hinzu­geben, dass man Anti­se­mi­tismus abge­schlossen hat und das Problem in der Vergan­gen­heit zu verorten“, stellt Philipp Hecht vom Verein Kölni­sche Gesell­schaft für Christ­lich-Jüdi­sche Zusam­men­ar­beit fest. Doch eine Studie des World Jewish Congress (WJC) beweist das Gegen­teil: Bei über 20 Prozent der Deut­schen gehört Anti­se­mi­tismus zum Gedan­kengut und ist folg­lich nicht nur ein Problem der rechts­ra­di­kalen Szene. Die Quer­denken-Bewe­gung macht Anti­se­mi­tismus sogar zu einer poli­ti­schen Bewe­gung und bietet den Nähr­boden für anti­se­mi­ti­sche Gewalt. Daher sei sie eine Gefahr für die Demo­kratie, wie Geffken betont.

Jüd*innen geben nicht einfach auf

Neben zuneh­mender Angst und Sorge wächst aber auch der Kampf­geist von Jüd*innen gegen Anti­se­mi­tismus. Die JSUD strahlt diesen als selbst­be­wusste, jüdi­sche, junge Stimme aus. Deren Präsi­dentin Staro­selski denkt nicht ans Aufgeben. Doch sie macht deut­lich: Anti­se­mi­tismus ist ein gesell­schaft­li­ches Problem und Jüdinnen und Juden können nicht die Einzigen sein, die gegen Anti­se­mi­tismus kämpfen. Statt­dessen muss dies ein gesamt­ge­sell­schaft­li­cher Auftrag sein gerade in Deutsch­land.“ 

Staro­selski betont, dass insbe­son­dere im Netz Wider­stand geleistet werden müsse und Verschwö­rungs­er­zäh­lungen nicht unkom­men­tiert bleiben dürften. Eine bessere Sensi­bi­li­sie­rung für Anti­se­mi­tismus in der Bevöl­ke­rung sei drin­gend nötig. Beson­ders im Bereich der Sicher­heits­be­hörden und der Ausbil­dung von Lehr­kräften und Beamten gebe es viel Nach­hol­be­darf, so Staro­selski. 

Mehr als nur Anti­se­mi­tismus

Doch neben derar­tigen Reformen nennt die Präsi­dentin der JSUD noch ein weiteres wich­tiges Anliegen: Wir junge Juden wollen nicht nur mit der Schoah oder dem israel-paläs­ti­nen­si­schen Konflikt in Verbin­dung gebracht werden, sondern möchten eben auch das Posi­tive hervor­heben und zeigen, wie schön es ist, jüdisch zu sein.“ Das Bild, das in den Medien von Jüd*innen produ­ziert werde, stütze sich zu häufig auf Stereo­type und die Vergan­gen­heit. Es gebe nicht die eine Jüdin oder den einen Juden sondern eine Viel­zahl von jüdi­schen Iden­ti­täten. Gross­mann empfiehlt den Kurz­film Masel Tov Cock­tail“. Der preis­ge­krönte Film stellt mit viel Witz dar, was es eigent­lich bedeutet, in Deutsch­land jüdisch zu sein.

Das Fest­jahr 1700 Jahre jüdi­sches Leben in Deutsch­land“ bietet Gele­gen­heit, sich darüber bewusst zu werden und den Kampf gegen Anti­se­mi­tismus noch einmal zu verstärken. Königs­berg betont, es hänge von der Mehr­heits­ge­sell­schaft in Deutsch­land ab, wie sich der Einfluss der Quer­denken-Bewe­gung entwi­ckelt. Kurz: Ob Anti­se­mi­tismus für weitere 1700 Jahre salon­fähig bleibt – oder ob Jüd*innen sich sicher fühlen und ihre Iden­tität frei ausleben können.


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