Man muss sehr, sehr aufmerksam sein“

Datum
22. November 2023
Autor*in
Christian Lütgens
Redaktion
politikorange
Themen
#Medien #Antisemitismus
Beitragsbild Christian

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Zuletzt mehrten sich Berichte über anti­se­mi­ti­sche Über­griffe in Gedenk­stätten. Im digi­talen Raum ist das – je nach Post und Platt­form – schon lange Alltag. Wie können Erin­ne­rungs­stätten damit umgehen?

Zum Zoom-Inter­view erscheint Dr. Iris Groschek auf die Minute pünkt­lich. Seit Jahren ist sie in der Erin­ne­rungs­ar­beit tätig, zuletzt in der KZ-Gedenk­stätte Neuen­gamme. Aktuell leitet sie Öffent­lich­keits­ar­beit und Social Media der Stif­tung Hamburger Gedenk­stätten und Lern­orte und erzählt im Gespräch, wie man als Insti­tu­tion mit juden­feind­li­chen Kommen­taren umgeht.

poli­ti­ko­range: Die Erin­ne­rungs­kultur hier­zu­lande steht unter Druck, nicht erst seit jüngeren Land­tags­wahlen oder dem Aufkommen von Tele­gram. Wie hat sich die Erin­ne­rungs­ar­beit in den letzten Jahren entwi­ckelt?

Dr. Groschek: Erin­ne­rungs­kultur ist immer im Wandel. Das ist nichts, was einmal fest­ge­schrieben wurde und seitdem immer fort­ge­führt wird. Natür­lich verän­dert sich das Erin­nern genauso wie sich eine Gesell­schaft verän­dert. Bei den Gedenk­stätten hat es ein biss­chen länger gedauert, bis ange­kommen ist, dass es unheim­lich wichtig ist für Gedenk­stätten auch im Digi­talen präsent zu sein – und eben nicht nur mit stati­schen Ange­boten.

Was genau bedeutet es, ein nicht stati­sches Angebot zu schaffen? In einem älteren Inter­view erzählten Sie, dass Ihre Gedenk­stätte kein stiller Ort sein soll.

Das heißt zum Beispiel sich in aktu­elle Diskus­sionen einzu­bringen oder schlicht online auf unter­schied­liche Art und Weise präsent zu sein. Nicht nur um Aufmerk­sam­keit von Stake­hol­dern oder Poli­ti­ke­rinnen und Poli­ti­kern zu erhalten, sondern eben auch von ganz normalen Menschen, die uns als Stif­tung oder unsere Gedenk­stätten so anders wahr­nehmen. Das ist etwas, was sich verän­dert hat in den letzten zehn oder 15 Jahren, die Erwar­tung, auch online gefunden werden zu müssen. Und das Inter­esse ist da. Ich merke es in der Kommu­ni­ka­tion mit unseren Follo­wern. Es ist leichter geworden, mit Insti­tu­tionen wie einer Gedenk­stätte in Kontakt zu treten.

Wenn wir an die Zukunft der Erin­ne­rung denken, dann müssen wir an junge Leute denken, dass sie es sind, die die Erin­ne­rung weiter­tragen. Und das Wie sie das machen wollen. Sie müssen über­legen: Wie wollen wir denn in Zukunft erin­nern und gedenken? Und wir möchten da gerne helfen bei der Suche nach Formen und Möglich­keiten. Und deswegen finde ich es sehr wichtig in einen Austausch auf Augen­höhe zu kommen.

Wie unter­scheidet sich denn Erin­ne­rungs­kultur online und offline, gerade vor dem Hinter­grund des Anti­se­mi­tismus?

Im Digi­talen gibt es eine andere Sicht­bar­keit. Wenn jemand in der Gedenk­stätte ein Haken­kreuz einritzt, dann sehen das die Leute, die in der Gedenk­stätte sind. Aber wenn ich online etwas sage und ein Mensch antwortet darauf und geht mit seiner viel­leicht gegne­ri­schen Posi­tion viral, dann ist es natür­lich eine ganz andere Form der Dynamik, die sich entwi­ckelt.

Hier vor Ort ist es ein viel inti­merer Rahmen, in dem man spre­chen und disku­tieren kann. Alles was online ist, hat plötz­lich eine ganz andere Öffent­lich­keit. Das ist nicht nur kritisch zu sehen, sondern auch als Chance und ist daher auch ein Grund, warum wir auf Social Media gegangen sind – um eben diese Öffent­lich­keit und die direkte Kommu­ni­ka­tion zu haben.

Im digi­talen Raum sind die Hürden für diffa­mie­rende Taten und Aussagen also nied­riger?

Nicht nur, dass diese Hürden nied­riger sind, es scheint manchmal auch eine Chall­enge zu sein, sich möglichst verfas­sungs­kon­form und trotzdem anti­se­mi­tisch oder rassis­tisch zu äußern. Und da finden rechts­extreme Posi­tionen immer wieder neue Codes, beispiels­weise in Form von Memes oder sogar Emojis. Das sind dann zum Beispiel nur“ blaue Herzen oder ein Kommentar wie Wooden Door.“

Diese Codes spielen auf eine Nähe zur in Teilen als gesi­chert rechts­extrem einge­stuften AfD, bezie­hungs­weise auf die Gaskam­mern in Ausch­witz an.

Genau. Man muss sehr, sehr aufmerksam sein und wirk­lich jeden Kommentar sich mehr oder weniger daraufhin anschauen, wer da was sagt. Und man muss sehr viel schneller heraus­finden, was könnte als Botschaft dahinter gemeint sein?

Wie geht man am besten mit solchen vermeint­lich harm­losen Kommen­taren um, löschen oder die Accounts melden und blockieren? Der dort mitschwin­gende Anti­se­mi­tismus ist im Zweifel gut versteckt.

Ein Emoji mag jetzt viel­leicht nicht ganz so schlimm erscheinen – aber denken wir an die mitle­sende Commu­nity. Wir sind nicht unbe­dingt auf Counter Speech spezia­li­siert als Gedenk­stätte auf Social Media, das machen andere viel besser. Wir haben einen Fokus auf histo­risch-poli­ti­sche Bildung. Aber eindeutig rassis­ti­sche Kommen­tare dürfen wir nicht dulden.

Das Span­nende finde ich, dass bei schwie­rigen Kommen­taren genü­gend Leute aus der Commu­nity da sind, die etwas dagegen sagen. Wir als Gedenk­stätte sind nicht die Wächter‘ gegen Rassismus, Anti­se­mi­tismus und so weiter. Dass wir eine Commu­nity schaffen, das ist unsere Aufgabe. Eine Commu­nity, die uns und unsere Geschichten wichtig findet und daraus eine Haltung für die Gegen­wart ableitet.

Für junge Leute, die auf der Suche nach persön­li­chen Antworten sind auf aktu­elle gesell­schafts­po­li­ti­sche Fragen und Paral­lelen in der Geschichte finden, sollen unsere Accounts ein gemein­samer Space sein, wo sie eben nicht dauer­haft mit Anti­se­mi­tismus und Rassismus konfron­tiert werden. Und das heißt – deswegen müssen wir es halt wirk­lich deco­dieren – wenn zum Beispiel dauer­haft blaue Herzen kommen und die rechte Commu­nity das total cool findet und sich heim­lich als Sieger über einen Account sieht, wir viel­leicht auch die mitle­sende Commu­nity verlieren.

Dieses Jahr hieß es in einem Bericht von Unesco von Jüdi­schem Welt­kon­gress, dass 49 Prozent der öffent­li­chen Inhalte mit Holo­caust-Bezug auf Tele­gram die Fakten verzerren oder gar leugnen. Welche Rolle spielen einzelne Platt­formen und Ziel­gruppen bei Ihrer Arbeit im digi­talen Raum?

Wichtig ist Commu­nity-gerechtes Kommu­ni­zieren. Jede Commu­nity funk­tio­niert anders. Face­book zum Beispiel nutzen wir mehr als digi­tale Pinn­wand und weniger als Diskus­si­ons­forum. Auf X (vormals Twitter, Anm. d. Red.) ist das Umfeld so toxisch und schwierig geworden, dass ich gar nicht mehr weiß, ob man eine schwei­gende Mehr­heit errei­chen kann, wenn andere so laut sind. Hier suchen wir aktuell auf Bluesky oder Mast­odon ein neues Medium.

Ich will jetzt nicht TikTok hoch­loben. Aber TikTok Deutsch­land hat gesagt: Wir finden es gut, dass ihr hier seid und wir helfen euch. Das ist natür­lich auch gut für deren Außen­dar­stel­lung. Meta hat uns nie unter­stützt, da haben wir noch nicht einmal einen blauen Haken gekriegt.

Anti­se­mi­tismus ist häufig eng verwoben mit Verschwö­rungs­ideo­lo­gien. Erleben Sie das auch auf Ihren Online-Kanälen?

Ich glaube, dass es sehr divers ist, wie Gedenk­stätten wahr­ge­nommen werden und was für Menschen dort kommen­tieren. Es gibt sicher auch Kommen­tare von Anhän­gern von Verschwö­rungs­my­then, und es gibt genauso Menschen, die bei uns ganz analog anrufen und beispiels­weise sagen Ich bin Adolf Hitler‘. Die Formen von Ableh­nung bis Rassismus sind unter­schied­lich, von still­schwei­genden, unauf­fäl­ligen Nutze­rinnen und Nutzern, von Emojis oder Code­wör­tern bis hin zu offensiv rechts­ra­di­kalen Kommen­taren.

Ich glaube gerade diese Szene der Verschwö­rungs­my­then, die Menschen dort kann man gar nicht mehr errei­chen. Wir sind wie gesagt nicht unbe­dingt auf Counter Speech aus. Das wäre vertane Zeit, wir wollen ja schließ­lich dieje­nigen stärken, die uns wichtig finden. Zudem man muss immer über­legen: Worauf reagiere ich und worauf lieber nicht? Durch Wahr­neh­mung gebe ich dem Kommen­tator ja auch eine Reich­weite.

Viele Schul­klassen besu­chen Erin­ne­rungs­stätten, zum Beispiel die KZ-Gedenk­stätte Neuen­gamme im Süden Hamburgs. Wie fallen die Rück­mel­dungen von Schü­le­rinnen und Schü­lern hinsicht­lich ihrer Erfah­rungen mit Juden­hass aus?

Unsere Tour-Guides sagen, dass es nicht wirk­lich schwie­riger geworden ist. Die Klassen sind eher immer noch so wie vor fünf Jahren. Aber wir sehen, dass es vor allem online eine stär­kere Pola­ri­sie­rung gibt. Dass Hand­lungs­spiel­räume sich scheinbar verengen, dass es sehr starke Posi­tionen gibt und es schwierig ist, dazwi­schen zu vermit­teln. Wichtig dabei ist, zurück­zu­treten und die Geschichte erzählen zu lassen, Schü­le­rinnen und Schüler selbst analy­sieren zu lassen, was das mit ihnen und heute zu tun haben könnte – im Analogen wie im Digi­talen.

Welches Feed­back geben die Schü­le­rinnen und Schüler mit Blick auf ihre Arbeit im digi­talen Raum?

Manchmal bringen Schü­le­rinnen und Schüler Vorbil­dung aus sozialen Medien mit. Das war vor fünf oder sechs Jahren absolut nicht so. Bei TikTok zum Beispiel ist das eine andere Gene­ra­tion, die wir errei­chen. Die infor­mieren sich darüber oder YouTube Shorts. Das merken unsere Guides, wenn auf Rück­fragen geant­wortet wird, das habe man auf dem TikTok-Channel der Gedenk­stätte gesehen. Das finde ich toll, wenn diese Art von Feed­back von jungen Leuten kommt, die hier sind und wir ein Stan­ding haben, dass man uns auch online nicht nur wahr­nimmt, sondern da auch vertraut und glaubt.


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