Impor­tierter Anti­se­mi­tismus – oder wie die radi­kale Rechte den Gaza­krieg nutzt, um selbst anti­mus­li­mi­schen Rassismus zu betreiben

Datum
21. November 2023
Autor*in
Antonia Grau
Redaktion
politikorange
Themen
#Leben #Antisemitismus
Antonia Beitrag Foto 1

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Die popu­lis­ti­sche Rechte aber pola­ri­siert durch ihre öffent­li­chen Äuße­rungen bezüg­lich der Gewalt in West­asien. Carsten Koschmieder, Poli­to­loge am Otto-Suhr-Institut der Freien Univer­sität Berlin, erklärt die Verflech­tungen zwischen Anti­se­mi­tismus und Rechts­ra­di­ka­lismus.

In Gaza tobt der Krieg. Wann immer ein Krieg herrscht, in den auch Israel invol­viert ist, gibt es auch in Deutsch­land starke Reak­tionen. Bürger*innen protes­tieren, Parteien mobi­li­sieren sich, Politiker*innen soli­da­ri­sieren sich. Vor allem die popu­lis­ti­sche Rechte aber pola­ri­siert durch ihre öffent­li­chen Äuße­rungen bezüg­lich der Gewalt in West­asien. Carsten Koschmieder, Poli­to­loge am Otto-Suhr-Institut der Freien Univer­sität Berlin, erklärt die Verflech­tungen zwischen Anti­se­mi­tismus und Rechts­ra­di­ka­lismus.

Dr. Carsten Koschmieder:

Anti­se­mi­tismus gibt es überall in der Gesell­schaft, nicht nur unter Rechts­ra­di­kalen oder Rechts­extre­misten, aber Anti­se­mi­tismus ist immer und überall auf der Welt konsti­tutiv für Rechts­extre­mismus. Es gibt keinen Rechts­extre­mismus ohne Anti­se­mi­tismus.

Am 22. Oktober postet der Vorsit­zende der größten deut­schen Oppo­si­ti­ons­partei Fried­rich Merz (CDU) auf X, vormals Twitter:

Seine Äuße­rung pola­ri­siert gleich zwei­erlei. Erstens, instru­men­ta­li­siert er die fatale Menschen­rechts­lage in Gaza, um sich in bewährter konser­va­tiver und popu­lis­ti­scher Manier gegen die Aufnahme von arabi­schen Geflüch­teten auszu­spre­chen. Gleich­zeitig recht­fer­tigt er seine Bemer­kung fast beiläufig, indem er migran­ti­sche, junge Männer in Deutsch­land pauscha­li­siert als anti­se­mi­tisch bezeichnet. Fried­rich Merz, der in der Vergan­gen­heit häufiger durch rechte Äuße­rungen auffiel, wird oft dem rechten Flügel der CDU zuge­ordnet.

poli­ti­ko­range: Was halten Sie von Merz‘ Aussage?

Koschmieder: Was er in diesem Post bewusst weglässt, ist natür­lich, dass wir auch ein großes Problem mit Anti­se­mi­tismus unter Deut­schen haben, die Franz und Thomas heißen, (und deren Eltern schon Franz und Thomas hießen,) und das tut er – wie viele andere – syste­ma­tisch, um das Problem zu exter­na­li­sieren. Es wird behauptet, Anti­se­mi­tismus sei kein Problem von uns, weißen Deut­schen, sondern ein Problem von denen. Das ist empi­risch falsch und in vielen Studien belegt, dass wir in der deut­schen Gesell­schaft Anti­se­mi­tismus vorfinden. Es ist eine bewusste Stra­tegie, um sich selbst zu entkri­mi­na­li­sieren und zu behaupten, das eigent­liche Problem sind nicht wir, sondern die anderen. Dieses Verhalten sehen wir oft – wenn es beispiels­weise um migran­ti­sche Gewalt gegen Frauen geht. Wir haben es also keines­wegs mit einem neuen Phänomen zu tun. Beun­ru­hi­gend ist es trotzdem, denn wenn der Chef der größten Oppo­si­ti­ons­partei im Bundestag, die in aktu­ellen Umfragen auch vorne liegt, so etwas sagt, dann ist eine solche Aussage viel gefähr­li­cher als bei den übli­chen AfD-Verdäch­tigen.“

poli­ti­ko­range: Warum soli­da­ri­sieren sich Parteien des rechten Spek­trums eher mit Israel? Ist die rechte etwa juden­freund­lich geworden?

Koschmieder Porträt

Dr. Carsten Koschmieder, Politikwissenschaftler an der FU Berlin. Foto: Dr. Carsten Koschmieder

Koschmieder: Die Rechte ist keines­falls juden­freund­lich. Es ist essen­zi­eller Bestand­teil ihrer Ideo­logie, anti­se­mi­tisch zu sein. Wir haben also Anti­se­mi­tismus und gleich­zeitig Soli­da­rität mit Israel. Warum? Erstens, es kostet nicht viel. Die AfD muss dafür nichts Konkretes tun, es reicht, Soli­da­rität mit Israel zu verkünden. Soli­da­rität mit jüdi­schen Menschen im eigenen Land würde die AfD schon deut­lich mehr kosten. Zwar versucht sie das teil­weise, gleich­zeitig spricht sich die AfD aber auch gegen Holo­caust­ge­denk­stätten und ‑denk­mäler aus. Im eigenen Land ist es kompli­zierter, aber die Unter­stüt­zung von Israel ist sozu­sagen kostenlos. Warum ist das nun wichtig? Zum einen vertritt die AfD das Mantra, Israel sei Teil des Westens im Kampf gegen die Muslime. Wir haben hier ein Beispiel für anti­mus­li­mi­schen Rassismus, den man hiermit gut arti­ku­lieren und symbo­li­sieren kann. Zudem steckt Profi­lie­rung dahinter: Wir sind ja gar keine Anti­se­miten, wir sind die, die Israel unter­stützen.“ Es ist ein Versuch, sich selbst in ein gutes Licht zu rücken, und den eigenen Anti­se­mi­tismus und Rassismus zu kaschieren, indem gesagt wird, wir sind doch dieje­nigen, die für Israel sind.“

Hinter der Freund­lich­keit gegen­über Israel steckt noch mehr als reine Soli­da­rität, nämlich Kalkül. Ein Kalkül, das viele Muslime und Muslimas hier­zu­lande spüren, denn Rechts­po­pu­listen betreiben ihre vorge­täuschte Soli­da­rität auf dem Rücken der musli­mi­schen Commu­nity. Zum einen erschaffen sie durch Othe­ring ein Zerr­bild, welches zwischen Uns“ und Denen“ unter­scheidet. Diese Rhetorik ist unter Rechts­po­pu­listen beliebt, um sich ethno­kul­tu­rell von den Anderen“ abzu­grenzen und sich selbst als über­legen zu konzi­pieren. Zum anderen grenzen sie sich augen­schein­lich vom Anti­se­mi­tismus ab, beflü­geln den Begriff impor­tierter Anti­se­mi­tismus“, der von außen, also von denen“ kommt. Sie benutzen den Begriff legi­ti­mie­rend für den eigenen Frem­den­hass – und dafür, dass Deutsch­land keine Geflüch­teten aufnehmen sollte.

Koschmieder: Im glei­chen Zusam­men­hang sehen wir anti­mus­li­mi­schen Rassismus, und Homo­phobie. Sie [die Rechts­ra­di­kalen] tun so, als würden sie sich für Homo­se­xu­elle einsetzen, dabei würden sie diese am liebsten ins Gefängnis sperren. Hierzu gibt es öffent­liche Aussagen einiger deut­scher AfD-Poli­tiker. Anti­mus­li­mi­scher Rassismus im rechten Spek­trum wird so geframed, dass man sich für die Rechte deut­scher Homo­se­xu­ellen einsetzt – und gegen musli­mi­sche Einwan­derer vertei­digt. Dieses Phänomen sehen wir auch bei Israel.“

Es ist fast wie eine Bilder­buch­de­fi­ni­tion für grup­pen­be­zo­gene Menschen­feind­lich­keit: Die deut­sche Rechte recht­fer­tigt ihren anti­mus­li­mi­schen Rassismus mit dem vermeint­lich allen Muslim*innen inhä­renten Juden­hass. Anti­mus­li­mi­scher Rassismus, das heißt, die Pauscha­li­sie­rung des Islams oder die Redu­zie­rung musli­mi­scher Menschen auf eine einheit­liche Gruppe, scheint im rechten Spek­trum salon­fähig geworden zu sein. Muslim*innen werden so als fremd“ und gefähr­lich“ darge­stellt.

poli­ti­ko­range: Gibt es gesell­schaft­liche Gruppen, bei denen Anti­se­mi­tismus beson­ders stark ausge­prägt ist?

Koschmieder: Viel­leicht ist die wich­tigste Erkenntnis, dass Anti­se­mi­tismus in allen gesell­schaft­li­chen Gruppen und Schichten verbreitet ist. Wir haben auch das Phänomen des linken Anti­se­mi­tismus, welcher empi­risch messbar und in der Debatte sehr präsent ist. Manchmal wird vergessen, dass der rechts­extreme Anti­se­mi­tismus der schlim­mere ist, und dass anti­se­mi­ti­sche Straf­taten von Rechts­extremen begangen werden. Punkt. Linke schänden keine jüdi­schen Fried­höfe. Soweit wir wissen, sind es Rechts­extreme, welche diese Straf­taten ausüben. Somit bleibt der Anti­se­mi­tismus aus dem rechts­extremen Lager das größte Problem für die Sicher­heit.“

Ein Blick in die Statistik zeigt, dass 84% anti­se­mi­ti­scher Straf­taten im Jahr 2022 poli­tisch rechts moti­viert gewesen waren, ledig­lich 4% der anti­se­mi­ti­schen Straf­taten waren durch auslän­di­sche und reli­giöse Ideo­logie moti­viert (Poli­tisch moti­vierte Krimi­na­lität im Jahr 2022, Tabelle 13, Seite 11, Anm. d. Red.). Das Bild, das Merz in den sozialen Medien entstehen lässt, hat also kaum etwas mit der Realität zu tun. Beun­ru­hi­gend ist viel mehr, dass die Anzahl anti­se­mi­ti­scher Gewalt­taten konti­nu­ier­lich hoch ist.

Das Bundes­mi­nis­te­rium für Inneres warnt trotz gering­fügig gesun­kenen Zahlen vor über­eilten Trug­schlüssen. Anti­se­mi­tismus bürge weiterhin ein großes Risi­ko­po­ten­zial für jüdi­sche Menschen in Deutsch­land.

poli­ti­ko­range: Zu guter Letzt: Ist Anti­se­mi­tismus nun impor­tiert oder ist das ein Slogan der Rechten?

Koschmieder: Mein Haupt­pro­blem mit dieser Formu­lie­rung ist folgendes: Es erweckt den Eindruck, als hätten wir dieses Problem unter Deut­schen nicht, obwohl nur wenige Wochen zuvor das Haupt­thema im bayri­schen Wahl­kampf war, dass jemand mit üblem, anti­se­mi­ti­schem Flug­blatt weder zurück­tritt noch sich entschul­digt, sondern die Medien einer gezielten Rufschä­di­gungs­kam­pagne bezich­tigt. Impor­tierter Anti­se­mi­tismus lässt verlauten, dass dies ein Problem von außen ist. Die Fremden, die zu uns kamen, haben den mitge­bracht. Bei uns gab es dieses Problem vorher nicht. Das ist natür­lich absurd, in dem Land, das die Shoah initi­iert und ausge­führt hat.“


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