Klein­partei: Demo­kratie in Bewe­gung

Datum
17. September 2017
Autor*in
Linda Göttner
Redaktion
politikorange
Thema
#poBTW17
Foto: Dib

Foto: Dib

In Deutsch­land gibt es mehr als vierzig Parteien. Ein paar der klei­neren Parteien hat sich die politikorange-Redak­tion näher Ange­schaut. Linda Göttner hat mit der Julia Beer­hold von Demo­kratie in Bewe­gung“ über ihre Partei gespro­chen.

Foto: DiB

Die Schauspielerin und Bundesvorsitzende der DiB spricht auf einer Veranstaltug über ihre Partei.

Grün­dung: Die Demo­kratie in Bewe­gung“ (DiB) grün­dete sich am 29. April 2017. Voraus­set­zung für die Grün­dung der Partei war eine Stim­men­an­zahl von 100 000 bei einer Online­ab­stim­mung. Nachdem dies erreicht war, wurde die Partei sowie die 16 Landes­ver­bände binnen weniger Wochen gegründet.

Philo­so­phie: Die Partei setzt sich für mehr demo­kra­ti­sche Teil­habe und poli­ti­sche Trans­pa­renz ein. Dabei verfolgt sie auch direkt­de­mo­kra­ti­sche Methoden, um die Hürden für Bürger­ent­scheide abzu­bauen. Auch soziale Gerech­tig­keit, Nach­hal­tig­keit und Viel­falt sind Grund­satz­themen der Partei.

Mitglie­der­an­zahl237 (Stand: 23. August 2017)

Ergebnis der letzten Bundes­tags­wahlen: -

Vorsit­zende: Julia Beer­hold ist haupt­be­ruf­liche Schau­spie­lerin und seit 2017 Vorsit­zende der Demo­kratie in Bewe­gung“. Für die Bundes­tags­wahl 2017 kandi­diert sie in Nord­rhein West­falen.

Im Inter­view war die Bundes­vor­sit­zende der Partei Julia Beer­hold.

Warum lohnt es sich für Sie, in einer Partei aktiv zu sein, die voraus­sicht­lich 2017 nicht in den Bundestag eintreten wird?

Wer sagt denn, dass wir nicht doch in den Bundestag kommen? Seit der Wahl-O-Mat online ist, geht es bei uns durch die Decke. Wenn nur ein Teil der Menschen, bei denen die DiB an erster Stelle erscheint, uns auch wählt – das wäre eine Sensa­tion und dann wären wir im Bundestag!

Aber völlig unab­hängig von den Wahl­er­geb­nissen lohnt es sich für mich, bei DiB zu sein, weil mich die Menschen und das Konzept über­zeugen. Ich war selbst skep­tisch, über­haupt eine neue Partei zu gründen. Aber ich habe mit vielen Menschen über ihre Gründe gespro­chen, nicht zu wählen. Ein Haupt­ar­gu­ment war, dass man ein Wahl­pro­gramm nicht beein­flussen kann. Dieses Argu­ment entkräftet die DiB auf eine sehr kluge Art. Denn bei dieser Partei können alle, ob Mitglied oder nicht, ein Thema einbringen. Findet es genü­gend Mitstreiter*innen, wird darüber abge­stimmt und so kann es Teil des Wahl­pro­gramms werden. Die DiB ist so etwas wie ein konti­nu­ier­li­cher, offener Parteitag. Wo es eher um das Zuhören und Verstehen geht, als ums Zutexten.

Warum sind Sie in einer kleinen Partei aktiv, statt in eine große einzu­treten und diese auf den Kopf zu stellen?

Ich wollte in die Politik, um mich poli­tisch zu betei­ligen, und nicht, um eine große Partei auf den Kopf zu stellen. Ich glaube, es ist sehr viel schwie­riger, von innen heraus Impulse zu geben als von außen. Das spie­geln auch die Mitglieder der großen Parteien, in denen sich Struk­turen verhärtet haben. Genauso wie es die Grünen vor 30 Jahren geschafft haben, das Thema Ökologie und Nach­hal­tig­keit in alle Parteien und in die Mitte der Gesell­schaft zu tragen, glaube ich, dass wir es schaffen können, Impulse für die Themen Trans­pa­renz, Entflech­tung von Wirt­schaft und Politik und demo­kra­ti­sche Teil­habe zu setzen.

Was halten Sie von der fünf Prozent Hürde?

Ich finde sie wichtig, damit wir nicht die Verhält­nisse der Weimarer Repu­blik wieder­be­leben. Aber es bleibt die Frage, ob viel­leicht auch eine drei Prozent Hürde reichen würde.Ich finde es grund­sätz­lich richtig, dass auch die Hürden für Partei­grün­dungen relativ hoch sind, auch in formaler und büro­kra­ti­scher Hinsicht. Dadurch wird die Partei­en­land­schaft nicht zu sehr zersplit­tert. Kurz: Auch, wenn es uns das Leben erst einmal schwer macht, hat es wich­tige Gründe.

Ange­nommen, Ihre Partei kommt in den Bundestag: Mit welchen Parteien könnten Sie sich eine Koali­tion vorstellen?

Aus meinem Gespür heraus würde ich sagen, dass viele Koali­tionen mit Parteien möglich wären, die unsere Grund­werte achten. Einer unserer wich­tigsten Grund­werte ist Viel­falt. Deshalb sind wir auch die Partei, die am weitesten entfernt ist von der AfD. Daher würden wir in einer Koali­tion vor allem darauf achten, ob die Partei sich eben­falls den Wert Viel­falt auf die Fahnen geschrieben hat. (Ergän­zung – da ich mich daran erin­nere, das auch so oder ähnlich gesagt zu haben -: Aber das ist eine Frage, die unbe­dingt von allen disku­tiert werden müsste.) Bei uns geht es ja gerade darum, dass nicht einzelne Personen losge­löst entscheiden, sondern dass die wich­tigen Entschei­dungen von den Bewe­ge­rinnen und Bewe­gern gefällt werden. Bei einer Koali­tion dürfen wir uns von diesem Prinzip nicht entfernen.

Von der Partei­grün­dung bis zur Bundes­tags­wahl 2017 blieb Ihnen nur wenig Zeit, das Programm zu formu­lieren und die Partei perso­nell aufzu­stellen. Welche Hürden sind Ihnen begegnet?

Alles, was man sich vorstellen kann. Wir haben gesagt, wenn mindes­tens 100.000 Leute unser Vorhaben als sinn­voll erachten, dann gründen wir uns als Partei. Es fanden 100.000 Leute sinn­voll und dann mussten wir es natür­lich umsetzen. Erst einmal ist es unfassbar schwierig, was man büro­kra­tisch erle­digen muss. Wir haben die Partei und alle 16 Landes­ver­bände inner­halb weniger Wochen gegründet.

Die nächste Hürde war, die Unter­schriften zu sammeln. In Nord­rhein-West­falen benö­tigten wir beispiels­weise 2000 Unter­stüt­zer­un­ter­schriften. Es ist natür­lich schwierig, mit einer völlig unbe­kannten Partei, von der noch nie jemand gehört hat, so viele Leute zu über­zeugen, ihre persön­li­chen Daten heraus­zu­geben, und zwar sofort. Jetzt stehen wir bei 74 Prozent der Wahl­be­rech­tigten auf dem Stimm­zettel.

Die nächste Hürde war, nicht selbst ein Partei­pro­gramm zu schreiben. Die Idee ist ja gerade, dies auf Basis von Initia­tiven zu tun. Dabei wollen wir Lösungen, die wirk­lich alle zufrieden stellen. Wir nutzen dazu die Methode des syste­mi­schen Konsen­sie­rens, die heraus­findet, wie groß der Wider­stand gegen einen Vorschlag ist. Das braucht natür­lich Zeit, was uns allen bewusst ist. Umso verrückter, dass wir inner­halb von knapp vier Wochen ein wirk­lich beacht­li­ches Wahl­pro­gramm erstellen konnten. Die Initia­tiven dafür kamen von allen mögli­chen Menschen und gingen dann in den Diskus­sions- und Abstim­mungs­pro­zess. Die letzte Hürde bis jetzt war der Bundes­par­teitag. Denn laut Partei­en­gesetz dürfen nicht die Bewe­ge­rinnen und Beweger Beschlüsse fassen, wie wir es eigent­lich gerne gemacht hätten. Das darf nur der Bundes­par­teitag als höchstes Organ.

Das Initia­tiv­prinzip ermög­licht, dass jeder Ideen in das Partei­pro­gramm einbringen kann, auch wenn er nicht Mitglied ist. Ist es so schwie­riger, Ihren Grund­sätzen treu zu bleiben?

Ich habe gute Erfah­rungen gemacht, weil sich Menschen einbringen, die sich sonst nicht enga­gieren würden. Zum Beispiel Leute, die in ihren Berufen der Neutra­lität verpflichtet sind, aber als Privat­person natür­lich auch Ideen haben und sich nicht trauen oder sich viel­leicht gar nicht für quali­fi­ziert halten. Ich finde es sehr wichtig, dass wir keine elitäre Partei sind, mit nur super gebil­deten Mitglie­dern. Sondern im Gegen­teil: Viel­falt heißt auch, dass die Gesell­schaft wirk­lich so abge­bildet wird, wie sie ist. Es ist toll, dass sich hier unter­schied­liche Bevöl­ke­rungs­gruppen zusam­men­finden.

Ist es manchmal schwie­riger, seinen Grund­sätzen treu zu bleiben, wenn so viele Ideen einge­bracht werden können?

Nein, denn unsere Grund­werte sind unver­äu­ßer­lich. Wir orien­tieren uns an den Nach­hal­tig­keits­zielen der UN und an den Menschen­rechten. Wir hatten zum Beispiel Initia­tiven disku­tiert und abge­stimmt und dann ist uns aufge­fallen, dass zwei dieser Initia­tiven gegen den Grund­wert Viel­falt verstießen. Dann haben wir die Initia­tiven zurück in die Gruppe gegeben und gefragt, wie wir damit umgehen wollen. Ich hatte erst Angst, dass ein Shit­s­torm kommt. Aber es wurde uns gedankt, dass wir darauf geachtet haben. Die Initia­tiven werden über­ar­beitet und können beim Bundes­par­teitag im November viel­leicht einfließen. Die Grund­sätze haben dementspre­chend abso­lute Prio­rität, sonst würde es nicht funk­tio­nieren. Wir wollen ja gerade eine kluge Betei­li­gung etablieren und nicht nur eine Ja- oder Nein-Wahl. Komplexe Zusam­men­hänge brau­chen eben Zeit und auch neue Wege. Sei es der Weg, wie die Homoehe verab­schiedet wurde oder sei es über das Initia­tiv­prinzip in Kombi­na­tion mit den Grund­werten. Aber so paradox es ist: Regeln ermög­li­chen Frei­heit. Und unsere Grund­werte ermög­li­chen den Menschen Frei­heit, die sonst nicht gehört würden.

Sie haben sich für eine Quote von 25 Prozent entschieden, die die interne Viel­falt der Partei sichern soll. Wie haben Sie die Zahl 25 fest­ge­legt und wie defi­nieren Sie diese Gruppe ohne den Rest zu diskri­mi­nieren?

Das ist sozu­sagen noch work in progress. Wir hätten sogar gerne noch mehr Quoten. Das ist ein Anfang und ein Zeichen. Diese Quote soll Menschen fördern, die wegen ihrer Herkunft, Haut­farbe, einer Behin­de­rung oder sexu­ellen Iden­tität oder Orien­tie­rung benach­tei­ligt sind. Das trifft zwar auf viele Menschen zu, dennoch tauchen sie in Macht­pos­tionen eher nicht auf. Ich würde gerne mehr Menschen aus diesen Berei­chen für uns gewinnen, auch wenn sie nicht an expo­nierter Stelle sein möchten, weil sie zum Beispiel rassis­ti­sche Über­griffe fürchten.

Auch für Frauen haben wir eine Quote von 50 Prozent. Frauen sind einfach noch viel mehr in der Sorge­ar­beit einge­bunden als Männer und haben daher oft einfach weniger Zeit und fühlen sich oft auch weniger kompe­tent. Wir haben 1.000 Jahre Patri­ar­chat hinter uns und drei Sekunden Gleich­stel­lung. Eine Quote allein reicht eigent­lich auch nicht. Wir wollen bewusster mit Formen von Diskri­mi­nie­rung umgehen. Wir hätten auch gerne viel mehr people of colour” und brau­chen diese auch ganz drin­gend. Aber ich verstehe, dass viele Menschen sich eben nicht rassis­ti­schen Angriffen aussetzen oder sich auf das Thema redu­zieren lassen wollen. Haut­farbe ist eben auch nur ein Konstrukt und nur eine Facette unseres Seins.

Wie haben Sie die Zahl 25 Prozent fest­ge­legt?

Wir haben lange darüber disku­tiert. Zunächst haben wir gesagt, ein Viertel klingt erst einmal gut. Die Menschen können ja auch selber entscheiden, ob sie sich so einer Gruppe zuge­hörig fühlen möchten oder nicht. Wir zwingen keinen. Aber beispiels­weise wäre ich in Nord­rhein-West­falen eigent­lich auf den Listen­platz drei gekommen. Jedoch haben wir lieber einen schwulen Mann auf diesen Platz gebeten, um hier auch die Quote Viel­falt zu leben und nicht nur die Frau­en­quote. Das ist alles noch neu und ein Versuch. Aber ich glaube, dass es ein ganz viel­ver­spre­chender Versuch ist. Viel­leicht sagen wir demnächst auch 30 Prozent oder eine andere Zahl für Viel­falt. Nur die Quote von 50 Prozent für Frauen wird sich nicht verän­dern, denn wir sind nun mal die Hälfte der Bevöl­ke­rung.

Warum fordern Sie eine bundes­weite Bildungs­po­litik statt einer länder­spe­zi­fi­schen?

Die Erfah­rung hat gezeigt, dass die Gesell­schaft sehr viel mobiler geworden ist. Menschen ziehen oft um, nicht nur inner­halb Deutsch­lands, sondern auch welt­weit. Doch schon inner­halb Deutsch­lands wird die Biografie von jungen Menschen unfassbar schwierig, wenn sie einen Schul­wechsel zwischen verschie­denen Bundes­län­dern haben. Auch die Vergleich­bar­keit der Leis­tung muss realis­ti­scher werden.

Was erwarten Sie von der nächsten Bundes­tags­wahl?

Mein großer Wunsch ist es, dass es eine sehr hohe Wahl­be­tei­li­gung gibt. Mein zweiter Wunsch ist, dass die Menschen nicht die Ausgren­zung, den Hass und die Hetze wählen. Außerdem wünsche ich mir, dass die Menschen so wählen, dass es auch für nach­fol­gende Gene­ra­tionen eine kluge Wahl ist. Ich teile die Leute mitt­ler­weile selbst schon in zwei Lager. Es gibt die, die sich immer zu kurz gekommen fühlen und das sind lusti­ger­weise oft gar nicht die, die wirk­lich zu kurz kommen. Und dann gibt es die empa­thi­schen, altru­is­ti­schen, die denken, dass wir alle auf einer Welt sind und schauen müssen, wie wir alle auf dieser Welt gemeinsam leben können. Und wie wir die Welt so behan­deln können, dass es sie morgen noch gibt. Ich wünsche mir einfach, dass viele Wähler*innen sich für diese Seite entscheiden.


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