Jour­na­list im Unter­grund

Datum
07. Oktober 2018
Autor*in
Kutaiba Bakier
Redaktion
politikorange
Thema
#JMT18
2772002_1_articlefancybox_Zeitungen - Kopie

2772002_1_articlefancybox_Zeitungen - Kopie

Midas Azizi hat in Syrien als Jour­na­list im Unter­grund gear­beitet und eine geheime poli­ti­sche Zeit­schrift heraus­ge­geben. Heute lebt er in Hannover und berichtet unserem Redak­teur Kutaiba Bakier über Jour­na­lismus in seinem Heimat­land.

2772002_1_articlefancybox_Zeitungen

"Dicle" hieß die politische Zeitschrift, die der syrische Journalist Midas Azizi ab 2005 herausgab. Foto: Jugendpresse Deutschland

Viele Menschen in Syrien träumen davon, Grenzen ohne Hinder­nisse zu über­queren. Sie sehnen sich danach, aus ihrem Käfig auszu­bre­chen – zu sagen, was sie möchten und auszu­spre­chen, was sie denken. Doch sie leben in einem Land, das sich im Krieg befindet. Ihr Leben ist voller Gefahren und Verbote. Dies gilt insbe­son­dere für Menschen, die eigent­lich über die Wahr­heit und ohne Vorschriften berichten sollen: Jour­na­listen. Doch das syri­sche Regime lässt es nicht zu, dass sie offen berichten, was in Syrien passiert. Um in dem Land jour­na­lis­tisch arbeiten zu können, müssen Reporter der Linie des Regimes folgen und zeigen, dass sie loyal sind. So wird diese Berufs­gruppe zu einem Macht­in­stru­ment. Für Krea­ti­vität und Pres­se­frei­heit ist unter diesen Umständen kein Platz.

Gesetz­lich gesehen ist es in Syrien nicht möglich, eine Zeitung heraus­zu­geben, ohne vorher eine Lizenz durch den Staats­si­cher­heits­dienst zu erhalten. In der Realität erhält jedoch niemand eine solche Lizenz. Alle Medien gehören zu staat­li­chen Organen. Die dort beschäf­tigten Jour­na­listen arbeiten wie Beamte, die Regeln treu befolgen. Trotz dieser Umstände und Gefahren haben es einige gewagt, im Unter­grund jour­na­lis­tisch zu arbeiten.

Einer von ihnen ist Midas Azizi. Der 1973 in Al-Darba­siyah gebo­rene Jour­na­list grün­dete trotz all dieser Hürden eine geheime poli­ti­sche Zeitung in Damaskus. Ich glaubte daran, Brücken zwischen den Bürgern bauen zu können. Denn ich bin über­zeugt davon, dass man seine Meinung äußern, seinem Zorn Ausdruck verleihen und darüber spre­chen muss, was die Menschen beschäf­tigt“, sagt Azizi.

Kontrolle durch Sicher­heits­dienste

Weil dies jedoch in keinem staat­lich kontrol­lierten Medium geschah, machte er dies selbst ab 2005 möglich – in seiner eigenen Zeitung. Anfangs wurde Didschla“ auf Arabisch und unter der Schreib­weise Dicle“ auf Kurdisch gedruckt, später dann auch auf Assy­risch. Damit war sie eine der ersten Zeit­schriften, die die verschie­denen kultu­rellen Gemein­schaften Syriens ansprach und es ihren Lesern ermög­lichte, mehr über die anderen Gemein­schaften zu erfahren.

Viele Autoren unter­stützten die Idee und veröf­fent­lichten ihre Artikel in der Zeit­schrift. Unter ihnen waren auch die Autoren und Jour­na­listen Akram Al-Bunni und Jad Al-Karim Al-Jibai. Gemeinsam übten sie in ihren Arti­keln scharfe Kritik am poli­ti­schen System Syriens und der Herr­schafts­po­litik des Präsi­denten Baschar Al-Assad. Sie analy­sierten, warum sich immer mehr Syrer von der Politik distan­zierten.

Einfach war das jedoch nicht. Azizi lebte damals in der syri­schen Haupt­stadt Damaskus, die von den verschie­denen Sicher­heits­diensten kontrol­liert wurde. Zusammen mit vier Freunden produ­zierte er die Zeit­schrift unter erschwerten Bedin­gungen. Sie arbei­teten zu Hause an Dischla“, druckten die Zeit­schrift per Hand und verteilten sie anschlie­ßend nur über ein Netz­werk an Freunde, denen sie vertrauen konnten. Einzelne Menschen bekamen von ihnen eine geringe Menge an Zeit­schriften, die diese dann in Städte in ganz Syrien brachten und dort weiter verteilten.

Alle Mitar­beiter des Blatts fürch­teten sich davor, dass der Staat­s­i­cher­heits­dienst etwas von ihren Akti­vi­täten mitbe­kommen könnte, erzählt Midas Azizi. So arbei­teten alle äußerst vorsichtig. Nach der Vertei­lung jeder einzelnen Ausgabe erwar­teten sie, verhaftet zu werden. Es war so, als würden wir Hand­gra­naten verteilen“, beschreibt der Jour­na­list die Vertei­lung der Zeit­schrift. Trotz all dieser Schwie­rig­keiten über­lebte Didschla“ drei Jahre lang.

2008 war Midas Azizi schließ­lich in das Büro des Staats­si­cher­heits­dienstes in Damaskus vorge­laden und ange­klagt worden. Geheime Infor­manten hatten dem Regime regel­mäßig Infor­ma­tionen über die Arbeit der Redak­tion und ihrer Mitar­beiter zuge­spielt. Kurz darauf veröf­fent­lichte der Jour­na­list eine Ausgabe von Didschla“ unter dem Titel Heraus­for­de­rung“. Enthalten war unter anderem ein Inter­view mit dem Regime­kri­tiker Ali Abdullah. Dies sollte für einige Jahre die letzte Ausgabe der Zeit­schrift sein.

Angst um die Familie

Azizi sorgte sich zu sehr um seine Familie. Er sah keine andere Möglich­keit mehr und entschloss sich schließ­lich dazu, die Arbeit an Didschla“ einzu­stellen. Als die Revo­lu­tion in Syrien im Jahr 2011 begann, kehrte die Zeit­schrift kurz­fristig als Stimme des Wider­stands zurück und kämpfte mit ihren Arti­keln erneut gegen die Unter­drü­ckung der Pres­se­frei­heit. Als 2012 jedoch der Stadt­teil Harasta vom syri­schen Militär blockiert wurde, sah sich Midas Azizi gezwungen, das Land zu verlassen und nach Deutsch­land zu flüchten.

Heute lebt der ehema­lige Heraus­geber und Chef­re­dak­teur von Didschla“ in Hannover. Jungen Jour­na­listen rät er ausdrück­lich, diesen Beruf dennoch auszu­üben. Sie sollten sich stets mit Entschlos­sen­heit wappnen, immer zu ihren Über­zeu­gungen stehen und denen eine Stimme geben, die keine haben, betont Azizi. Sie dürfen sich niemals von einer Regie­rung instru­men­ta­li­sieren lassen und zu einem Sprach­rohr von Macht­ha­bern werden.“ Junge Menschen, die sich für Medien inter­es­sieren, sollten auch in Zukunft den Sinn des Jour­na­lismus bewahren. Denn ohne wahren Jour­na­lismus gebe es keine Frei­heit, sagt der Jour­na­list.

Dieser Beitrag entstand im Rahmen der Yalla Media Akademie, eine Koope­ra­tion zwischen der Jugend­presse Deutsch­land und dem Verein Eed be Eed (“Hand in Hand”) aus Berlin. Der Text erschien zuerst in der Print­aus­gabe des Weser-Kuriers.


Empfohlene Beiträge

Werde Teil unserer Community

Entdecke spannende Geschichten, vernetze dich mit anderen jungen Journalist:innen und gestalte die Medienlandschaft von morgen mit. Melde dich jetzt an und bleibe immer auf dem neuesten Stand.

Wehrpflicht Redaktion Gruppenbild