Dann macht unsere Arbeit wirk­lich Sinn“

Datum
08. Oktober 2018
Autor*in
Qasim Alqasim
Redaktion
politikorange
Thema
#JMT18
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Im Inter­view spricht Fran­ziska Görner von Reporter ohne Grenzen mit unserem Redak­teur Qasim Alqasim über den Kampf für die Pres­se­frei­heit, die Situa­tion von Jour­na­listen und Über­wa­chungs­tech­no­lo­gien.

 Auslands­auf­ent­halte führten Sie unter anderem nach Kuba, Mexiko und Guate­mala. Wie bewerten Sie die Pres­se­frei­heit in diesen Ländern? Fran­ziska Görner: Ganz explizit kann ich etwas zu Mexiko sagen, weil ich da zwei Jahre gelebt habe. Wenn man Staaten wie Syrien, in denen derzeit Krieg herrscht, einmal ausklam­mert, ist Mexiko tatsäch­lich das gefähr­lichste Land, obwohl es eigent­lich eine Demo­kratie ist. Diese Bewer­tung hat etwas damit zu tun, dass dort im Vergleich die meisten Jour­na­listen ermordet werden. Es herrscht ein Krieg der Drogen­kar­telle im Hinter­grund, in den Politik, Verwal­tung und Polizei invol­viert sind. Jour­na­listen geraten von mehreren Seiten ins Gefecht. Wenn sie über Korrup­tion berichten, dann kriegen sie nicht nur Gegen­wind von den Drogen­kar­tellen selbst, sondern auch von Poli­ti­kern und der Polizei. Sie können eigent­lich niemandem vertrauen. Und sie werden von niemandem beschützt. Reporter ohne Grenzen“ macht welt­weit auf die Situa­tion von Jour­na­listen aufmerksam. Deut­sche Firmen produ­zieren Über­wa­chungs­tech­no­lo­gien, mit der in anderen Ländern Jour­na­listen obser­viert werden. Wie beur­teilen Sie das? Wir sehen das total kritisch. Wir wissen, dass Deutsch­land dasje­nige Land in der EU ist, das die meisten Güter mit doppelter Verwen­dung expor­tiert. Ich erkläre es mal so: Ein Messer kann zum Toma­ten­schneiden verwendet werden – oder um jemanden umzu­bringen. Und so ist das allge­mein bei soge­nannten Dual-Use-Gütern. Da gibt es noch viel zu wenige Restrik­tionen. Die EU-Kommis­sion hat 2016 einen Entwurf ins Parla­ment gegeben, mit dem eine Reform der entspre­chenden Verord­nung dazu ange­strebt wird. Da hat Reporter ohne Grenzen“ ganz viele Vorschläge einge­bracht. Wir fordern, dass die Unter­nehmen und die für die Ausfuhr­kon­trolle zustän­digen Behörden den Export von Über­wa­chungs­tech­no­lo­gien trans­pa­renter doku­men­tieren müssen. Letzt­end­lich das EU-Parla­ment noch bis Ende März 2019 Zeit, das Gesetz zu refor­mieren. Anschlie­ßend sind Euro­pa­wahlen. Ansonsten haben wir wieder zwei Jahre lang kein Ergebnis, also bis 2021. Helfen die Regeln, die im EU-Parla­ment und in der Kommis­sion bespro­chen werden, bei der Durch­set­zung von Pres­se­frei­heit? Wenn diese Reform wirk­lich durch­kommt, also so, wie wir sie durch­haben wollen, dann auf jeden Fall. Dann gibt eine soge­nannte Catch-All“-Klausel, durch die Unter­nehmen in die Verant­wor­tung genommen werden. Das heißt, sie müssen prüfen, ob die Produkte, die sie expor­tieren, in den Ziel­län­dern auch für die Über­wa­chung von Jour­na­listen verwendet werden können und dadurch ein Menschen­recht verletzen. Wenn man es ganz objektiv sieht, würden diese ganzen Produkte eigent­lich nicht mehr expor­tiert werden dürfen. Denn mit ihnen könnte theo­re­tisch immer ein Menschen­recht verletzt werden. Wenn heraus­kommen würde, dass Unter­nehmen zum Beispiel in die Türkei Tech­no­lo­gien gelie­fert haben, die zur Über­wa­chung von Jour­na­listen einge­setzt werden, dann müssten sie nach dieser Reform mit Strafen rechnen. Im Moment besteht keine Kontrolle. Denn solche Tech­no­lo­gien kommen so schnell auf den Markt, dass man gar nicht alles mitbe­kommt. Wie verhält sich Reporter ohne Grenzen“ zu dieser Proble­matik? Wir fordern zum Beispiel Trans­pa­renz. Das Bundesamt für Wirt­schaft und Ausfuhr­kon­trolle sollte auflisten, welche Güter wann und wohin trans­por­tiert wurden. Das passiert bisher nicht. Das Amt sagt, es habe dafür keine Kapa­zi­täten, sie haben keine Mitar­beiter, wir sollen ihnen vertrauen, dass nichts geneh­migt wird, was Menschen­rechte verletzt. Aber am Anfang des Bürger­kriegs in Syrien hat zum Beispiel eine deutsch-arabi­sche Firma eindeutig Über­wa­chungs­tech­no­logie zur syri­schen Regie­rung gelie­fert, die dann auch zur Über­wa­chung genutzt wurde. Wir stehen dafür ein, dass die Öffent­lich­keit darüber infor­miert wird. Welche Fälle von Verlet­zung der Pres­se­frei­heit gab es in diesem Jahr? Wir hatten einzelne Fälle. Es gibt zum Beispiel den Jour­na­listen Shawkan, der seit fünf Jahren in Ägypten in Haft saß. Er hat für inter­na­tio­nale Medien gear­beitet und Fotos von Demons­tra­tionen in Ägypten gemacht, wo Leute gegen die Regie­rung auf die Straße gegangen sind. Er wurde vom Regime verhaftet und sitzt dafür im Gefängnis, dass er Fotos für die inter­na­tio­nale Bericht­erstat­tung gemacht hat. Andere, die auch verhaftet wurden, kamen nach einem Tag frei. Sie haben genau dasselbe gemacht wie er. Im Früh­ling 2018 wurde gegen ihn die Todes­strafe verhängt. Da ging ein großer Aufruf durch die Medien. Wir haben Kampa­gnen orga­ni­siert, wir haben mit Poli­ti­kern gespro­chen, und kürz­lich ist er frei­ge­lassen worden. Dann macht unsere Arbeit wirk­lich Sinn. Wenn Sie Ergeb­nisse haben? Genau. Wenn wir Ergeb­nisse haben. Es gibt eine Rang­liste, die wir veröf­fent­li­chen. Da hat 2018 keine Region in der Welt so schlecht abge­schnitten wie Europa. Dazu haben die Ermor­dungen von Daphne Caruana Galizia in Malta oder Ján Kuciak in der Slowakei beigetragen. In Europa wurden zwei Jour­na­listen wegen ihrer Arbeit ermordet. Das ist schon krass, weil Europa ja immer dieses Vorzei­ge­bei­spiel in Fragen der Pres­se­frei­heit ist. In Polen und Ungarn werden Medi­en­ge­setze erlassen, die eindeutig gegen die Pres­se­frei­heit gehen. Was hilft Jour­na­listen in der Praxis, um für mehr Pres­se­frei­heit zu kämpfen? Das kann man nicht so allge­mein beant­worten, weil es davon abhängt, wo man arbeitet. Wenn wir uns zwischen einem Jour­na­listen entscheiden sollen, dem in Deutsch­land die Kamera wegge­nommen wurde und einem, dem in einem iraki­schen Gefängnis Miss­hand­lungen und die Todes­strafe drohen, dann würden wir uns eher für den Jour­na­listen im Irak einsetzen. Denn in Deutsch­land gibt es genü­gend Orga­ni­sa­tionen, die sich kümmern. Wir schauen auch in Regionen, wo niemand hinschaut. Da gibt es ja genug auf der Welt. In diesen Regionen ist sehr wichtig und wird zuneh­mend wich­tiger, dass die Jour­na­listen verschlüs­selt tele­fo­nieren und digital kommu­ni­zieren. Ich persön­lich – ich habe auch Familie – wenn ich dort Jour­na­listin wäre und mein Mann und meine Kinder täglich bedroht würden – ich denke nicht, dass ich wirk­lich den Mut hätte, weiter­zu­ma­chen. Ich könnte das auch nicht machen. Ja. Hut ab vor den Jour­na­listen, die das halt einfach machen. Und da kann man nicht genug tun, um sie zu unter­stützen. Das ist sehr wichtig. Und so lange es diese Menschen noch gibt, so lange lebt auch die Pres­se­frei­heit. Dieser Beitrag entstand im Rahmen der Yalla Media Akademie, eine Koope­ra­tion zwischen der Jugend­presse Deutsch­land und dem Verein Eed be Eed (“Hand in Hand”) aus Berlin. Der Text erschien zuerst in der Print­aus­gabe des Weser-Kuriers.

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