Jahr­hun­der­te­alter Hass – eine Redak­tion zu Anti­se­mi­tismus im Netz

Datum
07. November 2023
Autor*in
Franka, Marija Limmer, Bule
Redaktion
politikorange
Themen
#Leben #Antisemitismus
Redaktion

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Anti­se­mi­tismus nimmt welt­weit zu, sei es im Netz oder im echten Leben. Können sich Juden und Jüdinnen in Deutsch­land noch sicher fühlen? Die Redak­tion von poli­ti­ko­range hat sich mit Fragen des Ursprungs von Anti­se­mi­tismus, der Verbin­dung zu Verschwö­rungs­ideo­lo­gien und dem jüdi­schen Alltag ausein­an­der­ge­setzt.

Anti­se­mi­tismus nimmt welt­weit zu, sei es im Netz oder im echten Leben. Können sich Juden und Jüdinnen in Deutsch­land noch sicher fühlen? Die Redak­tion von politi­ko­range hat sich mit Fragen des Ursprungs von Anti­se­mi­tismus, der Verbin­dung zu Verschwö­rungs­ideo­lo­gien und dem jüdi­schen Alltag ausein­an­der­ge­setzt und die Ergeb­nisse für euch auf dem Blog zusam­men­ge­stellt. 

Redaktion

Gemeinsames Gespräch mit Levi Salomon in der bpb-Zentrale. Foto: Holger Kulick

Was haben Theodor Fontane, Wilhelm Busch und Martin Luther gemeinsam? Sie alle zählen zu bedeu­tenden Personen der deut­schen Lite­ra­tur­ge­schichte und sie alle verbrei­teten anti­se­mi­ti­sche Ideo­lo­gien. Sie alle werden vom kollek­tiven Gedächtnis geschützt. Um solchen Miss­ständen auf den Grund zu gehen und die digi­tale Ausbrei­tung von Anti­se­mi­tismus zu unter­su­chen, traf sich die Redak­tion Kommen­tar­spalte Anti­se­mi­tismus – Hass und Stereo­type im Netz“. Seit August stand die poli­ti­ko­range-Redak­tion als kleine Koope­ra­tionsveran­stal­tung der 20. Bildungs- und Akti­ons­wo­chen gegen Anti­se­mi­tismus der Amadeo Antonio Stif­tung fest und fand Anfang November in Berlin unter Umständen statt, die niemand vorher­ge­sehen hat. Der terro­ris­ti­sche Angriff der Hamas am 07.10.2023 löste eine neue Welle der Gewalt und schwer­wie­gendes Grauen in Israel und Paläs­tina aus. Gleich­zeitig verzeich­nete man in Deutsch­land eine neue Welle von anti­se­mi­ti­schen Anfein­dungen und Anschlägen. Synagogen werden ange­griffen und David­sterne an die Türen jüdi­scher Bürger*innen geschmiert. Umso wich­tiger war es für uns, das Leben jüdi­scher Menschen in Deutsch­land zu betrachten und uns mit Formen, Ursprüngen und Wider­ständen von Anti­se­mi­tismus zu beschäf­tigen. 

Am ersten Tag unserer Redak­ti­ons­ar­beit trafen wir uns in der Bundes­zen­trale für poli­ti­sche Bildung/​bpb zu einem Gespräch mit Sharon Adler und Anja Linne­kugel. Sharon Adler ist Jour­na­listin, Foto­grafin und Grün­derin des Online-Maga­zins AVIVA-Berlin für Frauen und jüdi­sches Leben. Anja Linne­kugel ist Diplom Kommu­ni­ka­ti­ons­wirtin (HdK-Berlin) und Refe­rentin in der Redak­tion Deutsch­land Archiv der bpb. Sie hatte nach dem Anschlag auf die Synagoge in Halle an Jom Kippur (dem höchsten jüdi­schen Feiertag) 2019 die Idee dem Anti­se­mi­tismus und den Klischees über Jüdinnen und Juden damit zu begegnen, jüdi­sches Leben in Deutsch­land in seiner Viel­falt abzu­bilden. Da 2019 das Wahl­recht für Frauen das 100. Jubi­läum hatte, stellte sich die Refe­rentin die Frage, wie sichtbar eigent­lich Jüdinnen in Deutsch­land im Vergleich zu jüdi­schen Männern sind. Und ob daraus ein Projekt zu entwi­ckeln sei. Deshalb nahm Linne­kugel Kontakt zu Sharon Adler auf, die sie durch deren Projekte kannte. Und zusammen entwi­ckeln beide seit 2020 das Projekt Jüdinnen in Deutsch­land nach 1945. Erin­ne­rungen. Brüche. Perspek­tiven“. Und setzen es gemeinsam um. Dabei werden nicht nur die Biogra­fien von Jüdinnen nach 1945 in den Fokus gerückt und sichtbar gemacht, sondern es wird zur Einord­nung auch Einblick in die Zeit vor der Shoah genommen, weil die Gegen­wart ohne die Geschichte nicht verstanden werden kann. So wird die Viel­fäl­tig­keit von jüdi­schen Frauen deut­lich, und dass der Start nach der Befreiung Deutsch­lands von den Natio­nal­so­zia­listen in den Displaced Persons Camps alles andere als leicht war. Die Inter­view-Reihe zeichnet das Leben von 51 Frauen nach, darunter Prot­ago­nis­tinnen aus West- und Ostdeutsch­land, aus dem Gebiet ehema­ligen Sowjet­union, den USA, Frank­reich und Israel. Und es werden alle Gene­ra­tionen abge­bildet. Dazu zählt vor allem das gesell­schaft­liche Enga­ge­ment von jungen Jüdinnen und eine neue Gene­ra­tion von Rabbi­ne­rinnen in Deutsch­land. Zugleich vermit­telten Anja Linne­kugel und Sharon Adler Hinter­grün­diges über die jour­na­lis­ti­sche Arbeit. Adler schärfte uns ein, immer die Quelle der Quelle der Quelle“ zu recher­chieren und stets histo­ri­sche Kontexte herzu­stellen.

Die Tage der Redak­tion waren geprägt von inten­siven, emotio­nalen Gesprä­chen. Der zweite Tag begann mit einem wunder­baren Austausch mit ehren­amt­li­chen Mitglie­dern des Projekts Meet a Jew“ vom Zentralrat der Juden in Deutsch­land. Frei­wil­lige bieten eine Platt­form, um Kontakt zwischen jüdi­schen und nicht­jü­di­schen Menschen aufzu­bauen und einen sicheren Raum für Fragen aller Art zu öffnen. Fragen zur reli­giösen Praxis, zur poli­ti­schen Meinung oder zu kuli­na­ri­schem Geschmack – all das konnte unsere Redak­tion loswerden.

Verschwö­rungs­ideo­lo­gien und Anti­se­mi­tismus

Sozi­al­wis­sen­schaft­li­chen Input gab es von Dr. Carsten Koschmieder, einem wissen­schaft­li­chen Mitar­beiter am Otto-Suhr-Institut in Berlin, der uns den Zusam­men­hang zwischen Verschwö­rungs­ideo­lo­gien und Anti­se­mi­tismus erläu­terte. Daraus wurde uns klar, inwie­fern Anti­se­mi­tismus eine beson­dere Form der Diskri­mi­nie­rung ist. Anhand von Erzäh­lungen wie Paul is Dead beschrieb er der Redak­tion die Menta­lität von Verschwö­rungs­ideo­lo­gien und zeigte auf, wie anti­se­mi­ti­sche Aussagen im Netz häufig unter neuen Deck­män­teln der globalen Elite“, Strip­pen­zieher“ oder Hoch­fi­nanz“ laufen.  

Daran anknüp­fend stellte Levi Salomon in einem Work­shop die Geschichte des Anti­se­mi­tismus vor: ange­fangen mit dem Gerücht der Christenmörder*innen, über die Vorstel­lung der jüdi­schen Menschen als teuf­li­sche Kindesmörder*innen, bis hin zur Shoah im Natio­nal­so­zia­lismus und den Konti­nui­täten in der heutigen Zeit. Levi Salomon grün­dete 2008 das Jüdi­sche Forum für Demo­kratie und gegen Anti­se­mi­tismus (JFDA) und beob­achtet schon seit Jahren anti­se­mi­ti­sche und extre­mis­ti­sche Entwick­lungen in Deutsch­land. Beson­ders wichtig ist das Enga­ge­ment der JFDA auf verschie­densten Demons­tra­tionen in Deutsch­land, bei denen sie rechts­extre­mis­ti­sche oder anti­se­mi­ti­sche Vorfälle filmen und auf deren Website doku­men­tieren. 

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Zwei von vielen Stolpersteinen in Hamburg. Foto: [Hans] Pixabay.

Alles Leben ist Begeg­nung

Wie ein gelun­gener Austausch statt­finden kann, zeigte uns Uli Mari­en­feld, Autor und stell­ver­tre­tender Schul­leiter der Evan­ge­li­schen Schule Berlin Zentrum. In Jahr­zehnten pädago­gi­scher Arbeit erfuhr er, wie bedeutsam und lebens­ver­än­dernd Begeg­nungen mit Menschen sein können. Mehr­mals im Jahr führt er mit seinen Schul­klassen Fahrten nach Israel und Paläs­tina durch, redet dort mit Jüdinnen und Juden, arabi­schen und paläs­ti­nen­si­schen Vertreter*innen und betont dabei, dass nur durch Begeg­nung und das Kennen­lernen des Anderen Hass verhin­dert werden kann.  

Nach vier Tagen kann die Redak­tion auf inten­sive und lehr­reiche Gespräche zurück­bli­cken, aller­dings sind wir ange­sichts der aktu­ellen Eska­la­tion des Nahost­kon­flikts durchaus auch emotional ausge­laugt. Unser Mitge­fühl gilt den Zivilist*innen und Opfern des Krieges und Betrof­fenen welt­weit. Als Gesell­schaft müssen wir diskri­mi­nie­renden Entwick­lungen jegli­cher Art entge­gen­treten und uns für einen respekt­vollen und tole­ranten Umgang einsetzen. 


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